Berlin – Anlässlich der Verbändeanhörung zum Referentenentwurf zur Reform der Notfallversorgung erachten es die Diakonie Deutschland und der Deutsche Evangelische Krankenhausverband (DEKV) für notwendig, dass die Bundesregierung die Neuregelung der Notfallversorgung grundsätzlich angeht. Ihre Gestaltung nimmt eine Schlüsselrolle bei der Weiterentwicklung einer bedarfsgerechten und qualitätsorientierten Gesundheitsversorgung ein. „Bei einer zukunftsfesten, hochwertigen und qualifizierten Notfallversorgung müssen die Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten berücksichtigt werden. Menschen wünschen sich, im Notfall qualifiziert versorgt zu werden und zeitnah die Notaufnahme zu erreichen. Das unterstreichen auch die Ergebnisse der aktuellen vdek Bevölkerungsbefragung1 zum Krankenhausstrukturwandel: 87 Prozent der Bevölkerung äußerten die Befürchtung, dass bei einer Schließung kleinerer Häuser die Versorgungssicherheit im ländlichen Raum gefährdet sei. Eine Konzentration der Integrierten Notfallzentren auf wenige Standorte an großen Häusern lehnen wir daher ab. Wichtig ist uns, insbesondere die Bedürfnisse älterer und kognitiv eingeschränkter Menschen einzubeziehen. Schon heute ist jeder dritte Patient in der Notaufnahme älter als 70 Jahre. Auf diese Herausforderungen muss eine qualifizierte und zukunftsfähige Neuregelung der Notfallversorgung Antworten finden. Mit ihrem Netzwerk an Krankenhäusern beteiligen sich die Diakonie Deutschland und der DEKV auch in Kooperation mit den Kassenärztlichen Vereinigungen bereits heute und künftig selbstverständlich an dieser zentralen Aufgabe. Die richtigen Voraussetzungen dafür zu schaffen, ist jetzt die Aufgabe der Politik. Bei der anschließenden konkreten Gestaltung der Versorgungsstrukturen bringen wir gern aktiv unsere Expertise ein“, erklärt Christoph Radbruch, Vorstandsvorsitzender des DEKV.
Mit dem vorliegenden Referentenentwurf werden die Ziele flächendeckender und qualifizierter Notfallversorgung sowie Versorgungssicherheit nicht in allen Punkten erreicht. Daher fordern die Diakonie Deutschland und der DEKV eindringlich folgende Änderungen:
- Risikostratifizierung der Notfallpatienten ist Schlüsselaufgabe Integrierter Notfallzentren (INZ)
In zwingend erforderlichen Fällen können Krankenhäuser als Standort eines INZ festgelegt werden, die nicht die Anforderungen im Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses erfüllen. Bei diesen Ausnahmeregelungen müssen nicht nur die besonderen Bedürfnisse von Kindern und psychisch Erkrankten, sondern auch die von kognitiv Beeinträchtigten, multimorbiden und älteren Patienten sowie von Menschen mit Behinderungen berücksichtigt werden. Die Besonderheiten dieser Patientengruppe sind bei der Gestaltung von Strukturen und Abläufen einzubeziehen. Das bedeutet beispielsweise, dass das Team der Notaufnahme für die Risikostratifizierung dieser kommunikativ oft eingeschränkten, vulnerablen Patientengruppe qualifiziert werden muss. Darüber hinaus sind für Kommunikation und Behandlung mehr Ressourcen einzuplanen, um den Bedürfnissen dieser Menschen und ihrer Angehörigen gerecht zu werden. - Faire Wettbewerbsbedingungen schaffen: Klare Zuständigkeit für die organisatorische, wirtschaftliche und rechtliche Verantwortung
Die fachliche Leitung eines INZ muss selbstverständlich das Krankenhaus inne haben, um klare Zuständigkeiten und abgrenzbare Verantwortlichkeiten zu schaffen sowie den komplexen Prozess der Notfallversorgung ressourcenschonend zu organisieren. Ziel ist es, in einem INZ jederzeit eine qualifizierte 24/7 notfallmedizinische Versorgung sicherzustellen. - Fachlich-medizinische Leitung des INZ nach fachlichen Kriterien vergeben
