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Haarnadel als Bremse: neuer Schalter für Genkontrolle entdeckt

Pressemitteilung

Heidelberg – Wissenschaftler aus dem Deutschen Krebsforschungszentrum haben einen bisher unbekannten Schalter entdeckt, mit dem die Zelle bestimmen kann, wie viel sie von einem bestimmten Eiweiß herstellt. Es handelt sich um eine haarnadelförmige Struktur in der Boten-RNA – der Abschrift eines Gens –, von der wiederum die Information für das Eiweiß abgelesen wird. Sobald sich die Haarnadel bildet, lagern sich verschiedene zelluläre Bestandteile daran und bauen die Boten-RNA ab. Damit verhindert die Zelle, dass sie zu viel eines Eiweißes herstellt, das in größeren Mengen schädlich wäre. Ihre Ergebnisse haben die Forscher um Georg Stoecklin im Fachjournal Cell veröffentlicht.

Schon vor einigen Jahren hat Dr. Georg Stoecklin, Nachwuchsgruppenleiter am Deutschen Krebsforschungszentrum, den kurzen Abschnitt auf der Boten-RNA des Tumor-Nekrose Faktors TNF entdeckt. „Bestimmte Zellen des Immunsystems, insbesondere Makrophagen, bilden TNF, wenn Erreger in den Körper eindringen. Das lockt andere Immunzellen an, macht Blutgefäße durchlässiger und ruft eine Entzündung – die Gegenreaktion des Körpers hervor“, beschreibt Stoecklin die Wirkung von TNF. „Es ist absolut lebenswichtig, dass die Makrophagen nicht zu viel und nicht zu lange TNF herstellen, sonst droht ein septischer Schock!“ Als sie das Gen für TNF genauer untersuchten, stießen die Forscher auf einen Abschnitt am Ende des Gens, der bei allen Säugetieren „hochkonserviert“ ist: die Buchstabenfolgen auf der Erbsubstanz DNA sind in diesem Bereich fast exakt gleich. „Das ist immer ein Anzeichen dafür, dass so ein Bereich sehr wichtig ist“, erklärt Stoecklin sein daraufhin stark gestiegenes Interesse an der Region.

„Wir haben anschließend untersucht, ob dieser Bereich auch bei anderen Genen vorhanden ist und wurden bei mehr als fünfzig Genen fündig“, sagt Kathrin Leppek, die Erstautorin der Arbeit. Darunter befanden sich viele weitere Gene, die im Immunsystem wichtig sind, aber auch solche, die während der Embryonalentwicklung eine Rolle spielen. „Sowohl bei der Immunantwort als auch während der Entwicklung sind bestimmte Gene immer nur für kurze Zeit aktiv. Die Zelle muss sicherstellen, dass sie diese Gene auch schnell wieder abschalten kann“, sagt Leppek. „Dafür ist es notwendig, die bereits hergestellten Abschriften des Gens, die Boten-RNA, abzubauen.“ Im weiteren Verlauf ihrer Doktorarbeit fand sie heraus, dass sich der kurze Abschnitt in der Boten-RNA zu einer Art Haarnadel faltet: Ein kurzer Stamm, bei dem sich jeweils passende Basen aneinander lagern, und eine enge Schlaufe am oberen Ende der „Haarnadel“. „Eine so auffällige Struktur erkennen und binden normalerweise zelluläre Eiweiße“, erklärt Stoecklin den nächsten Schritt, „also haben wir nach solchen Bindeeiweißen gesucht“. Mit Hilfe eines neuen Aufreinigungsverfahrens, welches die Gruppe entwickelt hat, wurden die Wissenschaftler fündig: An die Haarnadel bindet das Eiweiß Roquin, das die Wissenschaftler zwar schon kannten, dessen genaue Funktionsweise aber bisher nicht beschrieben war. Die Wissenschaftler fanden nun heraus, dass Roquin – an die RNA gebunden – seinerseits ein RNA-zerstörendes Enzym bindet, eine Ribonuklease, welche die Boten-RNA daraufhin abbaut. Sobald die Wissenschaftler die Haarnadelstruktur durch Eingriffe ins Gen verhinderten, wurde die RNA nicht mehr abgebaut. „Damit haben wir gezeigt, dass die Haarnadel dafür verantwortlich ist, dass die Boten-RNA nur kurz aktiv ist und das von ihr codierte Eiweiß nur für kurze Zeit hergestellt wird.“

Bei Rheuma und anderen chronischen Entzündungen, aber auch bei der starken Auszehrung von Krebspatienten, der Kachexie, könnte man diesen Prozess ausnutzen, denn bei diesen Erkrankungen wird TNF über längere Zeit in zu großer Menge hergestellt. „Hier wäre es natürlich interessant einzugreifen, indem man die Haarnadel-Roquin-Verbindung stärkt und damit den Abbau der TNF Boten-RNA beschleunigt“, spekuliert Georg Stoecklin. Leider ist es meist einfacher, eine solche Interaktion zu stören, als sie zu stabilisieren. „Es lohnt sich aber auf jeden Fall, daran zu arbeiten“, zeigt sich Stoecklin überzeugt und benennt damit das Ziel seiner zukünftigen Forschung.

Kathrin Leppek, Johanna Schott, Sonja Reitter, Fabian Poetz, Ming C. Hammond and Georg Stoecklin. Roquin Promotes Constitutive mRNA Decay via a Conserved Class of Stem-Loop Recognition Motifs, Cell (2013), DOI: 10.1016/j.cell.2013.04.016

Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) ist mit mehr als 2.500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die größte biomedizinische Forschungseinrichtung in Deutschland. Über 1000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erforschen im DKFZ, wie Krebs entsteht, erfassen Krebsrisikofaktoren und suchen nach neuen Strategien, die verhindern, dass Menschen an Krebs erkranken. Sie entwickeln neue Methoden, mit denen Tumoren präziser diagnostiziert und Krebspatienten erfolgreicher behandelt werden können. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Krebsinformationsdienstes (KID) klären Betroffene, Angehörige und interessierte Bürger über die Volkskrankheit Krebs auf. Gemeinsam mit dem Universitätsklinikum Heidelberg hat das DKFZ das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg eingerichtet, in dem vielversprechende Ansätze aus der Krebsforschung in die Klinik übertragen werden. Im Deutschen Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK), einem der sechs Deutschen Zentren für Gesundheitsforschung, unterhält das DKFZ Translationszentren an sieben universitären Partnerstandorten. Die Verbindung von exzellenter Hochschulmedizin mit der hochkarätigen Forschung eines Helmholtz-Zentrums ist ein wichtiger Beitrag, um die Chancen von Krebspatienten zu verbessern. Das DKFZ wird zu 90 Prozent vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und zu 10 Prozent vom Land Baden-Württemberg finanziert und ist Mitglied in der Helmholtz-Gemeinschaft deutscher Forschungszentren.

Diese Pressemitteilung ist abrufbar unter www.dkfz.de/pressemitteilungen