Plopp, plopp, plopp. Fast wie im Takt einer Tennisballmaschine produziert Deutschlands Gesundheitsminister Ideen und Entwürfe für neue Gesetze, Verordnungen und Regulierungen. Vieles davon sei nicht evidenzbasiert, sondern vor allem der Absicht entsprungen, das Gesundheitswesen immer stärker zentralstaatlicher Lenkung und Kontrolle zu unterwerfen, sagt der Experte für Gesundheitspolitik Frank Rudolph. Den Schaden hätten vor allem die Patientinnen und Patienten, warnt der Geschäftsführer des Bundesverbandes Verrechnungsstellen Gesundheit e.V. (BVVG) und 1. Stellvertretende Vorsitzende des Gesundheitspolitischen Arbeitskreises der CDU NRW. Da Lauterbach Kritik an sich abperlen lasse, bleibe nur die Hoffnung, dass mehr Mandatsträger der Ampel auf Warnungen von Akteuren des Gesundheitswesens hören.
Lauterbachs „Verschlimmbesserung“
Von Frank Rudolph
Eines muss man Karl Lauterbach lassen: Er ist omnipresent. Der Vorrat an Ideen, Vorschlägen, Gesetzentwürfen, Ermahnungen und selbst an Plattitüden, mit denen der Bundesgesundheitsminister am laufenden Band von sich reden macht, scheint unerschöpflich zu sein. Dass so manches davon ebenso schnell in der Versenkung verschwindet wie seine berühmt-berüchtigte “Killervariante” des Coronavirus oder sein Vorhaben, landauf landab Gesundheitskioske als Ersatz für fehlende Arztpraxen aufzustellen, scheint ihm egal zu sein. Hauptsache der Professor bleibt im Gespräch.
Häme für ungebremstes Mitteilungsbedürfnis
Dabei treibt das Mitteilungsbedürfnis des Ministers schon mal eigenartige Blüten: “Krasser Regen, Gewitter direkt über Stadion. Spiel unterbrochen”, meldete er auf X vom Achtelfinale Deutschland-Dänemark. Als ob das nicht Millionen von Menschen dank Live-Übertragung selbst vor Augen hätten. Die Reaktionen trieften vor Häme. “Holen Sie sich keinen Schnupfen!”, empfahl ein Xer. Ein anderer fragte “Und wissen Sie auch, wer spielt? Und welche Sportart?”. Wo bleibt die “Impfpflicht für Wolken in Dortmund?”, wollte jemand wissen. Kein Wunder, dass auch die Forderung nach einem “Gewitterschutzplan” laut wurde.
Experten sind besorgt
Weniger ironisch, dafür umso besorgter, fallen Reaktionen in Fachkreisen auf Lauterbachs Gesetzesvorhaben sowie die Art und Weise aus, in der er sie durchzudrücken versucht. Seinen digitalen Klinikatlas etwa entlarvten Experten rasch als genau das, was er ist: Der Versuch, Deutschlands Klinikstruktur vom grünen Tisch aus neu zu ordnen, dabei die Länderhoheit bei der Krankenhausplanung zu umgehen und, last not least, einen weiteren Grundstein für ein Gesundheitswesen zu legen, das zentralstaatlich kontrolliert wird.
Verschleiert wurde das mit der – angesichts massiver Fehler bei Angaben zu Spezialisierungen und Fallzahlen der Krankenhäuser – hanebüchenen Behauptung, das Bundesgesundheitsministerium habe mit dem Klinikatlas für Transparenz gesorgt und einen „übersichtlichen Wegweiser durch den Krankenhaus-Dschungel in Deutschland“ geschaffen.
Medizinische Fachgesellschaften schlagen Alarm
Wie bitte? Dschungel? Wenn im deutschen Gesundheitswesen von einem Dschungel die Rede sein kann, dann wohl eher im Zusammenhang mit den verschlungenen Pfaden der Ideen- und Entscheidungsfindung im Bundesgesundheitsministerium (BMG). 20 medizinische Fachgesellschaften schlugen Alarm, kaum dass der Klinikatlas online war. In einem gemeinsamen Diskussionspapier sprachen sie von unbrauchbaren bis zu “medizinisch gefährlichen Angaben” des Portals. Der Atlas müsse als “für Patienten irreführend” eingestuft werden. Die Fachgremien forderten vehement, das Portal vom Netz zu nehmen.
