München – 11.Dezember 2019
„Wir wollen keinen für den Patienten sinnlosen ICD-Wettstreit.“ Ein Statement von Dr. Gertrud Demmler, SBK Vorständin
In der aktuellen Diskussion gegen das Diagnosevergütungsverbot wird vor allem eine Angst geschürt – die Angst vor schlechter medizinischer Versorgung. Ohne eine detaillierte Übersicht von Diagnosen in den Verträgen zwischen Kassen und Ärzten würden die deutschen Patienten schlechter gestellt als jetzt. In den Argumentationen, die folgen, geht es dann aber doch nicht um Versorgung. Da geht es um Bürokratie, um das Kodieren von Krankheiten, um Vergütungen und Zuweisungen. Niemand stellt die Frage: Was sind eigentlich „gute Versorgung“ und „qualitative Verträge“ aus Patientensicht? Dabei ist das doch die zentrale Frage.
Für den Patienten geht es darum, dass er gesund wird. Oder dass er seine Lebensqualität soweit wie möglich verbessern kann. Das ist auch das Motiv, das die Ärzte leiten sollte – und sicher auch in den allermeisten Fällen leitet. Sie haben einen Hippokratischen Eid geleistet, der genau das besagt. Die Behandlungsleitlinien, die von Ärzten für Ärzte konzipiert werden, haben dieses Ziel.
Diagnosen sind dabei Mittel zum Zweck. Die „richtige“ Diagnose zu finden hilft ja nur, die richtige Therapie zu finden. Es kann nicht sein, dass es rein für die Dokumentation einer Diagnose Geld für den Arzt gibt. Geld gibt es für eine wirklich gute Versorgung im Sinne des Patienten. Das Diagnosevergütungsverbot zielt darauf ab, Versorgung in den Mittelpunkt der Verträge zu stellen und nicht einen für den Patienten sinnlosen ICD-Wettstreit.
Faktencheck Diagnosevergütung
Das Diagnosevergütungsverbot ist in der Diskussion: Doch was bedeutet das eigentlich? Aktuelle Vorurteile aufgeklärt.
Mythos: Das Verbot der Diagnosevergütung führt dazu, dass eine gute Versorgung der Versicherten verhindert wird.
Das stimmt nicht. Für eine gute Versorgung sind die medizinischen Leitlinien maßgebend. Diese werden für bestimmte Krankheitsbilder – immer nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft – von Ärzten für Ärzte formuliert. So gibt es beispielsweise für Hausärzte eine Leitlinie „Chronischer Schmerz“. Zielgruppe sind „Patienten mit Schmerzen nicht tumorbedingter Ursache, die drei Monate und länger anhalten.“ Eine Kodierung der Krankheit mittels ICD findet sich in dem Dokument nicht.
Natürlich können die Differenzierungen in den ICD der Orientierung bei der Behandlung dienen. Und natürlich ist Praxissoftware als dokumentationsunterstützendes Instrument sinnvoll. Die Weiterentwicklung dieser Software muss allerdings unabhängig von Einzelverträgen erfolgen. Jede so geartete Vorgabe greift in die Therapiefreiheit des Arztes ein und hat alleinig das Ziel, die Zuweisung zu verbessern, nicht aber die Versorgung.
Mythos: Die etablierten und sinnvollen Verträge werden nach Inkrafttreten alle gekündigt.
Das stimmt nicht. Es wird (und muss) weiterhin Verträge der besonderen Versorgung oder Hausarztverträge geben. Der kleine, aber wichtige Unterschied – es wird sichergestellt, dass der Arzt sein Geld nicht dafür bekommt, eine bestimmte Diagnose aufzuschreiben. Es wird sichergestellt, dass er Geld bekommt, weil er bei seinem Patienten eine bestimmte Behandlung durchführt.
Mythos: Die Bezahlung der Ärzte, die in den Verträgen geregelt wird, basiert auf Diagnosen.
Das stimmt nicht. Die Bezahlung der Ärzte richtet sich eigentlich nicht nach den Diagnosen, die sie erfassen. Die Bezahlung der Ärzte basiert auf definierten Abrechnungspositionen. Im ambulanten, kassenärztlichen Bereich werden diese im EBM festgelegt, im stationären Bereich in den DRG usw. Die Abrechnungsziffern beruhen auf der tatsächlichen Leistungserbringung bei der Behandlung des Patienten. Ein Beispiel aus dem ambulanten Bereich: Egal ob Obstipation (Verstopfung) K59.0 oder eine Diarrhoe (Durchfall) K59.1 als Diagnose kodiert werden, für eine in diesem Zusammenhang durchgeführte Koloskopie wird immer der gleiche Betrag abgerechnet.
Mythos: Mit dem Diagnosevergütungsverbot können keine Versorgungsangebote mehr gemacht werden. Ein Beispiel: Ein Vertrag zur Identifizierung von Kindern und Jugendlichen mit dem Verdacht auf eine Essstörung ist dann nicht mehr möglich, weil die Diagnosen ‚Bulimie‘ oder ‚Anorexie‘ als Aufgreifkriterium unzulässig sind.
Das stimmt nicht. Bulimie und Anorexie sind im Fachjargon keine ICD, es sind Krankheitsbegriffe. Diese Krankheitsbegriffe, bei Bedarf ergänzt um detaillierte Informationen zum Krankheitsbild, sind auch nach den neuen Regelungen nicht unzulässig. Versorgungsangebote für Versicherte sind damit auch weiterhin möglich.
Mythos: Den Kassen, die sich für die vorgesehenen gesetzlichen Änderungen einsetzen, ist eine gute Kodierung nicht wichtig.
Das stimmt nicht. Eine gute Kodierung ist sogar immens wichtig. Sie ist einerseits Grundlage für ein Funktionieren des Morbi-RSA, andererseits für eine aussagekräftige Versorgungsforschung. Entsprechen die kodierten ICDs nicht der realen Morbidität, führt das zu einer Verzerrung des Finanzausgleichs der Kassen – so wie aktuell der Fall. Und die Ergebnisse der Forschung, die auf Morbiditäten aufbaut, werden verfälscht.
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Über die SBK:
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