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Gutachten: GKV verstößt gegen Wirtschaftlichkeitsgebot

Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie e. V.

Berlin – Patienten haben einen gesetzlich geregelten Anspruch auf eine adäquate und zeitgerechte Arzneimittelversorgung. Diesem Anspruch wird die gesetzliche Krankenkasse häufig nicht mehr gerecht. Das ist das Ergebnis des vom Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie e.V. (BPI) in Auftrag gegebenen Gutachtens „Zehn Jahre Arzneimittel-Rabattverträge“. Dazu sagt Dr. Martin Zentgraf, BPI-Vorstandsvorsitzender: „Rabattvertragsmodelle sind alles andere als ein großer Erfolg. Das Kassen-Prinzip, die größtmögliche Einsparung zu erzielen, zieht immer häufiger versorgungskritische Situationen nach sich. Ein Umstand, der gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot verstößt.“

Zehn Jahre nach der „Scharfschaltung“ der Arzneimittel-Rabattverträge im Jahr 2007 ist im rabattvertragsgeregelten Markt eine Marktkonzentration eingetreten, die die Arzneimittelversorgung massiv beeinträchtigt: Mittlerweile wird für bestimmte Wirkstoffe der gesamte Markt nur noch von wenigen bis zu einem einzigen Unternehmen beherrscht. In der Folge sind Liefer- und Versorgungsengpässe heute eher die Regel als die Ausnahme. Zentgraf: „Mit dem Gutachten liegen die Fakten auf dem Tisch: Die ausufernde Sparpolitik der Krankenkassen im Arzneimittelbereich hat die Versorgungssituation insbesondere bei versorgungsrelevanten Wirkstoffen derart verschärft, dass oftmals nur wenige, manchmal bis nur noch zwei aktive Anbieter im Markt sind. Durch diese Oligopolisierung drohen akut Lieferengpässe und schlimmstenfalls lebensbedrohliche Versorgungsengpässe für die Patienten.“

Eine Situation, die GKV-Versicherte laut Gutachter nicht hinnehmen müssen. Der GKV-versicherte Patient hat einen gesetzlich normierten Anspruch auf eine adäquate und insbesondere zeitgerechte Arzneimittelversorgung. Dieser Anspruch folgt aus dem Wirtschaftlichkeitsgebot des Paragraphen 12 Absatz 1 SGB V (Merkmal „ausreichend“), dem alle Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen genügen müssen. Durch eine nicht substituierbare Arzneimittelversorgung werden die Heilungs- und Behandlungschancen des Patienten verschlechtert, so dass keine ausreichende Arzneimittelversorgung mehr vorliegt. Das Gutachter-Fazit: Eine Arzneimittelversorgung, bei der Liefer- und Versorgungsengpässe eher die Regel als die Ausnahme sind, entspricht nicht (mehr) dem Wirtschaftlichkeitsgebot.

Nach Ansicht der Gutachter müssen die Rabattverträge so gestaltet werden, dass das Risiko Liefer- und Versorgungsengpässe so weit wie möglich minimiert wird. Zur Erreichung dieses Ziels formuliert das Gutachten drei Lösungsansätze:

Mindestens ein Anbieter mit europäischer Produktionsstätte

Zur Stärkung der Versorgungsunabhängigkeit vom außereuropäischen Ausland wirkt es risikominimierend, bei der Vergabe von Arzneimittelrabattverträgen vorzugeben, dass sich unter den Zuschlagsempfängern mindestens ein pharmazeutisches Unternehmen mit europäischer Produktionsstätte befindet.

Keine Rabattverträge für versorgungsrelevante Wirkstoffe bei weniger als vier Anbietern

Das BfArM führt auf seiner Homepage eine Liste der versorgungsrelevanten Wirkstoffe, das heißt solcher Wirkstoffe beziehungsweise Wirkstoffkombinationen, die verschreibungspflichtig und für die Versorgung der Gesamtbevölkerung besonders relevant sind. Für diese versorgungsrelevanten Wirkstoffe muss zumindest dann ein grundsätzliches Verbot für Arzneimittel-Rabattverträge gefordert werden, wenn diese bereits heute nur noch von drei oder weniger pharmazeutischen Unternehmen im Markt angeboten werden. Mit dem Verbot würden die noch verbliebene Anbietervielfalt in diesen Märkten geschützt und Liefer- und Versorgungsengpässe vermieden.