Dass Lauterbachs Klinikatlas überflüssig wie ein Kropf ist, war allerdings schon vorher absehbar. Längst schon gibt es seriöse Möglichkeiten für Patientinnen und Patienten, sich anhand von Angaben der Krankenhäuser sowie einer ganzen Reihe von Ärzte- und Kinikbewertungsportalen zu informieren, wo ihre jeweilige Krankheit am besten behandelt werden könnte.
Kritik beeindruckt diesen Minister nicht
Lauterbach wäre freilich nicht Lauterbach, wenn ihn Kritik irgendwie beeindrucken würde. Zwar ließ er das Portal hier und da leicht korrigieren, aber nur um dann im ZDF zu verkünden, die neue, abgespeckte Version sei nun wirklich ganz prima – was die Fachwelt weiterhin bestreitet. Aus der Perspektive des Ministers ist der Klinikatlas freilich auch kein Fehler, sondern ein gewolltes Steuerungsinstrument für seine Krankenhausreform.
Wie umstritten dieses seit Jahren wichtigste, komplizierteste und zweifellos auch teuerste gesundheitspolitische Projekt ist, hat Ende Juni die erste Lesung des sogenannten Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetzes (KHVVG) im Deutschen Bundestag gezeigt. Ampelvertreter lobten es über den grünen Klee, die Opposition ließ an der Vorlage kaum ein gutes Haar. Derweil wachse insbesondere in den Kinderkliniken der Hauptstadt „die Sorge, dass die Reform statt zu helfen die Versorgungssituation noch weiter verschärfen wird“, mahnte die Berliner „taz“, die bekanntlich nicht im Verdacht steht, Sympathien für die Unionsparteien zu hegen. Ihre Einschätzung des KHVVG fasst sie in einer ebenso knappen wie treffenden Überschrift zusammen: „Die Verschlimmbesserung“.
Bei der Klinikreform geht es um das „Wie“, nicht um das „Ob“
Einig war man sich im Bundestag immerhin darin, dass unser Krankenhaussystem dringend reformbedürftig ist. Es gehe daher nicht um das “Ob”, sondern um das “Wie”, erklärte Tino Sorge, der gesundheitspolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion. Dass darüber in den Ausschüssen noch heftig gestritten werden wird, ist ebenso absehbar wie mögliche Klagen beim Bundesverfassungsgericht oder eine Notbremsung im Bundesrat.
Man kann nur hoffen, dass Lauterbach Tempo raus nimmt und sachlichen Prüfungen umstrittener Passagen des Gesetzestextes eine Chance gibt. Es dürfe nicht überstürzt werden, mahnte völlig zu Recht die Vorsitzende der Gesundheitsministerkonferenz (GMK), Kerstin von der Decken (CDU). „Ich bitte ausdrücklich darum, die Auswirkungsanalyse abzuwarten, bevor das Gesetz beschlossen wird.“
Die Länder brauchen mehr Zeit
Aus ihrer Sicht benötigen die Länder mehr Zeit, um die konkreten die Auswirkungen der Reform auf die jeweiligen Regionen zu prüfen – und dann eventuell Änderungen zu verlangen. „Bei jedem großen Bauvorhaben machen wir vorher eine Umweltverträglichkeitsanalyse. Und bei der größten Klinikreform der Geschichte wollen wir vorher keine Auswirkungsanalyse haben?“, zitierte das „Ärzteblatt“ kürzlich von der Decken.
Unbeantwortet blieben in der Bundestagsdebatte mindestens zwei der wichtigsten Fragen: Werden Deutschlands wirtschaftlich schwer angeschlagene Kliniken Lauterbachs Reform, die erst 2026 greifen könnte, überhaupt noch erleben oder wird das Kliniksterben bis dahin für eine schmerzhafte “kalte Strukturbereinigung” gesorgt haben? Und: Wer wird eigentlich politisch vom Krankenhaus- und Praxissterben profitieren, das vor allem in kleineren Städten und ländlichen Regionen bereits für erheblichen Bürgerfrust sorgt? Dass es nicht die Parteien der Mitte, sondern die an den rechten und linken Rändern sein werden, liegt auf der Hand.
