Berlin – Im Jahre 2018 spendete eine gesunde, junge und sportliche Frau ihrer nierenkranken Schwester eine Niere. Der Eingriff in der Berliner Charité verlief jedoch nicht wie geplant. Bei der minimalinvasiven Nierenentnahme erlitt sie erhebliche Verletzungen, die sie aufgrund innerer Blutungen in akute Lebensgefahr brachten. Nur eine Not-Operation und eine Bluttransfusion retteten der jungen Spenderin das Leben.
Die Spenderin, eine ehemalige Leistungssportlerin (Profi-Boxerin), leidet zusätzlich zur traumatischen Erfahrung bis heute an den körperlichen Folgen des Nierenverlustes. In Folge der Spende ist die Frau anerkannt erwerbsgemindert und nur noch in Teilzeit berufstätig. Ihren Sport musste sie aufgeben.
Da die Mediziner der Berliner Charité nach Auffassung der schwer geschädigten jungen Nierenlebendspenderin behandlungsfehlerhaft vorgingen und zudem ungenügend über die Risiken aufgeklärt hatten, verklagte sie die Ärzte und die Klinik auf Schmerzensgeld und Schadenersatz beim Landgericht (LG) Berlin (AZ 17 O 254/21).
Das Gerichtsverfahren vor dem Landgericht Berlin
Ein erstes vor dem Verhandlungstermin vom Gericht eingeholtes Gutachten auf Basis der Gerichtsakten entpuppte sich als „unwissenschaftliches Loblied“ (Zitat des Klagevertreters) auf die behandelnden Mediziner und nahm entgegen des Gutachterauftrages Stellung zu Fragen der Aufklärung. „(…) offenbar kennt man sich gut, (…)“, so der Klagevertreter, Herr Rechtsanwalt Weinholz aus Berlin. Der Befangenheitsantrag der nunmehr als Klägerin auftretenden Nierenlebendspenderin gegen den in der Fachwelt bekannten Gutachter hatte Erfolg (siehe auch Pressemeldung der Interessengemeinschaft Nierenlebendspende e. V. vom 18.01.2022: „Nierenlebendspende: Im Prozess gegen Charité entlässt Berliner Gericht renommierten Gutachter“).
Der zweite vom Gericht beauftragte Gutachter sah in den Verletzungen während der Operation ebenfalls keine Behandlungsfehler. Er bestätigte jedoch, dass bis zu 17 % der Nierenlebendspender an einem Erschöpfungssyndrom, bekannt als Fatigue-Syndrom, leiden und bezog sich dabei auf eine Studie aus der beklagten Charité. Dass die Klägerin unter den Folgen des Nierenverlustes leidet, bestätigte der Gutachter unter Bezug auf frühere Gutachten, die im Rahmen eines anderen sozialrechtlichen Verwaltungsverfahrens im Auftrag der Unfallkasse Berlin angefertigt wurden.
Schließlich trafen sich die Parteien am 26.01.2024 zur Verhandlung vor dem LG Berlin. Nachdem das Gericht in den Sach- und Streitstand einführte, gab es eine vorläufige Bewertung ab. Das Gericht kam sofort auf die Frage der Aufklärung zu sprechen, da es hier Verstöße sah. Bei der Einschätzung bezog sich das LG explizit auf die Grundsatzurteile zur fehlerhaften Aufklärung des Bundesgerichtshofs von 2019 (BGH, 29.01.2019 – VI ZR 495/16 und VI ZR 318/17).
Dass bei der Aufklärung ein Standardaufklärungsbogen für eine Nephrektomie bei erkrankter Niere verwendet wurde, sei zwar fehlerhaft, doch allein dieser Formverstoß würde die Aufklärung nicht unbedingt direkt unwirksam machen, so der Vorsitzende Richter Bebensee am LG.
Das Gericht äußerte dann sehr klar seine Zweifel, ob die Spenderaufklärung ausreichend gewesen sei, da eine einfache Aufführung von Fatigue als mögliches Risiko ohne weitere Erläuterung nicht ausreichend sei. Eine umfassende Abwägung aus Spender- und Empfängersicht sei grundsätzlich erforderlich.
Hinsichtlich der tatsächlichen gesundheitlichen Folgen für die Klägerin seien die Ausführungen des Gutachtens aus dem bereits abgeschlossenen Unfallkassenverfahren zur Einschätzung ausreichend. Das Beweismaß nach § 287 ZPO sei hier gewahrt, so dass das Gericht der Klägerin Glauben schenkte.
Die Klage gegen die Charité hätte nach Einschätzung des Gerichts Aussicht auf Erfolg!
Nach Abwägung restlicher Prozess- und Kostenrisiken einigten sich die Parteien dann auf die Vergleichssumme von 135.000 €, die damit unter Berücksichtigung eventueller inflationärer Entwicklungen weiterer Prozessjahre sehr nahe an die geforderte Schadenssumme heranreicht.
