Berlin – Kindheit und Jugend sind besondere Phasen im Leben eines jeden Menschen. Hier werden viele Grundlagen gelegt, die das gesamte weitere Leben beeinflussen. Die meisten seelischen Erkrankungen Erwachsener haben Vorläufer oder ihren Beginn in der Kindheit und Jugend. In den letzten Jahrzehnten ist die Aufmerksamkeit für psychische Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen stetig gewachsen, die Covid-19-Pandemie, so könnte man meinen, hat das Fass zum Überlaufen gebracht. Dabei sind die jetzt zu beobachtenden Entwicklungen schon länger sichtbar. Es ist sehr gut und sehr wichtig, dass die Aufmerksamkeit und Sensibilität für dieses wichtige Thema enorm gewachsen sind, gleichzeitig scheint ein permanentes „Mehr“ an Therapieangeboten die Situation nicht wirklich entspannen zu können. Die Angebote sind in den letzten Jahrzehnten enorm ausgebaut worden, dies droht in der aktuellen Diskussion immer ein wenig unterzugehen.
Das Bündnis für Kinder- und Jugendgesundheit hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Gesamtentwicklung der Kinder und Jugendlichen im Blick zu behalten. Dabei wird sehr rasch deutlich, dass seelische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen zunächst einmal eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist. Es ist kaum zielführend, immer nur auf die natürlich sehr wichtigen Angebote einer Therapie bei einer Erkrankung zu schauen. Wir müssen viel mehr auf die auslösenden und aufrechterhaltenden Faktoren schauen und die vorhandenen Ressourcen unserer Gesellschaft im Sinne der Kinder nutzen. Familien, Kita, Schule, Vereine, private Bildungsangebote, die finanzielle Ausstattung einer betroffenen Familie und viele weitere Aspekte tragen oft ganz wesentlich dazu bei, dass ein Kind seelisch gesund aufwächst. Wir dürfen nicht dabei stehen bleiben, mehr Therapie anzubieten. Wir müssen vielmehr die vorhandenen Ressourcen miteinander in einen Austausch, in Kooperation bringen, um unsere soziale Umwelt wie auch die ökologische so zu gestalten, dass wir Kindern und Jugendlichen zu ihren Rechten, die sie meist noch nicht selbst hinreichend vertreten können, verhelfen.
Kinder- und Jugendgesundheit seelisch wie auch körperlich ist ein Querschnittsthema der Gesellschaft. Kinder brauchen eine Umwelt, in der sie sich entwickeln können, sie lernen können, eine Umwelt, die sie nicht krank macht. Ein Arbeitgeber, der die Nöte berufstätiger Eltern ernst nimmt und ihnen einen gewissen Vorrang einräumt, trägt zur seelischen Gesundheit eines Kindes bei, weil er viel Druck aus der Familie nehmen kann. Fachkräftemangel darf jetzt nicht dazu führen, einfach die öffentlichen Kinderbetreuungszeiten zu verlängern, damit mehr Eltern berufstätig sein können. Es braucht ein konsequentes Mitdenken der Belange von Familien und hier insbesondere der Kinder in allen gesellschaftlichen Bereichen.
Das Bündnis Kinder- und Jugendgesundheit setzt sich seit vielen Jahren dafür ein, Kinderrechte im Grundgesetz zu verankern oder eine/n Kinderbeauftragte/n der Bundesregierung bzw. des Bundestages zu etablieren, um die besonderen Erfordernisse dieser vulnerablen gesellschaftlichen Gruppe im Blick zu behalten und konsequent daran zu arbeiten, die Lebensbedingungen von Kindern und Jugendlichen bei Gesetzesentwürfen oder sonstigen Planungen im Blick zu behalten. „Wir werden eine verbesserte seelische Gesundheit junger Menschen nur schaffen, wenn wir es als gesamtgesellschaftliche Aufgabe begreifen und unsere Umwelt so gestalten, dass sie sich darin entwickeln können“, erklärt Dr. Gundolf Berg, Mitglied des Gesamtvorstandes des Bündnisse KJG, zugleich Vorstandsvorsitzender des BKJPP, und fügt ergänzend hinzu, “wir müssen sie nicht reparieren, wenn wir es schaffen, dass sie sich gut entwickeln können!“
Wir brauchen viel mehr an gesunden Umgebungsbedingungen in allen Lebensbereichen von Kindern und Jugendlichen. Dabei sollte der Blick weniger auf mögliche Auffälligkeiten und die Empfehlung zu externer Hilfe/Therapie gehen als vielmehr dahin, was der jeweilige Lebensbereich selbst tun kann, um gesunde Bedingungen herzustellen. Dabei ist mehr Vernetzung zwischen Kinder- und Jugendärzt:innen und Kinder- und Jugendpsychiater:innen und -psychotherapeut:innen, mehr Vernetzung zwischen dem Gesundheitssystem, der Schule und der Jugendhilfe unbedingt hilfreich, um die Betroffenen möglichst frühzeitig beraten zu können und bei Bedarf passgenau Hilfen anbieten zu können. Wir können so dazu beitragen, den Bedarf an Psychotherapien zu reduzieren. Unbenommen ist, dass für all diejenigen, die erkrankt sind, ausreichend Therapiemöglichkeiten vorhanden sein müssen. Eine gute Kooperation und Vernetzung der bestehenden Angebote können dann zur Heilung wesentlich beitragen.