Vom Niedergang im Gesundheitswesen profitieren linke und rechte Populisten
Es ist nachvollziehbar, wenn die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) auf das starke Abschneiden rechtsextremer und rechtspopulistischer Parteien bei den Europa- und Kommunalwahlen verweist und von der Ampelregierung eine Kurskorrektur auch in der Krankenhauspolitik fordert. Rechtsextreme und Rechtspopulisten hätten von Ängsten vieler Menschen profitiert, die unter anderem durch Missstände im Gesundheitswesen heraufbeschworen werden: Mehr und mehr Krankenhäuser schließen oder melden Insolvenz an, Praxen machen für immer dicht, weil Hausärzte keine Nachfolger finden, Facharzt-Termine werden zu Goldstaub und Wege zu Kliniken und Notaufnahmen werden besonders in ländlichen Regionen immer länger.
“Eine Krankenhauspolitik, die diese Prozesse verschärft und dem kalten Strukturwandel der wirtschaftlich bedingten Klinikschließungen tatenlos zuschaut, bereitet den Boden für demokratiefeindliche Entwicklungen, die am Ende weitaus mehr als die Gesundheitsversorgung betreffen”, warnt Gerald Gaß, der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG).
Experten werden ignoriert und diffamiert
Als Zusammenschluss von Spitzen- und Landesverbänden der Krankenhausträger sind der DKG gesetzlich wichtige Aufgaben im Rahmen der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen übertragen worden. Sie gehört neben den Kassenärztlichen Bundesvereinigungen und dem Spitzenverband Bund der gesetzlichen Krankenkassen zu den Trägern des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), des höchsten Gremiums der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen Deutschlands.
Das kann man zwar auch auf der Website des BMG nachlesen, doch diesen Minister hält das nicht davon ab, die DKG weitgehend zu ignorieren und ihre Repräsentanten als Lobbyisten zu diffamieren, die keine Ahnung hätten. “Sie setzen sich in jeglicher Hinsicht über die Köpfe der Akteure hinweg”, kritisierte Sepp Müller, der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, im Bundestag in Richtung Lauterbach. Er ignoriere genau die Akteure, die maßgeblich zum Gelingen einer vernünftigen Reform der Krankenhausfinanzierung beitragen können – und das erklärtermaßen auch wollen. Sepp Müller: “Wieso haben Sie nicht mit den Fachleuten gesprochen? Warum haben Sie wieder einmal jede Diskussion gescheut. Es zieht sich wie ein roter Faden durch Ihre Politik. Es gibt nur eine Meinung, die zählt – und das ist die Ihre.”
“Wir wissen, Spezialisierung rettet Leben, Schlaganfälle gehören in eine Klinik mit Stroke Unit, Krebspatienten gehören in ein führendes Zentrum”, sagte Tino Sorge in der Bundestagsdebatte. Um so schwerer sei nachzuvollziehen, wieso Lauterbach “diese Reform an den Rand des Scheiterns geführt hat”.
Differenzen zwischen Bund und Ländern
Auf Unverständnis stößt weithin auch Lauterbach Behauptung, Bund und Länder seien sich einig und würden bei der Reform an einem Strang ziehen. “Da wundert mich nur, warum es eine 16:0-Positionierung der Länder in der Gesundheitsministerkonferenz gibt”, sagte Sorge.
Ähnliche Vorwürfe hatte zuvor bereits Baden-Württembergs Gesundheitsminister Manfred Lucha erhoben. Der Grünen-Politiker warf dem SPD-Minister in der “Augsburger Allgemeinen” Wortbruch vor. Lauterbach habe bei der Reform “den Weg der Verständigung mit den Ländern verlassen und hält sich nicht mehr an gemeinsame Absprachen”, kritisierte Lucha, der die Verhandlungen über das Projekt aufseiten der Bundesländer leitet.
Womöglich sah sich Lauterbach schon auf der Zielgeraden, als er den Gesetzestext so umgestalten ließ, dass er nun im Bundesrat nicht mehr zustimmungsbedürftig ist. Doch die Länder können dort immer noch den Vermittlungsausschuss anrufen und damit das Verfahren abbremsen. Parteiübergreifend haben alle 16 Länder-Gesundheitsminister Änderungen am Gesetzentwurf gefordert und mit einer Blockade gedroht.
Lauterbach deutet plötzlich Entgegenkommen an
Ganz ohne Eindruck sind die Beschwerden anscheinend nicht an Lauterbach vorbeigerauscht. Neuerdings bietet er den Ländern einen „Jour fixe“ zur Besprechung von Einzelheiten der Klinikreform an, wie das „Ärzteblatt“ berichtete. Alle Ministerpräsidentinnen und -präsidenten sowie Gesundheitsministerinnen und -minister könnten sich im Abstand von zwei Wochen im Rahmen dieses Termins an ihn wenden, erklärte Lauterbach demnach vor dem Bundesrat. Er wolle nicht, dass es weitere Missverständnisse gebe. Ob Lauterbach damit nur Dampf vom Kessel nehmen will oder neuerdings tatsächlich bereit ist, auf die Länder zu hören, bleibt natürlich abzuwarten.
