Eschborn – Auch wenn obige Schlagzeile so manche Steakliebhaber in ihrer Manneskraft bestätigen mag: Die neue Studie liefert leider keine Erkenntnisse zur Beziehung zwischen Penislänge und Ernährung. Die Wissenschaftler zeigten stattdessen: Rotfleischesser haben die längsten Telomere [1]. Diese Schutzkappen am Ende der Chromosomen (Erbgut) sind ein Indikator für die Lebenszeit der Zellen – sozusagen die „Zündschnur des Lebens“, die immer kürzer wird, bis die Zelle stirbt. Je länger diese Telomere, desto länger leben die Zellen. Daher wird diskutiert: Menschen mit langen Telomeren leben durchschnittlich länger als solche mit kurzen [2-5].
Verlängert Fleischessen also das Leben? „Das Flaggschiff der Ernährungsstudien, EPIC, hat gezeigt: Moderate Fleischesser leben am längsten“ [6], erläutert Diplom Ökotrophologe und Buchautor* Uwe Knop, „da Ernährungsbeobachtungsstudien jedoch stets nur statistische Zusammenhänge (Korrelationen), aber niemals Erkenntnisse zu Ursache-und-Wirkung liefern (Kausalitäten), kann niemand diese Frage sicher beantworten.“ Auch die aktuelle Publikation liefere nur eine Korrelation, die ausschließlich zum ökotrophologischen Universalcredo beitrage: „Nichts Genaues weiß man nicht.“ Und so endet auch die Telomer-Studie mit dem Lieblingssatz aller Ernährungsforscher: „Weitere Studien müssen durchgeführt werden, um diesen Zusammenhang noch näher zu untersuchen.“
In Sachen Lebenslänge von Fleischessern gab es bereits „weitere Studien”: So hatte Anfang 2016 eine Analyse der University of Oxford ergeben [7]: Weder Vegetarier noch Veganer leben länger als Menschen, die auch Fisch und Fleisch essen …
LITERATURQUELLEN:
[1] Nutr J. 2016 Jul 14; 15(1):68. The relationship between peripheral blood mononuclear cells telomere length and diet – unexpected effect of red meat.
„Telomere length was assessed as a relative average telomere length (T/S ratio) …
only intake of red meat was related to T/S ratio. Individuals with increased consumption of red meat have had higher T/S ratio ..“
[2] Lange Chromosomenenden? Langes Leben; [3] Dem ewigen Leben auf der Spur; [4] Söhne von alten Vätern leben länger; [5] Wie die Enden der Chromosomen die Zellalterung beeinflussen
[6] BMC Med. 2013 Mar 7; 11:63. Meat consumption and mortality–results from the European Prospective Investigation into Cancer and Nutrition. (Apotheken Umschau: Ein bisschen Fleisch tut gut)
„The EPIC results do not show the lowest relative risks (RRs) for subjects in the lowest meat intake category, but a slight J-shaped association with the lowest risk among subjects with low-to-moderate meat consumption. This was observed for red meat and poultry.” (S.9)
“Also, taking into account the results from the studies that evaluated vegetarian and low-meat diets, it appears that a low – but not a zero – consumption of meat might be beneficial for health.” (S.9)
[7] Am J Clin Nutr. 2016 Jan; 103(1):218-30. Mortality in vegetarians and comparable nonvegetarians in the United Kingdom
[*] Ernährungswahn – Warum wir keine Angst vorm Essen haben müssen, rowohlt, Verlag rororo, Taschenbuch, 160 Seiten, 9,99 € (D), erhältlich in D/A/CH seit 22.04.2016
Journalisten können Rezensionsexemplare anfordern unter folgender Adresse: hanna.biresch@rowohlt.de Autor Uwe Knop steht für weitere Auskünfte und Interviews gerne zur Verfügung.
