Tübingen / Wacken – Der polnische Metalsänger Adam Darski genannt „Nergal“ berichtet in der aktuellen Interviewreihe „Sommergespräch“ über seinen härtesten Kampf: Den, um sein Überleben nach der Schockdiagnose Blutkrebs. Gemeinsam mit der DKMS startet er einen eindringlichen Hilfsappell. Es folgt eine Welle der Solidarität, die ihn bis heute bewegt: Denn mehr als 80.000 Menschen allein in Polen und Deutschland lassen sich daraufhin als potenzielle Spender registrieren.
Er sagt: „Ich bin der lebende Beweis, dass es funktioniert und ich bin euch super dankbar. Es ist kein großer Aufwand, sich registrieren zu lassen. Es sind nur fünf Minuten Deines Lebens, die für jemand anderen die ganze Welt bedeuten können. So wie für mich!“
Es ist ihm neben dem Aufruf zur Registrierung in die DKMS ein großes Anliegen, auch auf das Thema Vielfalt hinzuweisen. Denn diese macht Gesellschaften aus und spielt vor allem auch im Kampf gegen Blutkrebs eine lebenswichtige Rolle. In diesem Kontext hat für ihn der Song „Blood Brothers“ von den Kultrockern der Band Iron Maiden eine besondere Bedeutung: Wir sind über unser Blut verbunden und alle Menschen sind gleich.
Rückblick: 2010 erhält der heute 41-jährige Frontmann und Sänger der international sehr bekannten polnischen Deathmetal-Band Behemoth die Diagnose Blutkrebs und schnell ist klar, dass er auf eine Stammzelltransplantation angewiesen ist. Ein Riesenschock für Nergal und auch für die weltweite Heavy-Metal-Fangemeinde, an die er sich mit seiner Hilfsbotschaft richtet – für sich, aber auch für alle anderen Patienten auf der Suche nach einem geeigneten Stammzellspender.
Gemeinsam mit der DKMS in Polen beginnt er daraufhin, lebensrettende Aufmerksamkeit für das Thema zu schaffen und die Öffentlichkeit zu sensibilisieren. In allen Teilen Polens werden in seinem Namen Registrierungsaktionen veranstaltet und auf die Möglichkeit der Online-Registrierung hingewiesen – mehr als 70.000 Menschen lassen sich daraufhin in die polnische DKMS-Datei aufnehmen. Auch in Deutschland hat Nergal viele Fans, die sich um ihn sorgen und sich daher als potenzielle Spender registrieren lassen.
Immer wieder wendet sich Nergal in dieser Zeit aus dem Krankenhaus an die Öffentlichkeit und berichtet über seinen Gesundheitszustand. Irgendwann dann die erlösende Nachricht: Ein passender Spender ist gefunden, der ihm eine zweite Chance auf Leben schenkt. „Ohne die Unterstützung von so vielen Menschen wäre dies nicht möglich gewesen“, so Nergal kurz vor der Transplantation. Zwei Jahre später – am 19. Dezember 2012 – lernt er in Warschau seinen Lebensretter kennen: Grzegorz Katja, ebenfalls aus Polen. Landauf, landab berichten die Medien erneut – es ist das Hauptthema der polnischen News-Programme sowie in den führenden Tageszeitungen. 6000 Menschen fordern daraufhin über die Homepage von DKMS Polen Registrierungssets an.
Auch acht Jahre nach der Diagnose ist Nergal immer noch überwältigt von der Hilfsbereitschaft und Solidarität, die er während seiner Krankheit erfahren hat und es ist ihm seither eine Herzensangelegenheit, sich für den Kampf gegen Blutkrebs einzusetzen.
Lieber Nergal, das W:O:A Festival engagiert sich seit nunmehr 5 Jahren in außergewöhnlichem Maße für das Thema Stammzellspende. Mehr als 6000„Metal Heads“ haben sich im Zuge dessen registrieren lassen – 28 davon haben bereits tatsächlich Stammzellen für Patienten weltweit gespendet. Wie ist es für Dich zu hören, dass sie die Heavy-Metal-Szene so ein großes Herz für den Kampf gegen Blutkrebs beweist?
Ich bin überwältigt. Es fühlt sich einfach nur gut an, dass es diese Welle der Solidarität gibt und dass die Menschen sich für andere, die Hilfe benötigen, einsetzen. Auch ich war auf diese Hilfe angewiesen. Als ich damals im Krankenhaus war und gehört habe, dass die Metal-Community und auch viele andere dem Appell folgen, die Tests einsenden und sich bei der DKMS registrieren lassen, war das für mich sehr wichtig.