Anreize durch Fallpauschalen verschwinden nur zum Teil
Für Kritik sorgt auch, dass Lauterbach ständig den Eindruck zu erwecken versucht, die Fallpauschalen für die Vergütung von Krankenhausbehandlungen würden quasi abgeschafft oder zumindest soweit reduziert werden, dass sie für ärztliche Entscheidungen künftig keine Rolle mehr spielten. Begründet wird das damit, dass Kliniken künftig 60 Prozent der Vergütung allein schon für das Vorhalten bestimmter Angebote auf der Basis noch genauer zu definierenden Leistungsgruppen nach bundeseinheitlichen Qualitätsvorgaben bekommen sollen.
Damit verspricht er das Blaue vom Himmel. Denn wie soll es gelingen, die marktorientierte Logik des bestehenden Fallpauschalensystems zu überwinden, wenn Klinikbetreiber weiterhin ökonomische Anreize haben, möglichst viele teure Spezialbehandlungen abzurechnen? So dürften nicht wenige der Kliniken die geplante Vorhaltefinanzierung als feste Größe einplanen, während zugleich die verbliebenen Fallpauschalen als Tool zur Gewinnsteigerung betrachtet werden. Das wäre dann alles andere als eine “Entökonomisierung”.
Entbudgetierung ist kein Allheilmittel
Kaum weniger umkämpft als die Krankenhausreform ist das zweite große Gesetzesprojekt Lauterbachs, das inzwischen ebenfalls eine turbulente erste Lesung im Bundestag erlebte – das sogenannte Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz (GVSG). Eines der Kernvorhaben ist die bereits im Koalitionsvertrag der Ampel versprochene Aufhebung der Budgetobergrenzen für die Hausärzte.
Keine Frage: Wenn niedergelassene Ärzte künftig alle erbrachten Leistungen anständig bezahlt bekommen und die ihnen von der Gesetzlichen Versicherung (GKV) zugeteilten Budgets nicht mehr bereits im Herbst aufgezehrt sein sollten, wäre das gut und richtig.
Laut der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) ist dies statistisch am 15. November der Fall. Von da an müssen GKV-Patienten bislang praktisch “für Nasse” behandelt werden. Einzelne Facharztrichtungen stoßen laut KBV sogar noch früher an die Grenzen ihrer finanziellen Ausstattungen und führen rund 20 Prozent ihrer Behandlungen letztlich unentgeltlich durch.
Dennoch ist die Entbudgetierung alles andere als ein großer gesundheitspolitischer Wurf und auch kein Allheilmittel, das dafür sorgt, dass Wartezeiten in überfüllten Praxen spürbar reduziert und insbesondere Facharzttermine deutlich kurzfristiger zu bekommen sein werden. Zudem soll die Budgetierung ja allein für Haus- und nicht auch für Fachärzte aufgehoben werden. Dass es insgesamt in Deutschland mittlerweile zu wenig Arztpraxen gibt, wird durch eine gerechtere Bezahlung der vorhandenen Ärzte nicht von heute auf morgen zu ändern sein.
Konkrete Maßnahmen zur Patientensteuerung nicht außen vor lassen
Die Entbudgetierung allein werde nicht reichen, um “das Ruder rumzureißen”, warnte Markus Beier, Co-Bundesvorsitzender des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes nach Angaben des “Deutschen Ärzteblatts”. Die Tatsache, dass dafür auch konkrete Maßnahmen für eine bessere Patientensteuerung erforderlich seien, werde im Entwurf des GVSG komplett ignoriert.
Es ist doch klar, dass Ärzte auch bei anständiger Vergütung nicht 25 Stunden am Tag arbeiten können. Und dass auch ein angemessenes Budget keine neuen Ärzte herbeizaubern kann. Zusätzlich zur Entbudgetierung wären tiefgreifende Maßnahmen erforderlich: zur Entbürokratisierung der Praxisverwaltung, zur deutlichen Erhöhung der Zahl der Medizinstudienplätze, zur rascheren Prüfung und Anerkennung ausländischer Abschlüsse von Medizinern ebenso wie von Pflege- und Assistenzpersonal, ohne das keine Praxis auskommt.