Die Klägerin beeindruckte zum Verhandlungsende alle Anwesenden, insbesondere die Beklagten und deren Rechtsanwalt mit einem kontrolliert, aber emotional vorgetragenen, an die beklagten Mediziner gerichteten, Schlusswort (Zitat):
„Sie sagten mir, alles würde nach der Spende so sein wie vorher. Ich würde ein normales Leben führen können. Nichts ist wie vorher. Klären Sie die Menschen über Fatigue auf. Fatigue zerstört einen. Sie, die Ärzte, gehen nach der Arbeit nach Hause und alles ist wie immer. Aber bei mir ist nichts mehr wie immer. Auch die Familien der Spender leiden unter der Situation. Denken Sie daran, dass die Spender, die dort auf Ihrem Tisch liegen, auch Menschen sind! Mein Leben ist nun zerstört. Denken Sie bitte daran, welche Verantwortung Sie haben!“
Fachlich unterstützt wurden die Klägerin und ihr Klagevertreter, Rechtsanwalt Konstantin Weinholz aus Berlin, bei der Vorbereitung und Durchführung der Klage von der Interessengemeinschaft Nierenlebendspende e. V.. Der Verein setzt sich seit 2012 unter Führung seines 1. Vorsitzenden Ralf Zietz erfolgreich für geschädigte Nierenlebendspender ein.
Einschätzung der Interessengemeinschaft Nierenlebendspende e. V.
Dieser Vergleich ist ein großer Erfolg für die Klägerin und wirkt für die Charité wie ein Urteil. Ein deutlicher Kratzer am Renommee der Berliner Charité.
Schon allein die fehlerhafte Aufklärung – nach den Vorgaben des BGH gewertet – führt zum messbaren Erfolg der Klage, auch ohne offizielles Urteil.
Mediziner, die vor einer Organlebendspende aufklären, müssen nicht nur die formalen Anforderungen des Transplantationsgesetzes penibel einhalten. Auch Risiken nur katalogmäßig aufzuführen, reicht nicht. Gerade wegen der möglichen chronischen Erschöpfung und Müdigkeit (Fatigue-Syndrom) nach einer Nierenentnahme kommt es auf eine vollumfängliche Information und die Abwägung sowohl aus Spender- als auch aus Empfängersicht an. Es gibt auch Gründe, die gegen eine Spende sprechen. Diese sind eingehend zu erörtern.
Dass beklagte Mediziner zwei Jahre vor dem Eingriff eine Studie zu Fatigue nach Nierenlebendspende veröffentlicht hatten, zudem mit eindeutigem Ergebnis (bis zu 17 % der Spender leiden dauerhaft an einem Fatigue-Syndrom) und dann hierüber nicht ordnungsgemäß aufklärten, macht sprachlos (2016 – Friedersdorff et al. – Long-Term Donor Outcomes after Pure Laparoscopic versus Open Living Donor Nephrectomy: Focus on Pregnancy Rates, Hypertension and Quality of Life; Quelle: Urol Int 2016;97:450–456 doi: 10.1159/000447064).
Ralf Zietz, 1. Vorsitzender der Interessengemeinschaft Nierenlebendspende e. V., der als Beobachter der Verhandlung beiwohnte, zum Vergleich:
„Das auch von mir erkämpfte Grundsatzurteil des BGH zur Aufklärung wirkt. Es wird Zeit, dass dies in den Köpfen der Mediziner ankommt! Eine Nierenlebendspende muss eine Ausnahme bleiben. Sie darf nur unter sich in emotionaler Verbundenheit nahestehenden Menschen durchgeführt werden.
Die Risiken erlauben keine Ausweitung. Das ist meine deutliche Mahnung an die Politiker und Mediziner, die sich aktuell bei der Diskussion um die geplante Novellierung des Transplantationsgesetzes für eine Aufweichung der gesetzlichen Vorgaben der Organlebendspende aussprechen!“
Auskunft zum Verfahren erteilt:
Rechtsanwalt Konstantin Weinholz
Fachanwalt für Medizinrecht
c/o Fachanwaltskanzlei am Olivaer Platz
Olivaer Platz 16
10707 Berlin
Tel.: +49 30 20849645-0
E-Mail: weinholz@op16.de
Die vom Gesetzgeber bewusst streng formulierten und in § 19 Abs. 1 Nr. 1 TPG gesondert strafbewehrten Aufklärungsvorgaben sollen den potentiellen Organspender davor schützen, sich selbst einen größeren persönlichen Schaden zuzufügen; sie dienen dem „Schutz des Spenders vor sich selbst.“ Bundesgerichtshof am 29. Januar 2019 (VI ZR 495/16 und VI ZR 318/17)