Die Registrierung an sich ist sehr einfach, überhaupt nicht schmerzhaft und ich bin unglaublich froh, dass immer mehr Menschen als Spender zur Verfügung stehen. Ich spreche da aus eigener Erfahrung: Ihr habt mein Leben gerettet. Also fühle ich mich mit dem Anliegen sehr verbunden. Ich lebe – und wenn es die DKMS nicht gäbe, würde ich vielleicht nicht hier sitzen, mich nicht auf die nächste Show vorbereiten. Das Thema bedeutet mir wirklich viel.
Du hast es gerade schon angesprochen. Du hattest selbst Blutkrebs, weshalb Du eine sehr persönliche Verbindung zu dem Thema hast. Wann und wie hast Du die Diagnose erhalten? Was folgte darauf?
Als ich damals die Diagnose bekam, war es ein echter Schock – so, als hätte mich jemand mit einem Schlag genau zwischen die Augen getroffen und mich damit außer Gefecht gesetzt. Aber ich bin ein Kämpfer, ich bin ein Soldat, also habe ich mich zusammengerissen und nach fünf Minuten gedacht: Okay, so ist es jetzt eben. Also, steh auf und schaff das! Und dann habe ich mich auf einen harten Kampf vorbereitet, habe meine Fühler in die ganze Welt ausgestreckt und versucht, so viele Informationen wie möglich zu erhalten.
Durch meine Exfreundin bin ich mit der damaligen Leiterin der DKMS in Polen in Kontakt gekommen, die seitdem eine gute Freundin von mir ist. Sie hat wirklich alles getan und auch dafür gesorgt, dass alle anderen Vollgas geben, um mir zu helfen.
Ich hatte großes Glück, es wurde drei oder vier Wochen nach einem möglichen Spender gesucht. Vier, bei denen eine hohe Übereinstimmung vorlag, kamen in die engere Auswahl – sodass eine erfolgreiche Transplantation relativ gute Chancen hatte.
Das hat mich erst mal beruhigt. Aber Du kannst dich in so einer Ausnahmesituation natürlich nie sicher fühlen, aber es hat mir Hoffnung gegeben und ich habe mich besser gefühlt – ein bisschen Ruhe in einer sehr beunruhigenden Situation.
Du bist mit Deiner Krankheit offensiv an die Öffentlichkeit gegangen. Wie wichtig war es Dir, damit auf das lebensrettende Thema aufmerksam zu machen?
Es war mir sehr wichtig. Die Aufmerksamkeit und das Verständnis für das Thema war damals in Polen noch nicht so groß. Es ging aus meiner Sicht zu dem Zeitpunkt schleichend voran – die Menschen wussten einfach noch nicht viel darüber.
Aber damals – ich habe es nicht so mit Zahlen – sah es grob so aus: In Deutschland gab es zwei Millionen potenzielle Stammzellspender, in Polen hingegen nur ein paar Tausend. Es war einfach ein riesengroßer Unterschied! Aber dann kam der Stein ins Rollen, so hat es angefangen, es war verrückt! Als klar war, dass es einen Spender für mich gibt, haben wir entschieden, dies erst mal noch nicht öffentlich zu machen, damit sich noch mehr Leute registrieren. Und das war eine kluge Idee, weil wir deshalb so viele Menschen mehr dazu bewegen konnten. Ich weiß nicht, wie viele es letztendlich waren, aber seitdem wuchs die Datei und wächst weiterhin. Das ist großartig!
Ich bin also der lebende Beweis, dass es funktioniert und ich bin euch super dankbar. Ich bin jedem dankbar, der involviert war und dass ihr diesen Aufwand betrieben habt. Es ist – wie bereits schon gesagt – kein großer Aufwand sich registrieren zu lassen. Es sind nur fünf Minuten deines Lebens und für jemand anderen kann es die ganze Welt bedeuten. Ich bin einfach nur dankbar, zu leben und ich fühle mich mit der ganzen Bewegung sehr verbunden. Es ist großartig und es funktioniert – ich bin das lebende Beispiel!
Wie hast Du die erste Begegnung mit deinem Spender erlebt und was bedeutet er für dich? Seid ihr immer noch in Kontakt?