Mehrfachvergabe (mindestens drei Zuschlagsempfänger)

Krankenkassen sollen Rabattvertragszuschläge stets an mindestens drei pharmazeutische Unternehmer erteilen. Hierdurch würde zum einen sichergestellt, dass die Anbietervielfalt auf dem deutschen Markt zumindest in ihrem Status quo gesichert wird, und zum anderen eine deutlich größere Versorgungssicherheit erreicht, da selbst beim Ausfall eines Rabattvertragspartners dessen Lieferverpflichtungen von den anderen beiden Rabattvertragspartnern aufgefangen würden.

„Die Krankenkassen stehen in der Verantwortung“, so Dr. Martin Zentgraf. „Sie haben ihren Versicherten eine ausreichende, das heißt auch rechtzeitige und zweckmäßige, also qualitativ dem anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Versorgung garantiert. Das finanzielle Polster der GKV muss jetzt konsequent für ein Mehr an Versorgungssicherheit genutzt werden.“ Die geplanten Rabattvertragsregelungen im GSAV sind nach Ansicht des BPI dazu zu unbestimmt und ungeeignet. Für eine bedarfsgerechte Versorgung muss konsequent die Vergabe an mehrere pharmazeutische Unternehmen sichergestellt werden und hier der Produktionsstandort Europa gesondert berücksichtigt werden. Für den konkreten Fall der versorgungsrelevanten Wirkstoffe mit weniger als vier Anbietern fordert der BPI, dass Rabattverträge, Openhouse-Vereinbarungen oder andere Kassen-Konstruktionen, die den Preisdruck weiter erhöhen, ausgesetzt werden.

Hintergrund

Die Kanzlei KOZIANKA & WEIDNER Rechtsanwälte hat sich für das Gutachten „Zehn Jahre Arzneimittel-Rabattverträge“ eingehend mit der Anspruchsgrundlage der gesetzlichen Krankenversicherten beschäftigt.

Für deren Beurteilung wurde die Entwicklung der Marktkonzentration pro Wirkstoff aus der BfArM –Liste der versorgungsrelevanten Wirkstoffe im Arzneimittelmarkt in den vergangenen zehn Jahren analysiert. Diese wurde auf Basis des Herfindahl-Hirschman-Index (HHI) betrachtet. Dem Gutachten lagen dafür Auswertungen des Statistikdienstleisters IQVIA zu rabattgeregelten, versorgungsrelevanten Wirkstoffen im Vergleich zwischen 2008 und 2017 vor.

Als versorgungsrelevant gelten Wirkstoffe oder Wirkstoffkombinationen, die als verschreibungspflichtige Arzneimittel für die Gesamtbevölkerung relevant sind. In der Analyse wurden danach 498 versorgungsrelevante Wirkstoffe betrachtet, die 2008 und 2017 rabattgeregelt waren. Die Entwicklung der Marktkonzentration mit Hilfe des HHI wurde auf Basis des Absatzes berechnet. Der HHI misst die absolute Konzentration beziehungsweise, wie gleichmäßig oder ungleichmäßig Merkmalsausprägung „Absätze“ verteilt ist. Im Ergebnis bedeutet ein hoher HHI – der maximale Wert ist 1 (oder 10.000, je nach Berechnung) eine hohe Konzentration, ein niedriger HHI – nahe 0 – bedeutet eine niedrige Konzentration beziehungsweise eine sehr hohe Anzahl von Anbietern.

Die Betrachtung der Umsatzkonzentration kann auf mehreren Ebenen erfolgen, etwa für alle Arzneimittel, generikafähige Arzneimittel oder Arzneimittel einzelner Wirkstoffe. Für eine versorgungsrelevante Aussage müssen mindestens die einzelnen Wirkstoffmärkte betrachtet werden. Und hier ist das Ergebnis des Gutachtens „Zehn Jahre Arzneimittel-Rabattverträge“ eindeutig; die Markkonzentration auf Wirkstoffebene hat sich in zehn Jahren dramatisch verschärft – vor allem dort, wo bereits Verengungen vorlagen.