WISSENSCHAFTLICHE HINTERGRUNDINFOS
„Bemitleidenswerte Ernährungsforschung“
Der desolate Zustand ökotrophologischer Forschung ist in der Fachwelt schon lange bekannt. So erklärte der Direktor des deutschen Cochrane-Zentrums, das die Qualität wissenschaftlicher Studien bewertet, Prof. Gerd Antes bereits 2011: „Die Ernährungswissenschaften sind in einer bemitleidenswerten Lage. Studien in diesem Bereich sind von vielen unbekannten oder kaum messbaren Einflüssen abhängig. Deswegen gibt es immer wieder völlig widersprüchliche Ergebnisse“ [7]. Nur ein Jahr später ergänzte sein „Studienbewertungskollege“ vom staatlichen IQWiG (Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen), Dr. Klaus Koch, zur Kernschwäche von Ernährungs-Beobachtungsstudien: „Epidemiologische Studien können normalerweise keine Beweise liefern. Punkt“ [8]. Daher ist für Prof. Gabriele Meyer, ehemalige Vorsitzende des DNEbM e.V. (Deutsches Netzwerk Evidenzbasierte Medizin) und aktuell Mitglied im Sachverständigenrat von Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe, klar „Beobachtungsstudien sind nicht geeignet, präventive oder therapeutische Empfehlungen abzuleiten“ [9]. Einer der Gründe: Beobachtungsstudien liefern ausschließlich Korrelationen (statistische Zusammenhänge), jedoch niemals Kausalitäten (Ursache-Wirkungs-Beziehungen/Beweise).
Auch in zahlreichen wissenschaftlichen Publikationen wurde jüngst immerwieder auf die systemimmanente Kernschwäche der Ernährungsforschung hingewiesen: Viele ihrer Ergebnisse seien „völlig unglaubwürdig“ – und auch eine „weitere Million Beobachtungsstudien“ würde keine endgültigen Lösungen liefern [10]. Aufgrund zahlreicher Schwächen dieser Untersuchungen werden Politiker zu „größerer Vorsicht bei Ernährungsempfehlungen“ angemahnt, da diese primär auf Beobachtungsstudien basieren, die nicht durch klinische Studien bestätigt wurden [11].
„Nicht genügend wissenschaftliche Evidenz“
Dem entsprechend war es nur eine Frage der Zeit, bis im Februar 2016 Prof. Peter Stehle, Präsidiumsmitglied der DGE e.V. (Deutsche Gesellschaft für Ernährung) öffentlich offenbarte, dass die Ernährungsforscher ein Problem haben: „Wir können nicht genügend wissenschaftliche Evidenz liefern.“ Denn das sei „tatsächlich schwierig, das Liefern von Belegen.“ Die beobachteten Ergebnisse der Ernährungsforschung seien daher „argumentativ natürlich sehr, sehr schwach. Aber das war immer so und wird so bleiben.“ Denn zu diesen Studien, die harte Evidenz, also Beweise für beispielsweise gesunde Ernährung liefern, erklärt Stehle: „Solche Interventionsstudien wird es nie geben.“ Auch auf die Frage, wie hoch der Einfluss der Ernährung auf die Gesundheit (Verfassung) ist, spricht Stehle Klartext: „Das lässt sich nicht quantifizieren. Niemand weiß das“ [12]. Dementsprechend dünn ist auch das Fazit zu gesunder Ernährung von Prof. Jana Rückert-John, Hochschule Fulda: „Was am Ende dann bleibt, ist sich ausgewogen zu ernähren.“ Dabei solle man von allem essen und die „Lust und den Spaß am Essen im Zuge des ganzen Gesundheitswahns
nicht verlieren.“ [13]
[7] Süddeutsche Zeitung „Falsche Früchtchen“
[8] Spiegel online, „Überschätzte Gesundheitsstudien: Wer zu viel glaubt, bleibt dumm“
[9] Novo Argumente, „Ernährungsregeln – wo bleiben die Daten?“
[10] Implausible results in human nutrition research – Definitive solutions won ́t come from another million observational papers or small randomized trials
[11] Limitations of Observational Evidence: Implications for Evidence-Based Dietary Recommendations
[12] Bonner General Anzeiger, „Der Verbraucher versteht das Wort Risiko nicht“
[13] n-tv.de: „Günstiges Essen ist Wohlstandsindikator“