Berlin – Diskussion offenbart Lücke im System: Medikamentöse Prophylaxen sind nirgendwo eindeutig vorgesehen / Änderung von Infektionsschutzgesetz oder Schutzimpfungsrichtlinie könnte den Weg zur Finanzierung der PrEP ebnen
Der Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) hat sich erstmals zur Finanzierung der HIV-Prophylaxe mit dem Medikament Truvada geäußert. Der G-BA sei für diese Frage nicht zuständig, erklärte Josef Hecken auf Anfrage.
Bei der Prä-Expositionsprophylaxe (PrEP) werde Truvada weder zur Behandlung einer Krankheit eingesetzt, noch handele es sich um eine Impfung. Truvada sei außerdem keine Alternative zu Kondomen. Insofern entspreche die PrEP nicht den gesetzlichen Vorgaben, nach denen der G-BA über eine Verordnungsfähigkeit von Medikamenten befindet.
Dazu erklärt Sylvia Urban vom Vorstand der Deutschen AIDS-Hilfe:
„Wir bedauern sehr, dass der Gemeinsame Bundesausschuss, der sonst für die Erstattungsfähigkeit aller Medikamente zuständig ist, sich nicht mit der PrEP befassen möchte. Die Absage offenbart eine Systemlücke: Medikamentöse Prophylaxen sind nicht eindeutig vorgesehen. Da sie aber wirksam sind, brauchen wir so schnell wie möglich eine Lösung. Die Bundesregierung muss jetzt ein klares Signal setzen, dass die PrEP ein Teil unserer erfolgreichen deutschen Präventionsstrategie werden soll.“
Gemeinsamer Appell der zuständigen HIV-Organisationen
Nötig ist nun eine Änderung des Infektionsschutzgesetzes oder eine Erweiterung der Schutzimpfungsrichtlinie des G-BA. Danach sollte das oberste Gremium der Selbstverwaltung von Ärzteschaft und Krankenkassen auch über die Erstattungsfähigkeit von medikamentösen Prophylaxen befinden können. Die PrEP mit Truvada ist in Deutschland seit diesem Sommer zugelassen und kann verordnet werden. Die Krankenkassen übenehmen jedoch die Kosten nicht, so dass die PrEP für die meisten Menschen faktisch nicht verfügbar ist.
Die Deutsche AIDS-Hilfe hat am Dienstag gemeinsam mit der Deutschen AIDS-Gesellschaft (DAIG) und dem HIV-Ärzteverbund dagnä in einem Appell die Einführung der PrEP in Deutschland gefordert. Denn diese kann dazu beitragen, die Zahl der Neuinfektionen in Deutschland zu senken, indem sie Menschen mit häufigen Risikokontakten zur Verfügung gestellt wird.
Verweis auf Kondome ist zynisch
„Die PrEP mit Verweis auf die Möglichkeit des Kondomgebrauchs zurückzuweisen, wird der Sache nicht gerecht“, kritisiert Sylvia Urban die Mitteilung des G-BA-Vorsitzenden. „Es geht ja gerade darum, Menschen eine Schutzmöglichkeit anzubieten, denen der Schutz mit Kondomen aus verschiedenen Gründen nicht gelingt. Diesen Menschen in ihrer Situation Kondome zu empfehlen, ist zynisch.“
Die Fachwelt von der WHO über UNAIDS bis zu den deutschen Fachorganisationen ist sich einig: Die PrEP wirkt. Studien belegen dies eindeutig.
„Das deutsche Medizinsystem muss nun lernen, auf diese neue Chance zu reagieren. Auf ein wirksames Mittel der Prävention zu verzichten, bedeutet, vermeidbare HIV-Infektionen in Kauf zu nehmen“, so Sylvia Urban.
Die Deutsche AIDS-Hilfe dokumentiert den Wortlaut der G-BA-Stellungnahme auf www.aidshilfe.de
Weitere Informationen:
Gemeinsamer Appell von DAIG, dagnä und DAH für die Einführung der PrEP in Deutschland