Heidelberg – Die meisten Diabetesmedikamente greifen nicht an der Ursache der Krankheit an. Anders die Glitazone: Sie verbessern die Insulinempfindlichkeit und können die Umwandlung von ungesundem weißen in fettverbrennendes beiges Fettgewebe fördern. Aufgrund ihrer Nebenwirkungen werden sie dennoch kaum eingesetzt. Wissenschaftler aus dem Deutschen Krebsforschungszentrum untersuchen, wie sich die vorteilhafte Wirkung der Glitazone ohne Nebenwirkungen nutzen ließe. Ein erster wichtiger Schritt in diese Richtung ist ihnen nun gelungen. Sie haben ein Gen entdeckt, das bei weiblichen Mäusen für die Wirkung der Glitazone entscheidend ist, bei männlichen dagegen nicht.
Die Zahl der Menschen mit Diabetes mellitus in Deutschland steigt. Mittlerweile gehen Schätzungen davon aus, dass 7 bis 8 Prozent der Erwachsenen hierzulande an einem Typ-2-Diabetes, der lebensstilbedingten und häufigsten Form des Diabetes mellitus leiden. Jedes Jahr kommen 500.000 Neuerkrankungen hinzu (Deutscher Gesundheitsbericht Diabetes 2018). Eine Vielzahl von Medikamenten steht für die Behandlung der „Zuckerkrankheit” zur Verfügung, doch: „Die meisten Medikamente gegen Diabetes bekämpfen nur die Symptome des Leidens. An der Ursache für den hohen Blutzucker ändern sie nichts”, erklärt Alex Vegiopoulos vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ).
Zusammen mit seinen Kollegen untersucht Vegiopoulos den Wirkmechanismus der einen Medikamentenklasse, die eine Ausnahme darstellt: Glitazone sind in der Lage, den Lipid- und Zuckerstoffwechsel grundlegend zu verbessern und die bei Diabetes verlorengegangene Empfindlichkeit der Körperzellen gegenüber dem Hormon Insulin wieder herzustellen.
Bei gesunden Menschen schleust das Insulin Zucker aus dem Blut in die Körperzellen, wo er zur Energiegewinnung verwendet wird. Bei Menschen mit Typ-2-Diabetes sprechen die Körperzellen nicht mehr auf Insulin an, der Zucker gelangt nicht mehr in die Zellen hinein und sammelt sich stattdessen im Blut an. Die Folge ist der für Diabetes charakteristische erhöhte Blutzuckerspiegel. Glitazone bewirken, dass die Körperzellen wieder auf Insulin reagieren und der Zucker aus dem Blut in die Körperzellen gelangen kann.
Doch es gibt einen Haken: Glitazone können ernstzunehmende Nebenwirkungen haben und sind deshalb für eine breite Anwendung nicht geeignet. Dennoch besteht unter Forschern großes Interesse an der Wirkweise dieser Medikamente: Sie verbessern nicht nur die Empfindlichkeit der Körperzellen gegenüber Insulin, sondern begünstigen auch die Umwandlung von weißem zu beigem Fettgewebe.
Für die Behandlung des oft durch Übergewicht bedingten Typ-2-Diabetes spielt dieser zweite Wirkaspekt der Glitazone eine wichtige Rolle. Anders als weißes Fettgewebe, das lediglich der Fettspeicherung dient, verbrennt beiges Fettgewebe Energie und überschüssige Nährstoffe. Es ähnelt in seiner Funktion dem häufig als „Schlankmacher” titulierten braunen Fettgewebe.
Bei Untersuchungen an Mäusen entdeckten die DKFZ-Wissenschaftler, dass Glitazone-Behandlung im Fettgewebe der Tiere das Gen Cited4 aktiviert. Es stellte sich heraus, dass die Wirkung der Glitazone abhängig von der Funktion dieses Gens war.
„Allerdings galt dies nur für weibliche Mäuse, nicht aber für die Männchen”, berichtet Vegiopoulos. Als die Wissenschaftler Cited4 bei männlichen Mäusen ausschalteten, funktionierten die Glitazone bei den Tieren trotzdem weiter ganz normal. Anders bei weiblichen Mäusen: Ohne das Gen verbesserten die Glitazone die Insulinempfindlichkeit der Körperzellen nicht, was auf eine verminderte Förderung der Umwandlung von weißem in beiges Fettgewebe zurückzuführen war.
„Bei Männern funktioniert der Wirkmechanismus der Glitazone möglicherweise unabhängig von dem Gen, bei Frauen ist das Gen dagegen zwingend notwendig”, resümiert Vegiopoulos. „Für die Entwicklung neuer Diabetestherapien, die auf dem Wirkmechanismus der Glitazone beruhen, ist es wichtig zu wissen, dass sich der Stoffwechsel bei Männern und Frauen unterscheidet.”
Die Ergebnisse der DKFZ-Wissenschaftler zeigen zudem, wie wichtig es ist, neue Medikamente sowohl an weiblichen als auch an männlichen Probanden und Patienten zu erforschen und dies nicht nur im fortgeschrittenen Entwicklungsstadium, sondern auch schon in den frühen Untersuchungen an Tieren. Bislang werden neue Wirkstoffe noch vorwiegend bei männlichen Tieren untersucht.
Irem Bayindir-Buchhalter, Gretchen Wolff, Sarah Lerch, Tjeerd Sijmonsma, Maximilian Schuster, Jan Gronych, Adrian T. Billeter, Rohollah Babaei, Damir Krunic, Lars Ketscher, Nadine Spielmann, Martin Hrabe de Angelis, Jorge L Ruas, Beat P Müller- Stich, Mathias Heikenwälder, Peter Lichter, Stephan Herzig, Alexandros Vegiopoulos. Cited4 is a sex-biased mediator of the antidiabetic glitazone response in adipocyte progenitors. EMBO Molecular Medicine, DOI: 10.15252/emmm.201708613
Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) ist mit mehr als 3.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die größte biomedizinische Forschungseinrichtung in Deutschland. Über 1000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erforschen im DKFZ, wie Krebs entsteht, erfassen Krebsrisikofaktoren und suchen nach neuen Strategien, die verhindern, dass Menschen an Krebs erkranken. Sie entwickeln neue Methoden, mit denen Tumoren präziser diagnostiziert und Krebspatienten erfolgreicher behandelt werden können. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Krebsinformationsdienstes (KID) klären Betroffene, Angehörige und interessierte Bürger über die Volkskrankheit Krebs auf. Gemeinsam mit dem Universitätsklinikum Heidelberg hat das DKFZ das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg eingerichtet, in dem vielversprechende Ansätze aus der Krebsforschung in die Klinik übertragen werden. Im Deutschen Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK), einem der sechs Deutschen Zentren für Gesundheitsforschung, unterhält das DKFZ Translationszentren an sieben universitären Partnerstandorten. Die Verbindung von exzellenter Hochschulmedizin mit der hochkarätigen Forschung eines Helmholtz-Zentrums ist ein wichtiger Beitrag, um die Chancen von Krebspatienten zu verbessern. Das DKFZ wird zu 90 Prozent vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und zu 10 Prozent vom Land Baden-Württemberg finanziert und ist Mitglied in der Helmholtz-Gemeinschaft deutscher Forschungszentren.