Wir sprechen uns von Zeit zu Zeit. Er lebt in der Nähe von Katowice, in Schlesien im Süden Polens. Er ist Bergarbeiter und müsste aktuell 30 Jahre alt sein – er ist noch richtig jung. Er war damals 25 Jahre alt, wenn ich mich recht erinnere, als er mir sein Knochenmark gespendet hat. Das letzte Mal, als ich dorthin zu einem unserer Konzerte gefahren bin, habe ich ihn angerufen. Er ist leider nicht ans Telefon gegangen – vermutlich war er zu dem Zeitpunkt 30 Meter unter Tage und hat deshalb nicht abgehoben. Er hat mich später zurückgerufen und ich habe ihn zu unserer Show eingeladen, damit wir uns austauschen und zusammen Zeit verbringen können, aber er hat es leider nicht geschafft. Aber dieses Gespräch bringt mich wieder dazu, mich bei ihm zu melden, ihm eine Nachricht zu schreiben und ihm noch mal Danke zu sagen, für das, was er für mich getan hat.
Aus Deiner Sichtweise: was verbindet Musik und den Kampf gegen Krebs?
Ich bin ein Künstler und in gewisser Weise ein Poet – also kann ich jetzt diese sehr schöne Metapher bauen: Hey, wir sind Metalheads und da gibt es den Iron Maiden Song „Blood Brothers“ – der bedeutet, dass wir über unser Blut verbunden sind. Ich könnte immer so weiter machen. Heavy Metal ist eine sehr rebellische Form der Kunst. Es geht nicht um Bequemlichkeit und es geht auch nicht um Konfrontation. Es geht nur ums Rebellieren, nur darum. Es geht um Kampf, es geht um die Auseinandersetzung – das ist Heavy Metal. Also denke ich, dass das die stärkste Verbindung mit dem Kampf gegen Krebs ist, egal welche Art von Krebs.
Ich will damit sagen: Wir setzen uns konkret für eine bestimmte Art von Krebs ein, aber alleine die täglichen Hindernisse und Probleme zu bekämpfen, das ist schon Heavy Metal!
Also würde ich sagen: Wenn du ein Metalhead bist, ist es keine „Pussy Attitüde“, es ist tatsächlich eine wirkliche „Heavy Metal-Attitüde“, anderen Menschen zu helfen. Es ist eine rebellische, eine echte „Fuck you-Attitüde“. Also wenn du es machen kannst, tu es einfach – denn das ist wirklich Heavy Metal. Zumindest meiner Meinung nach.
Das Prinzip der Stammzellspende ist ein System, das auf Solidarität basiert. Wie wichtig ist für Dich dieser internationale Gedanke?
Ich bin ganz klar für den Gedanken „keine Grenzen”, in jeder möglichen Dimension. Wir sind – und ich weiß, es klingt klischeehaft und sehr pathetisch – eine Familie und alle einfach Menschen. Wir sind zwar in verschiedene Ethnien unterteilt, aber das ist letztendlich egal, denn die „schwarze“ Person kann einer „weißen“ Person das Leben retten und umgekehrt. Und es ist auch egal, ob du beispielsweise Jude oder Inder bist. Es ist so: Am Ende geht es um eine ganz grundlegende Sache: anderen Leuten das Leben retten, ganz gleich was ist.
Ich spreche von verschiedenen Ländern und unterschiedlichen Hautfarben, doch es geht um jede mögliche Ebene – keine Grenzen auf allen Ebenen.
Folgendes sage ich den Leuten, die mich fragen „Was ist, wenn dein Spender katholisch ist?“. Ich meine, wenn du intelligent bist, kannst du die Metal-Sprache nutzen – denn dies spielt ja nun wirklich überhaupt keine Rolle. Es ist doch vielmehr diese gemeinsame Basis, die wir teilen können und diese Basis ist sehr menschlich und empathisch und bedeutet, auf den anderen Menschen zugehen. Für mich klingt das sehr grundlegend. Es ist diese Empathie. Es ist ganz einfach: Ich kann Dir immer helfen und mir ist es egal, wie etwa Deine sexuelle oder politische Orientierung, deine Hautfarbe oder irgendetwas anderes ist. Das ist deine private und persönliche Sache: Was Du bist, wer Du bist, woran du glaubst.
Wir können über uns hinauswachsen, wir können uns einfach auf dieser grundlegenden Basis treffen und dieser Welt etwas Gutes tun. Also: keine Grenzen!