Schwaikheim, 8. Januar 2018 – Die Sängerin, Rapperin, Produzentin, Illustratorin und Zeichnerin Kokee Thornton hat mit “Heute liegt ein Stein auf mir” einen sehr eindrucksvollen und intensiven Song über Depressionen veröffentlicht. Das Video dazu hat sie selbst gezeichnet, zu sehen und zu hören auf Youtube, unter „Kokee Thornton“. Alle Infos über die Künstlerin finden Sie unter www.kokeethornton.com. Die Deutsche DepressionsLiga e.V. dankt Kokee Thornton sehr für dieses Lied und ihr sicht- und hörbares Engagement für Betroffene. Im Interview erklärt sie die Hintergründe zu „Heute liegt ein Stein auf mir“ und warum sich ihrer Meinung nach Depressive nicht schämen müssen, sondern diejenigen, die die Depression nicht als Krankheit ansehen und Betroffene stigmatisieren.
Liebe Kokee Thornton, gibt es einen bestimmten Grund, warum Sie einen Song zum Thema Depression geschrieben haben?
Kokee Thornton: Ausschlaggebend war der Suizid des Linkin Park-Frontsängers und die darauf folgenden Kommentare in den Social Media. Neben all den traurigen und betroffenen Fan-Kommentaren konnte man auch immer wieder Sätze lesen wie: „Jeder ist mal melancholisch, deswegen bringt man sich doch nicht gleich um! Der Feigling…“ oder „Dieser reiche Typ, der doch alles hatte was man sich wünschen kann, nimmt sich das Leben und andere, die weniger haben, sterben an echten Krankheiten“, etc. Das fand ich furchtbar. Und ich dachte: Menschen, die so etwas von sich geben, haben eindeutig wenig Ahnung davon, wie es ist, unter Depressionen zu leiden und was bei dieser Erkrankung physisch/neurologisch abläuft. Man sollte ihnen erzählen wie es sich anfühlt, depressiv zu sein. Am ehesten hören sie zu, wenn man das Ganze in einen Song verpackt. Ab dafür.
Den Text habe ich dann innerhalb einer halben Stunde herunter geschrieben, den Song noch am selben Nachmittag aufgenommen und das Video einige Wochen später begonnen zu zeichnen und zu animieren.
Ihr Text und Ihre Bilder treffen die Krankheit sehr gut – woher hatten Sie die Inspirationen dazu?
Kokee Thornton: Freut mich sehr, dass mir das eurer Meinung nach gelungen ist. Ich hatte etwas Angst, es nicht gut rüberbringen zu können. Bei so schwierigen Themen möchte man keinen verletzen oder zu sehr belasten und triggern, indem man es eventuell nicht passend umsetzt oder zu negativ. Darum hab ich versucht, es wenigstens bildhaft ein wenig positiv zu gestalten.
Zur Inspiration: Zum einen habe ich selbst mit unter anderem Depressionen zu kämpfen, ich weiß also, wie es sich anfühlt, und kenne auch die Sprüche und „gut gemeinten“ Ratschläge anderer, wie: „Sieh die Welt doch mal etwas positiver! Ich gehe auch morgens zur Arbeit obwohl ich mich schlecht fühle. Das ist alles nur eine Sache der inneren Einstellung!“ Und dann erwarten sie auch noch, dass man antwortet: „Ja, klar, hey, danke! Dass ich da nicht selbst drauf gekommen bin, Mensch, hahaha! Ist ja easy!“ …
Die verstehen dabei nicht, was sie mit ihren naiven Phrasen bei Betroffenen anrichten, dass sie ebenso gut zu einem Menschen mit Beinbruch sagen könnten: „Los, schwing’ die Beine! Tanzen heilt alle Wunden! Wo ein Wille ist, ist ein Weg, Mann!“ Wobei Beinbruch und Depressionen absolut kein Vergleich sind. Ich find‘s eh völlig daneben unterschiedliche Krankheiten und ihren Schweregrad miteinander vergleichen zu wollen. Für jeden ist das schlimm, wovon er oder sie betroffen ist.
Ja, und zum anderen kenne ich Menschen die unter Depressionen litten oder leiden, denen es aber dank professioneller Hilfe und tollen Freunden beziehungsweise Familien gelingt, so gut wie möglich damit zu leben. Zu denen gehöre ich auch. Leider haben zwei Menschen aus meinem engeren Familien – und Bekanntenkreis sich aber auch das Leben genommen.
Depression ist eine Krankheit und keine Macke oder Melancholie, wie sie jeder mal hat. Viele Menschen kann man erfolgreich behandeln und heilen. Nicht jede Depression ist gleich und kann einfach mit Medikamenten behandelt werden, und leider stirbt manch einer an dieser Krankheit.
Einen Song über Depression zu schreiben und zu veröffentlichen ist nicht unbedingt hitparaden-verdächtig. Wen und was wollen Sie mit diesem Song erreichen?
Kokee Thornton: Es ist mir ehrlich gesagt egal, ob meine Songs tausende von Klicks bekommen, ich schreibe sie nicht, um vielen zu gefallen. Das ist auch nicht mein erster Song über eine so ernste Thematik. „Stark sein“ auf meiner gleichnamigen EP handelt zum Beispiel davon, wie schwer es ist, als Opfer mit den Folgen einer schweren Straftat zu leben, während der Täter ungestraft frei herum läuft.
Solange ich jemandem durch meine Kunst das Gefühl geben kann, mit ihren/seinen Sorgen nicht allein auf dieser Welt zu sein, demjenigen vielleicht sogar ein wenig Hoffnung machen oder einfach einen Scheisstag etwas erhellen und ein Lächeln aufs Gesicht zaubern kann, ist das für mich viel, viel wertvoller als wenn 100.000 Personen „Daumen hoch“ klicken.
Aber natürlich freue auch ich mich über Feedback, Support und Aufmerksamkeit.
Wie ist Ihre Wahrnehmung: Ist die als mittlerweile “Volkskrankheit” deklarierte Depression tatsächlich im Volk angekommen, sprich: Ist die Krankheit in der Gesellschaft anerkannt und geht sie damit auch richtig um? Oder muss man sich doch noch dafür schämen, eine Depression zu haben?
Kokee Thornton: Wer sich schämen sollte sind Menschen, die anderen das Gefühl geben, sich wegen Depressionen schämen zu müssen. Ich finde, es ist schon weitaus mehr Verständnis und Hilfe für Betroffene vorhanden. Allerdings gibt’s nach wie vor Menschen, die psychische Erkrankungen für eine Art Charakterschwäche halten und abwerten. Da besteht auf jeden Fall noch Aufklärungsbedarf.“
Deutsche DepressionsLiga e.V.:
Die Deutsche DepressionsLiga e.V. (DDL) ist eine bundesweit aktive Patientenvertretung für an Depressionen erkrankte Menschen. Sie ist eine reine Betroffenenorganisation, deren Mitglieder entweder selbst von der Krankheit Depression betroffen oder deren Angehörige sind. Die DDL ist als gemeinnützig anerkannt und finanziert sich aus Mitgliedsbeiträgen, Spenden und Zuwendungen. Der Vorstand und die Mitglieder arbeiten ehrenamtlich an ihren Zielen Aufklärung und Entstigmatisierung, an Angeboten der Hilfe und Selbsthilfe für Betroffene und an der Vertretung der Interessen an Depression erkrankter Menschen gegenüber Politik, Gesundheitswesen und Öffentlichkeit. Dabei wird stets auf Unabhängigkeit von der Pharmaindustrie oder sonstigen Interessengruppen geachtet, dies ist auch in der Satzung festgeschrieben.