Wiesbaden – Die Tätigkeit aller Ärzte unterliegt besonderen Ansprüchen, die in Kodices der ärztlichen Berufsethik festgeschrieben sind. Hierzu gehören vier wesentliche Prinzipien: (a) allen Patienten Fürsorge und Hilfe anzubieten (Primat des Patientenwohls), (b) Patienten nicht zu schaden („primum non nocere“), (c) das Selbstbestimmungsrecht der Patienten zu respektieren, sowie (d) Gleichheit und Gerechtigkeit bei der Behandlung zu wahren, was eine faire Ressourcenverteilung einschließt.
Die Orientierung an diesem Berufsethos ist seit Hippokrates ein Grundgedanke ärztlicher Tätigkeit. Seine integere Ausübung hat der Ärzteschaft Vertrauen und Respekt verschafft und ist unverändert die Basis für den Kontrakt zwischen Ärzten, Patienten und der Gesellschaft.
Unter den Bedingungen des DRG-Systems haben sich die Krankenhäuser in den letzten Jahren gewandelt – von Einrichtungen der Daseinsfürsorge zu Unternehmen oder Krankenhauskonzernen. Sie fordern von ihren Ärzten mehr Fälle pro Arzt und höhere Erlöse pro Bett. Organisiert wie Industrieunternehmen werden Krankheiten zur Ware, Ärzte zu Anbietern und Patienten zu abgerechneten Fällen. An ökonomischen Zielvorgaben orientierte Bonusverträge und Zielvereinbarungen werden eingesetzt, um Fall- und OP-Zahlen und interventionelle Eingriffe zu steigern. Ärzte soll dies dazu animieren, die Unternehmensziele über das Primat des Patientenwohls zu stellen.
Wir sind der Überzeugung, dass sich die Prinzipien medizinischer Prozesssteuerung, ökonomischen Denkens und ärztlicher Fürsorge nicht ausschließen. Die zunehmende betriebswirtschaftliche Fremdbestimmung allerdings vermindert in erheblichem Maße die Möglichkeiten der Anteilnahme und der geduldigen Zuwendung.
Die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin e. V. (DGIM) beobachtet diese Entwicklung mit größter Sorge. Sie spricht sich nachdrücklich gegen alle finanziellen Bonus- oder Malussysteme aus, die eine am Patientenwohl orientierte Arzt-Patienten-Beziehung belasten. Die DGIM sieht folgende Gefahren, die das Gesundheitssystem und das Vertrauen der Gesellschaft in dieses System nachhaltig beschädigen werden:
Bonusverträge verstoßen gegen die ärztliche Berufsethik, wenn sie wirtschaftliche Unternehmensziele eines Krankenhauses über das Patientenwohl stellen.Fallzahl- oder umsatzabhängige Bonusverträge verleiten Ärzte zu großzügigen Indikationsstellungen und machen sie dadurch korrumpierbar. Patientenseitig führt die Veränderung der Ziele ärztlicher Tätigkeiten zu einem tiefgreifenden Vertrauensverlust: Wurde ich auch richtig beraten? Neue Arztgenerationen erlernen eine falsche Priorisierung ärztlicher Tätigkeiten. Dies wird das Vertrauen der Gesellschaft in das Gesundheitssystem langfristig negativ beeinflussen.
Gleichwohl unterstützt die DGIM uneingeschränkt Bemühungen, ein Anreizsystem zu generieren, um die Qualität der medizinischen Versorgung nach definierten und messbaren Kriterien zu verbessern. Beispiele wären eine Optimierung der Prozessabläufe, Einführung neuer und verbindlicher Standards (sogenannte Standard Operating Procedures) sowie berufsgruppenübergreifende Fort- und Weiterbildung.
Die DGIM fordert deshalb die für das Gesundheitssystem Verantwortlichen mit Nachdruck auf, die oben genannten Fehlentwicklungen zu thematisieren und zu beseitigen und stattdessen geeignete Anreizsysteme zu entwickeln.
Prof. Dr. med. E. Märker-Hermann, Vorsitzende der DGIM
Prof. Dr. med. Dr. Dr. h. c. U.R. Fölsch, Generalsekretär der DGIM
Prof. Dr. med. M. Weber, Vorsitzender der DGIM 2004–2005
Diese Erklärung wird auch vom Berufsverband Deutscher Internisten (BDI) unterstützt.