Berlin – Unter dem Titel „Integrierte Versorgung im Schnittstellenbereich von ambulant und stationär stärken!“ beleuchtet die Deutsche Gesellschaft für Integrierte Versorgung im Gesundheitswesen e. V. (DGIV) in ihrem diesjährigen Positionspapier kritisch die Regierungsarbeit auf dem Gebiet der Weiterentwicklung der gesundheitlichen Versorgungsstrukturen.
„COVID 19 hat die deutsche Wirtschaft schwerwiegend geschwächt und den Staat veranlasst, eine gewaltige Neuverschuldung aufzunehmen. Bereits heute hat deshalb die Frage der Verbesserung von Effizienz und Effektivität der für die Daseinsfürsorge der Bürgerinnen und Bürger ohnehin sehr kostenträchtigen gesundheitlichen Versorgung eine neue, sehr viel größere Dimension erhalten.“, betont der DGIV-Vorstandsvorsitzende Prof. Stefan G. Spitzer. „In der bisherigen Bekämpfung der viralen Gefahr hat sich unser hochentwickeltes Gesundheitswesen bewährt.“, so Spitzer, „Die moderne Medizin und Versorgungswissenschaft hat uns aber zunehmend mehr Möglichkeiten an die Hand gegeben, über althergebrachte Sektorengrenzen hinweg durch eine Integrierte Versorgung Kooperationslösungen zu generieren, mit denen zum Wohle der Patienten die medizinische und pflegerische Versorgung verbessert werden kann.“
An diesem Thema ist laut DGIV in Zeiten stark sprudelnder Quellen von Steuern und Abgaben nicht engagiert genug gearbeitet worden. Gerade jetzt vermisst man aber stärker denn je moderne Strukturentwicklungen für eine integrierte kooperative Versorgung, verbunden mit einer konsequenten Neubewertung qualitätsgesicherter ambulanter Alternativen zu nicht erforderlichen stationären Aufenthalten und Behandlungen.
Deshalb fordert die DGIV von den Regierungen von Bund und Ländern unter den nachfolgend aufgeführten Eckpunkten besonders für den Schnittstellenbereich von ambulanter und stationärer Versorgung eine gemeinsame Trendwende hin zu durchgreifenden und nachhaltigen effizienten und effektiven Entwicklungsschritten:
- Das deutsche Gesundheitswesen hatte bisher im Corona-Jahr 2020 mannigfaltige Herausforderungen zu bestehen. Wie das gemeistert wurde, hat dem Land, seiner Administration und seinen gesundheitlichen Versorgungsstrukturen viel internationale Anerkennung eingebracht. Den durch die Corona-Krise verursachten Belastungen muss jedoch gerade auch im Gesundheitswesen durch eine effizientere und effektivere Versorgung begegnet werden.
- Die Bund-Länder-Arbeitsgruppe sektorenübergreifende Versorgung ist bisher der Aufgabenstellung des Koalitionsvertrages nicht gerecht geworden.
- Trotz ihres großen Potenzials für eine effizientere und effektivere Versorgung werden derzeit integrierte Versorgungsstrukturen, die auf der Kooperation von Krankenhäusern und Vertragsärzten beruhen, nicht mehr weiterentwickelt.
- Die Besorgnis des Staates in Bund und Ländern über das unklare Schicksal unwirtschaftlicher Krankenhäuser führt zu unsystematischen, einseitigen Entwicklungsversuchen auf dem Gebiet der sektorenübergreifenden Versorgung.
- Mit Ausnahme des Wegfalls der Wirtschaftlichkeitskontrolle nach vier Jahren sind derzeit keine innovativen Entwicklungsabsichten der Bundesregierung für integrierende Selektivverträge bekannt geworden.
- Die Rückstände des deutschen Gesundheitswesens bei der Umsetzung des Prinzips „ambulant vor stationär“ werden absehbar auch von der derzeitigen Bundesregierung nicht beseitigt werden.
- Vermisst wird zunehmend eine konsequente Auseinandersetzung mit sektoralen Beharrungskräften in Staat und Selbstverwaltung.
- Das Fehlen von wissenschaftlich begründeten lang- und mittelfristigen Konzeptionen und Zielstellungen auf staatlicher Seite hemmt wesentlich die sektorenübergreifend zu koordinierende Digitalisierung im Gesundheitswesen.
- Die Aufgaben zur Ausschöpfung des großen Potenzials des Schnittstellenbereiches von ambulant und stationär für die Steigerung von Effizienz und Effektivität der gesundheitlichen Versorgung sind komplex und mit Widerständen starker Partikularinteressen behaftet. Nicht zuletzt durch die enormen wirtschaftlichen Belastungen der Corona-Krise wird immer deutlicher, dass der Staat nicht länger diese bereits seit Jahrzehnten bekannten Aufgaben auf kommende staatliche Verantwortungsträger und kommende Generationen der deutschen Gesellschaft abschieben darf.