Sindelfingen – 15.09.2010 – Zu einer Großveranstaltung werden heute in der Sindelfinger Messehalle rund 3.000 baden-württembergische Haus- und Fachärzte erwartet. Die Ärzte machen mobil gegen das von Bundesgesundheitsminister Rösler (FDP) geplante GKV-Finanzierungsgesetz. Der vorliegende Gesetzentwurf stellt nach Einschätzung der Veranstaltungsinitiatoren Hausärzteverband Baden-Württemberg und MEDI Baden-Württemberg insbesondere den Fortbestand der Haus- und Facharztverträge in Frage. In diesem Bereich spielt Baden-Württemberg die bundesweite Vorreiterrolle. Die Ärztevertreter setzen dabei auf die Hilfe der Landesregierung. Ministerpräsident Stefan Mappus und Gesundheitsministerin Dr. Monika Stolz versprachen, sich bei der Bundesregierung für den Erhalt der Hausarztverträge einzusetzen. Weitere Protestveranstaltungen finden am gleichen Tag in anderen Bundesländern statt.
Durch die vorgesehenen Beschlüsse, die am 22. September im Bundeskabinett verabschiedet werden sollen, sehen die Ärztevertreter die ambulante ärztliche Versorgung massiv gefährdet. Die vorgesehenen Honorardeckelungen bei den Hausarztverträgen seien langfristig das Aus für eine Versorgungsform, die den Versicherten mehr Qualität bietet und das Überleben der Arztpraxen sichert. Die Hausarztverträge haben die Patientenversorgung in Baden-Württemberg nachweislich verbessert. Bevor sie weiterentwickelt und bundesweit Wirkung entfalten können, soll ihnen jetzt die Grundlage entzogen werden. Damit wird eine innovative ambulante Versorgungsstruktur mit minimalem bürokratischen Aufwand und angemessener Vergütung erstickt!, warnt Dr. Berthold Dietsche, Vorsitzender des Hausärzteverbandes Baden-Württemberg. Viele Praxen seien angesichts des unzureichenden Honorars innerhalb der Regelversorgung auf das zweite innovative Standbein Hausarztvertrag dringend angewiesen, um langfristig zu überleben und einen Praxisnachfolger zu finden. Dietsche verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass Baden-Württembergs Ärzte bereits Verlierer der Anfang 2009 in Kraft getretenen bundesweiten Honorarreform waren. Dort mussten bis zu 90% der Arztpraxen Einkommenseinbußen hinnehmen, davon die Hälfte der Ärzte mehr als 25%. Der Wegfall der Hausarztverträge bedroht damit die wohnortnahe ambulante Versorgung insgesamt, erläutert Dietsche. Mit dem Aktionstag wolle man daher noch vor der Entscheidung über den Gesetzentwurf ein eindeutiges Signal nach Berlin senden, dass die Ärzte in Baden-Württemberg diese Entwicklung nicht kampflos hinnehmen werden.
Ohne Hausarztverträge keine Facharztverträge
MEDI-Chef Dr. Werner Baumgärtner betont, dass es der richtige Weg gewesen sei, den AOK Baden-Württemberg, Hausärzteverband und MEDI mit den Hausarzt- und Facharztverträgen in Baden-Württemberg bereits vor der gesetzlichen Verpflichtung zum Abschluss von Hausarztverträgen gegangen sind: Die AOK hatte schon von Anfang an dem Konzept einer späteren Einbindung der Fachärzte zugestimmt und Wort gehalten, denn die ersten beiden flächendeckenden Facharztverträge für Kardiologie und Gastroenterologie sind abgeschlossen und laufen. Im Sinne eines regionalen ambulanten Versorgungskonzepts sind sowohl funktionierende Hausarztverträge als auch diese ergänzenden Facharztverträge notwendig. Nur mit einer gemeinsam zwischen Ärzten und Kassen neu konsentierten Zusammenarbeit zwischen Haus- und Fachärzten, aber auch zwischen Fach- und Klinikärzten, verbessert sich die Patientenversorgung und die Verträge refinanzieren sich. Dr. Norbert Metke, Kandidat für den Vorsitz des neu zu wählenden KV-Vorstandes in Baden-Württemberg ergänzt: Es ist wichtig, dass wir in Zukunft ein effektives Miteinander von Kollektiv- und Selektivverträgen zum Wohle von Patienten und Ärzten schaffen. Unter dieser Devise muss auch der Rosenkrieg zwischen KV-Funktionären und einzelnen Krankenkassen beendet werden. Denn gut ist, was Patient und Arzt, nicht Institutionen dient.
Ärzte setzen auf Unterstützung der Landesregierung
Befürworter der Hausarztverträge ist nach eigenem Bekunden die baden-württembergische Landesregierung: Wir wollen auf keinen Fall den bisherigen Erfolg von Hausarztverträgen gefährden, so Sozialministerin Monika Stolz in einer Presseerklärung vom 14.09. Und weiter: Minister Rösler hat mir zugesichert, eine Rechtsänderung wohlwollend zu prüfen, nach der nicht nur bestehende Verträge Bestandsschutz genießen, sondern auch für neue Verträge höhere Vergütungen zulässig sind. Werner Baumgärtner und Berthold Dietsche freuen sich, dass der baden-württembergische Ministerpräsident und die Gesundheitsministerin für den Erhalt der Verträge einstehen. Wir erwarten, dass Frau Dr. Stolz und Herr Mappus sich in Berlin nachdrücklich dafür einsetzen, dass die Hausarztverträge unangetastet bleiben, betonen die beiden unisono.
AOK Baden-Württemberg steht zu Haus- und Facharztverträgen
Auf die Unterstützung ihres Vertragspartners AOK Baden-Württemberg können die niedergelassenen Ärzte im Südwesten zählen. AOK-Vorstandsvize Dr. Christopher Hermann, der am heutigen Aktionstag als Gastredner auftritt, bekräftigt: Noch in diesem Jahr werden über 1 Million Versicherte und rund 4.000 Hausärzte – auf freiwilliger Basis – an dem AOK-Hausarztprogramm teilnehmen. Deshalb sind wir entschlossen an den Selektivverträgen festzuhalten und setzen weiterhin auf eine enge und vertrauensvolle Partnerschaft mit den Ärzten. Und zwar unabhängig von der gesundheits-politischen Großwetterlage in Berlin. Im Zusammenspiel von Hausarztverträgen und Facharztverträgen setzt die Kasse auf eine bessere Versorgungsqualität ihrer Versicherten. Das Motto für unseren Hausarztvertrag lautet: Stethoskop statt Stift. Die Ärzte sollen ihre Zeit nicht mit Formularen, sondern mit ihren Patienten verbringen. Eine repräsentative Versichertenumfrage bestätigt, dass die Umsetzung dieser Zielsetzung bereits in kurzer Zeit gelungen ist. Sie zeigt eine deutlich empfundene Verbesserung der Patientenzufriedenheit. Erste Analysen zeigen ferner, dass die Versorgungsdaten unter anderem im Bereich der Prävention deutlich besser sind als in der Regelversorgung: So sind zum Beispiel die Check-Up-Quoten oder die Rate der Influenza-Impfungen bei den über 60-jährigen wesentlich höher als bei Versicherten, die nicht am AOK-Hausarztprogramm teilnehmen, so Hermann abschließend.