Mainz – Wissenschaftler der Universitäten Mainz und Bonn werden das sogenannte Endocannabinoid-System genauer unter die Lupe nehmen. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) fördert die Forschergruppe in den nächsten drei Jahren mit 3,1 Millionen Euro. Endocannabinoide tragen ihren Namen in Anlehnung an die Hanfpflanze Cannabis. Sie ähneln dem Hanf-Inhaltsstoff Tetrahydrocannabinol (THC), der für die berauschende Wirkung von Marihuana verantwortlich ist. Im menschlichen Körper spielt das Endocannabinoid-System eine sehr wichtige Rolle: Läuft es aus dem Ruder, können Gedächtnisstörungen, Neurodegeneration, Schmerz, Herzkrankheiten, Allergien oder Osteoporose die Folge sein.
Um die berauschende Wirkung der Hanf-Pflanze Cannabis weiß die Menschheit schon seit mehr als 4000 Jahren. Verantwortlich ist ihr Inhaltsstoff Tetrahydrocannabinol: THC dockt im Gehirn an bestimmte Stellen auf den Neuronen an, den sogenannten CB1-Rezeptoren. Dadurch verändert es die Signalverarbeitung – die Folge ist ein Rauschzustand, ein “High”.
Dass es Cannabinoid-Rezeptoren überhaupt gibt, hat einen guten Grund: Auch der menschliche Körper selbst stellt nämlich Substanzen her, die an den Rezeptor binden. “Diese Endocannabinoide sind Abkömmlinge von bestimmten Fettsäuren und können die neuronale Signalübertragung und das Verhalten beeinflussen, beispielsweise das Gedächtnis, oder sie können auch neuroprotektiv wirken”, erklärt Prof. Dr. Beat Lutz vom Institut für Physiologische Chemie und Pathobiochemie der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. “Interessanterweise entfalten Endocannabinoide aber auch in anderen Zellen des Körpers eine Wirkung, so in Immun-, Herz- oder Hautzellen”, erläutert Prof. Dr. Andreas Zimmer vom Institut Molekulare Psychiatrie der Universität Bonn. Er konnte kürzlich nachweisen, dass Cannabinoid-Rezeptoren das Knochenwachstum oder auch Entzündungsvorgänge in der Haut regulieren. Dazu binden sie an eine andere Zielstruktur, den CB2-Rezeptor.
Inzwischen kristallisiert sich heraus, dass das Endocannabinoid-System im Körper eine zentrale Funktion ausübt: “Eine zentrale Arbeitshypothese dieser kollaborativen Forschung ist, dass das Endocannabinoid-System in Regelmechanismen eingebunden ist, die den Körper nach Stress verschiedenster Art wieder ins Gleichgewicht bringen können”, so die beiden Sprecher der Forschergruppe. Beispielsweise schüttet der Körper bei Gefahr Botenstoffe aus, die die Herzfrequenz, den Blutdruck und den Blutzucker erhöhen. So kann der Betroffene gegebenenfalls schnell flüchten – oder sich einem Kampf stellen. Ist die Gefahr vorbei, beruhigt sich der Organismus wieder. Und gerade für diese Rückkehr zum Normalzustand scheinen Endocannabinoide wichtig zu sein.
Dauerstress ist für den Körper sehr schädlich. Eine Fehlfunktion des Endocannabinoid-Systems kann daher vermutlich zu ernsthaften Krankheiten führen – darunter Depressionen, chronische Schmerzen, Herzkrankheiten oder Drogensucht. Die Arbeitsgruppen in Bonn und Mainz wollen deshalb unter anderem herausfinden, wie der Körper das System reguliert. Endocannabinoide haben eine kurze Lebensdauer – oft nur Minuten oder noch weniger. Es soll untersucht werden, wie die Regulation genau erfolgt und ob mit Medikamenten in das System therapeutisch eingegriffen werden kann. Im Tierexperiment wollen die Wissenschaftler zudem detaillierter untersuchen, welche Folge eine Fehlfunktion der CB1- und CB2-Rezeptoren haben kann. Mittelfristig erhofft sich die Forschergruppe neue Erkenntnisse, wie Depressionen, Gedächtnisstörungen, Morbus Alzheimer oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen entstehen und sich eventuell therapieren lassen.
Kontakt und Informationen:
Univ.-Prof. Dr. rer. nat. Beat Lutz Institut für Physiologische Chemie und Pathobiochemie Physiologische Chemie Johannes Gutenberg-Universität Mainz Tel. 06131 39-25912 Fax 06131 39-23536 E-Mail: beat.lutz@uni-mainz.de http://www.uni-mainz.de