Die fachlich-medizinische Leitung des INZ muss dem jeweiligen Notfallarzt des Krankenhauses übertragen werden. Zu dessen Aufgaben gehört es, notfallmedizinische Prozesse patientenzentriert, sicher und effizient zu organisieren. Daher gehört die Leitung der Versorgung von Notfallpatienten im INZ in die Verantwortung von erfahrenen notfallmedizinischen Experten, die über eine Zusatzweiterbildung Klinische Akut- und Notfallmedizin verfügen. Nur so kann eine hochwertige, qualifizierte Notfallversorgung sichergestellt werden. - Keine Bestrafung für Notfallbehandlung: Vergütungsabschläge ersatzlos streichen
Gegenüber Notfallpatientinnen und -patienten, die mit dem Rettungswagen oder als Selbsteinweiser kommen, sind Krankenhäuser zur Hilfeleistung verpflichtet. Kommen sie dieser Verpflichtung nicht nach, kann das zu Rechtsansprüchen des Betroffenen gegenüber dem Krankenhaus führen. Der Referentenentwurf sieht vor, dass Krankenhäuser ohne INZ für Notfallpatienten, die nicht stationär aufgenommen werden müssen, einen Abschlag auf die Vergütung von 50 Prozent erhalten. Diese Strafe muss aus dem Entwurf ersatzlos gestrichen werden. Für die Erfüllung einer gesetzlichen Verpflichtung bestraft zu werden, ist eindeutig der falsche Anreiz. - Versorgungssicherheit von Notfallpatienten garantieren: offener Zugang zum INZ für Krankenhäuser aller stationären Notfallstufen
Nicht nur Krankenhäuser der erweiterten oder umfassenden Stufe der Notfallversorgung sollen INZ werden dürfen. Dies würde zu einer gezielten Stärkung großer Krankenhäuser führen, da Notfallpatienten mit unklarem Behandlungsbedarf im INZ ambulant und bei Bedarf im angeschlossenen Krankenhaus stationär aufgenommen werden. Die Konzentration auf große Häuser verengt eindeutig die Notfallversorgung. Auch die Krankenhäuser der Basisstufe müssen INZ werden.
„Unser gemeinsames Ziel ist es, die Notfallversorgung zukunftsfähig zu gestalten. Dort wo es sinnvoll und möglich ist, sollten integrierte Notfallzentren und die Zusammenarbeit zwischen Krankenhäusern und Kassenärztlichen Vereinigungen etabliert werden. Notfallversorgung muss flächendeckend, qualifiziert und bedarfsorientiert sein. In der diakonisch getragenen Notfallversorgung steht immer der Patient mit seinen Bedürfnissen und seiner Autonomie im Mittelpunkt“, betont Maria Loheide, Vorstand Sozialpolitik der Diakonie Deutschland.
Die ausführliche Stellungnahme der Diakonie Deutschland und des DEKV zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Reform der Notfallversorgung ist beigefügt.
Quellen:
Der Deutsche Evangelische Krankenhausverband e.V. (DEKV) vertritt mit 201 evangelischen Kliniken an über 270 Standorten jedes achte deutsche Krankenhaus. Die evangelischen Krankenhäuser versorgen jährlich mehr als 2,5 Mio. Patientinnen und Patienten stationär und mehr als 3 Mio. ambulant. Mit über 120.000 Beschäftigten und einem Umsatz von 10 Mrd. € sind sie ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Der DEKV ist Branchenverband der evangelischen Krankenhäuser und Mitglied im Evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung e.V. Der DEKV setzt sich insbesondere für eine zukunftsorientierte und innovative Krankenhauspolitik mit Trägervielfalt, verlässliche Rahmenbedingungen für die Krankenhausfinanzierung, eine Modernisierung der Gesundheitsberufe und für eine zukunftsorientierte konsequente Patientenorientierung in der Versorgung ein.
Vorsitzender: Vorsteher Christoph Radbruch, Magdeburg, stellvertr. Vorsitzende: Andrea Trenner, Berlin, Schatzmeister: Dr. Holger Stiller, Düsseldorf, Verbandsdirektorin: Melanie Kanzler, Berlin.