Wer soll das bezahlen? Sozialabgaben dürfen nicht noch weiter wachsen
Abgesehen davon steht und fällt jedes Reformvorhaben mit der Finanzierung. Mit Blick auf den anhaltenden Haushaltsstreit in der Ampelkoalition und die vom Bundesverfassungsgericht bekräftigte Notwendigkeit, die Schuldenbremse einzuhalten, will Lauterbach den geplanten Transformationsfonds für die Klinikreform in Höhe von 50 Milliarden Euro zur Hälfte von den gesetzlichen Krankenkassen finanzieren lassen. Die schreien Zeter und Mordio, weil sie ohnehin schon defizitär arbeiten und das zusätzliche Geld nur durch kräftige Beitragserhöhungen aufbringen könnten.
Damit würden die Sozialabgaben in Deutschland noch weiter steigen, was nach Überzeugung von Ökonomen direkte negative Folgen nicht nur für die privaten Haushalte, sondern auch für die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen hätte. Sepp Müller warf der Ampelkoalition angesichts dessen vor, sich weiterhin als “Teuerkoalition” zu gerieren. Ausgerechnet ein sozialdemokratischer Gesundheitsminister sorge dafür, “dass die Beitragszahler noch tiefer in die Tasche greifen müssen”. Den Bürgern werde unterm Strich noch weniger vom hart erarbeiteten Geld bleiben. “Mit Ihrem Rückgriff auf die Beitragszahler zahlt ein Rentnerehepaar zukünftig 490 Euro mehr.”
Ampelfraktionen „entnervt“ über unabgestimmten Vorstoß
Derweil tut der Bundesgesundheitsminister so, als käme die grundsätzliche Einigung in der Bundesregierung auf einen Haushalt für 2025 nicht einem Sparprogramm, sondern der Indienststellung eines Goldesels gleich, der auf Wunsch hinten und vorne Goldstücke auswirft. In der “Bild”-Zeitung kündigte er an, sein neuestes Vorhaben – das „Gesundes-Herz-Gesetz“ – bald in die Spur zu bringen. In den Ampelfraktionen habe man “entnervt” auf diesen unabgestimmten Vorstoß reagiert, berichtete der Fach-Newsletter “Gesundheit & E-Health” des Berliner “Tagesspiegel” und fügte hinzu: “Nicht nur deswegen stellt sich die Frage, welche Chance dessen Präventionsoffensive außerhalb der Medien – nämlich im parlamentarischen Prozess – hat.”
Ärztepräsident warnt vor ordnungspolitischem Chaos
Zu hoffen bleibt, dass die Mandatsträger der Ampel wenigstens dann auf Fachleute und Praktiker des Gesundheitswesens hören werden. Zum Beispiel auf den Präsidenten der Bundesärztekammer: Es sei zwar richtig, einen stärkeren Fokus auf Herz-Kreislauferkrankungen zu legen, erklärte Klaus Reinhardt. Jedoch müssten Prävention und Therapie “auf wissenschaftlicher Evidenz basieren, nicht auf Vorgaben von Politik und Behörden”. Stattdessen wolle das Bundesgesundheitsministerium die Entwicklung der Herz-Vorsorge per Rechtsverordnung an sich ziehen und sich dabei “sogar explizit von der Beachtung der medizinischen Evidenz” entbinden. Ausdrücklich warnte Reinhardt: “Dieser Eingriff in die Kompetenzen der Selbstverwaltung führt nicht zu einer besseren Versorgung, sondern gefährdet die Qualität und Akzeptanz von Vorsorgeuntersuchungen und führt zu ordnungspolitischem Chaos.”
Der Autor: Frank Rudolph (Jahrgang 1960) ist mit dem deutschen Gesundheitswesen, insbesondere mit der Kalkulation und Abrechnung medizinischer Leistungen, seit vielen Jahren vertraut. Als Geschäftsführer des Bundesverbandes Verrechnungsstellen Gesundheit e.V. (BVVG) kennt er die Folgen gesundheitspolitischer Weichenstellungen in Bund und Ländern für die medizinische Versorgung der Bevölkerung – vor allem hinsichtlich des Verhältnisses von Kosten und Nutzen. Der in Essen geborene Betriebswirt ist Mitglied der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der CDU/CSU. Von 2007 bis 2013 war Rudolph Mitglied der Bundeskommission Gesundheit. Seit 2007 ist er 1. Stellvertretender Vorsitzender des Gesundheitspolitischen Arbeitskreises der CDU NRW.