Hamburg – Gurte, Bettgitter oder andere mechanische Fixierungen: In der Altenpflege gibt es immer wieder Maßnahmen, um Pflegebedürftige vor Gefahren zu schützen, die sie selbst nicht mehr einschätzen können. Diese freiheitsentziehenden Maßnahmen erfordern eine richterliche Genehmigung, sind aber dennoch weit verbreitet. Hamburg schlägt nun einen anderen Weg ein. Die Gesundheitsbehörde finanziert mit rund 97.500 Euro ein zweijähriges Projekt, um den so genannten „Werdenfelser Weg“ für eine würdevolle Pflege in Hamburg umzusetzen.
„Wir haben alle die Hoffnung, dass wir auch im höheren Alter geistig gesund bleiben und selbstbestimmt unseren Lebensabend verbringen können. Wir wissen aber auch, dass mit höherem Alter gewisse altersbedingte Erkrankungen zu nehmen und wir auf Hilfe und Schutz angewiesen sind“, so Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks. „Aber für jeden von uns dürfte die Vorstellung unerträglich sein, durch Gurte oder andere mechanische Fixierungen in unserem Bewegungsdrang gehindert zu werden. Deshalb wollen wir die praktischen Erfolge, die es bereits mit dem Werdenfelser Weg gibt, aufgreifen und in Hamburger Pflegeheimen zur Regel machen. So sollen Fixierungen in Zukunft möglichst vermieden werden.“
Nach Schätzungen werden bundesweit jeden Tag bis zu 400.000 Menschen in Pflegeheimen mit Gurten an das Bett oder den Rollstuhl gefesselt oder mit Bettgittern am Aufstehen gehindert. Der Werdenfelser Weg bietet Alternativen: Das 2007 im Werdenfelser Land entwickelte Projekt setzt vor einer richterlichen Genehmigung an. Dazu werden Pflegefachkräfte im Projekt zu spezialisierten Verfahrenspflegern fortgebildet, die schon während des richterlichen Genehmigungsverfahrens gezielt auf Alternativen hinweisen und die Einrichtungen entsprechend beraten. Zum Schutz vor Stürzen werden beispielsweise Niedrigflurbetten oder eine speziell mit Protektoren versehene Kleidung eingesetzt. In Hamburg wird der Verein Leben mit Behinderung das Projekt im Auftrag der Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz umsetzen.
In einer halbjährigen Studie wurden bereits jeweils 18 Pflegeheime in Nordrhein-Westfalen und Hamburg miteinander verglichen. In einer Gruppe wurde das Personal mit einem Leitlinien-Programm intensiv auf Möglichkeiten hingewiesen, Fixierungen zu vermeiden. In der Vergleichsgruppe lief die Arbeit praktisch unverändert. In der ersten Gruppe verringerte sich die Zahl der Freiheitseinschränkungen von knapp einem Drittel der Bewohner auf gut ein Fünftel, ohne dass es zu mehr Stürzen kam oder zusätzlich Medikamente verordnet werden mussten. In der Vergleichsgruppe blieb der Anteil der Freiheitseinschränkungen fast unverändert bei knapp 30 Prozent. Die Erkenntnisse aus dieser Studie sollen dazu beitragen, über die physischen und psychischen Folgen von freiheitsentziehenden Maßnahmen aufzuklären, Alternativen aufzuzeigen und in die Praxis umzusetzen.