Berlin – Mit ihrem neu eingeführten Branchenbarometer zum Ende der letzten Legislaturperiode des Kabinetts Merkel gibt die Europäische Herstellervereinigung für Kompressionstherapie und orthopädische Hilfsmittel (eurocom) erstmals eine Einschätzung ihrer Mitglieder zum Hilfsmittelmarkt und seiner Rahmenbedingungen in Deutschland. Die Befragung wurde im Mai 2021 mit einer Beteiligung von 72 Prozent der eurocom-Unternehmen durchgeführt. Sie zeigt, trotz Einbußen, die Standfestigkeit der Branche nach über einem Jahr Pandemieerfahrung. Vor allem aber wirft sie ein Licht auf die Hemmnisse, die aus Sicht der Hersteller der im SGB V verankerten qualitätsorientierten und den medizinischen Fortschritt berücksichtigenden Hilfsmittelversorgung entgegenstehen. Schwerwiegendste Hemmnisse sind demnach das unsichere Verfahren zur Aufnahme neuartiger Produkte in das Hilfsmittelverzeichnis (HMV) sowie die kostenintensiven regulatorischen Auswirkungen der Medical Device Regulation (MDR). „Das sendet deutliche politische Signale. Wir brauchen transparentere Verfahren, damit Patienten zügiger von Innovationen profitieren können und der therapeutischen Relevanz medizinischer Hilfsmittel besser Rechnung getragen wird. Wir benötigen außerdem Mechanismen, die Patientensicherheit und den fairen Wettbewerb im europäischen Markt schützen“, so das Fazit von eurocom-Geschäftsführerin Oda Hagemeier.
HMV-Verfahren muss transparenter und standardisiert werden
Deutschland ist für über 80 Prozent der eurocom-Mitglieder der wichtigste Markt. Ausschlaggebend ist dabei für 96 Prozent das hohe Versorgungsniveau der Patienten. Risikopotenzial für die Aufrechterhaltung und Weiterentwicklung des Standards sehen 61,5 der Befragten im unklaren Verfahren zur Aufnahme neuartiger Produkte ins Hilfsmittelverzeichnis und identifizieren dieses als größtes Markt- und Innovationshemmnis. Aufnahmeanträge wurden bislang bei 66 Prozent der Befragten abgelehnt, bei 59 Prozent war dies kein Einzelfall. Vermisst werden die adäquate Einbindung interprofessioneller Expertise (42,3 Prozent) und die angemessene Beachtung medizinischer Leitlinien (ebenfalls 42,3 Prozent). Oda Hagemeier erklärt dazu: „Wir brauchen ein klares und standardisiertes Verfahren zur Aufnahme neuartiger Produkte ins Hilfsmittelverzeichnis, insbesondere zur Anerkennung des medizinischen Nutzennachweises, unter stärkerer Berücksichtigung medizinischer Leitlinien. Nur so ist das HMV in der Lage, den medizinisch-technischen Fortschritt und die Entwicklungen der Digitalisierung adäquat abzubilden und damit zukunftsfest zu sein. Deshalb fordert eurocom die Bildung einer beratenden Expertenkommission, die auf Antrag der zur Stellungnahme berechtigten Organisationen verpflichtend zum Einsatz kommt. Entscheidungsprozesse rund um das Hilfsmittelverzeichnis werden so objektiviert und für alle nachvollziehbar.“
Strenge Regeln des EU-Marktes müssen für alle Marktteilnehmer gelten
Die MDR erweist sich für die eurocom-Mitglieder als Kostentreiber, ihr bürokratischer Aufwand ist hoch. 61,5 Prozent der Befragungsteilnehmer bezeichnen sie als Markthemmnis, für 96 Prozent sind zusätzliche Kosten bei einer Gesamtkostensteigerung von bis zu 10 Prozent entstanden. Diese schlagen sich dabei vor allem in zusätzlichem Personal nieder, berichten 84,6 Prozent, sowie in klinischen Prüfungen (50 Prozent). Die Schlüsse liegen für Oda Hagemeier auf der Hand: „Die Unternehmen investieren viel, um MDR-konforme Medizinprodukte – und damit hohe Patientensicherheit – zu gewährleisten. Umso wichtiger ist eine konsequente EU-Marktüberwachung. Der Marktzugang nicht-konformer Produkte der Freiverkaufslandschaft muss verhindert werden. Für fairen Wettbewerb und mehr Patientensicherheit.“
eurocom-Mitglieder weitestgehend stabil in der Corona-Krise
Die Unternehmen der Herstellervereinigung zeigen sich nach über einem Jahr Pandemie überwiegend als krisensichere Betriebe und Arbeitgeber.
88 Prozent der Befragten konnten alle Arbeitsplätze erhalten. Die Mehrheit, nämlich 69 Prozent, griff dabei auf das Instrument der Kurzarbeit zurück, von der mindestens die Hälfte der Belegschaft betroffen war bei einer durchschnittlichen Dauer von zwei bis zehn Monaten. Um die Patientenversorgung auch während einer Pandemie zu sichern, müsste ein gesundheitspolitisches Krisenmanagement gewährleisten, dass Hersteller als versorgungsrelevant anerkannt und bevorzugt bei Schutzvorkehrungen (PSA, Impfung) berücksichtigt werden. Das geben 53,8 Prozent der Befragten an.
Umsatzrückgänge in 2021 im Vergleich zum präpandemischen Jahr 2019 erwartet über die Hälfte (54 Prozent) – und zwar in einer Spannbreite zwischen 10 und 20 Prozent. Zurückgeführt werden diese vor allem auf externe Ursachen. Dass Patienten seltener ihre Ärzte und Sanitätsfachhändler konsultierten und somit weniger Verordnungen und Versorgungen generiert wurden, sind für 65,4 Prozent bzw. 57,7 Prozent die wichtigsten Gründe. Daraus ergeben sich laut Hagemeier Lehren für die Zukunft: „Die Pandemie hat Verunsicherung in der Bevölkerung ausgelöst, Patienten haben aus Furcht vor Ansteckung mit dem Virus auch notwenige Untersuchungen und Behandlungen unterlassen, auch solche, auf die sie für eine dauerhafte Versorgung zur Linderung ihrer Beschwerden dringend angewiesen sind. Daher ist es erstens unerlässlich, dass Folgeverordnungen von zum Gebrauch bestimmten Hilfsmitteln in Pandemiezeiten kontaktlos möglich sind. Zweitens müssen ärztliche und nichtärztliche Leistungserbringer in einer Pandemie befähigt werden, einen sicheren Versorgungsalltag mit den gebotenen Hygiene- und Schutzmaßnahmen aufrechterhalten zu können.“
Über eurocom
eurocom ist die Herstellervereinigung für Kompressionstherapie, orthopädische Hilfsmittel und digitale Gesundheitsanwendungen. Der Verband versteht sich als Gestalter und Dialogpartner auf dem Gesundheitsmarkt und setzt sich dafür ein, das Wissen um den medizinischen Nutzen, die Wirksamkeit und die Kosteneffizienz von Kompressionstherapie und orthopädischen Hilfsmitteln zu verbreiten. Zudem entwickelt eurocom Konzepte, wie sich die Hilfsmittelversorgung aktuell und in Zukunft sicherstellen lässt. Dem Verband gehören nahezu alle im deutschen Markt operierenden europäischen Unternehmen aus den Bereichen Kompressionstherapie und orthopädische Hilfsmittel an.