Wiesbaden/Fulda – Michaela Hach, Dr. med. Ingmar Hornke, Fachverband SAPV Hessen e.V. Wiesbaden
Thomas Sitte, Deutsche Palliativstiftung, Fulda
Ein Leben und Sterben bevorzugt in der vertrauten Umgebung bei bedarfsgerechter Versorgung ist erklärtes Ziel der Hospiz- und Palliativversorgung. Es stellt eine besondere Herausforderung dar, schwerkranke Menschen und ihre Angehörigen in den verschiedenen Phasen lebensbegrenzender Erkrankung einschließlich krisenhafter Situationen erfolgreich zu unterstützen. Welche Konzepte der wohnortnahen Palliativversorgung können nachweislich das Ziel des häuslichen Verbleibs sicherstellen?
Entwicklung im Bund:
- Im Jahr 2009 lag die Zahl aller Todesfälle im Krankenhaus im Bundesdurchschnitt bei 48 %, bis 2013 sank sie als Folge verschiedener Einflüsse (Diskussion um Sterben im Krankenhaus, Aktivitäten der Verbände, etc.) um einen Prozentpunkt.
Hessen vorn:
Bereits seit 2004 wurde hier eine verbesserte ambulante Palliativversorgung durch multiprofessionelle Palliative-Care-Teams unter Einbindung der vorhandenen Strukturen, insbesondere der Hospizinitiativen, aufgebaut. Im Rahmen von Selektivverträgen (IV-Verträge gem. §140 ff. SGB V) wurde dadurch die Möglichkeit des häuslichen Verbleibs deutlich verbessert und die Einführung einer flächendeckenden Spezialisierten Ambulanten Palliativ-Versorgung (SAPV gem. §37b SGB V ab 2007) vorbereitet:
- Zu Beginn der Umsetzung von SAPV (2009) in Hessen lag die Zahl aller Todesfälle im Krankenhaus mit nur 45% bereits deutlich unter dem Bundesdurchschnitt.
- Diese Quote konnte unter der weitgehend flächendeckenden Einführung einer SAPV mit „echten“ Palliative-Care-Teams bis 2013 deutlich stärker als im Bundestrend um fünf Prozent auf 43% gesenkt werden.
- Die Umsetzung erfolgte entsprechend den Vorgaben des SGB V. Es besteht keine strukturelle Beteiligung der Kassenärztlichen Vereinigung.
Alternativmodell Westfalen-Lippe:
Im April 2009 wurde ein hausarztzentriertes Model ambulanter Palliativversorgung in Westfalen-Lippe etabliert. Die KV Westfalen-Lippe und die Krankenkassen schlossen einen unbefristeten Vertrag ab, der als Besonderheit primär eine gute allgemeine palliativmedizinische Versorgung in ihren ärztlichen Anteilen und ihren abhängigen Leistungen umfasst. In zweiter Linie soll auch eine spezialisierte Versorgung ermöglicht werden. Kern des in Westfalen-Lippe umgesetzten Konzepts ist die Versorgung der Patienten durch niedergelassene Haus- sowie Fachärzte unterstützt von palliativmedizinischen Konsiliardiensten (PKD). Die Vertragspartner haben sich bei diesem Konzept bewusst gegen die Umsetzung des gesetzgeberischen Willens und einen Vertrag zur spezialisierten ambulanten Palliativversorgung (SAPV) mit spezialisierten Palliative-Care-Teams entschieden.1
Die Entwicklung im Bezug zum Sterbeort Krankenhaus in Westfalen-Lippe:
- Im KV-Bezirk Westfalen-Lippe betrug die Quote aller Todesfälle im Krankenhaus bei Vertragsbeginn 2009: 50%.
- Die Auswirkungen der veränderten Palliativversorgung durch die Vereinbarung zur AAPV und spezialisierter ambulanter Anteile führte, trotz einer sehr großen Zahl dokumentierter Patienten, nur zu einer geringfügigen Senkung um einen Prozentpunkt.
- Der selektivvertragliche monoprofessionell arztbasierte Ansatz bleibt im Ergebnis gegenüber dem Bundesdurchschnitt und ganz besonders im Vergleich zu Regionen mit teamgestützter SAPV-Umsetzung erheblich zurück.
Schlussfolgerung:
Die Strukturbildung einer flächendeckend teamgestützten SAPV als multiprofessionelle Teamleistung für eine bedarfsgerechte Versorgung ist nachweisbar effektiv und zielführend. Die Intervention durch eine „Hausarzt-zentrierte Lösung“ als Ersatz ist im Ergebnis deutlich unterlegen. Neben der notwendigen weiteren bundesweiten Strukturentwicklung einer flächendeckend teamgestützten SAPV, einschließlich für Kinder und Jugendliche, bedarf es einer gezielten Unterstützung der strukturierten Entwicklung zuverlässig verfügbarer Angebote der kassenärztlichen und pflegerischen Anteile von AAPV unter verbindlicher Einbindung der hospizlichen Angebote.
Anregungen zur Weiterentwicklung der kassenärztlichen Versorgungsanteile der AAPV aus den Erfahrungen und Ideen in Westfalen-Lippe sollten neben der flächendeckenden teambasierten SAPV-Entwicklung Anwendung finden Eine gesetzgeberisch vorgegebene Konkurrenzbildung zwischen diesen beiden ergänzend erforderlichen Leistungsstrukturen ist im Sinne der betroffenen schwerkranken und sterbenden Menschen unbedingt zu verhindern.
Die Formulierung des §132d (3) neu gem. HPG sollte daher ersatzlos gestrichen werden.
In diesem Sinne sollten auch Regelungen zur Klarstellung des kassenärztlichen Sicherstellungsauftrages einschließlich ärztlicher Anteile der AAPV in §73 SGB V ergänzt werden.
1 Ärzte Zeitung, 21.07.2011 „ Westfalen-Lippe prescht bei Behandlung Schwerstkranker voran“