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Deutscher Krebspreis 2023: Weniger Chemotherapien durch präzisere Risikoeinschätzung – Zwei deutsche Forscherinnen läuten eine neue Ära der individualisierten Therapie bei Brustkrebs ein

Pressemitteilung

Mönchengladbach – 06. Juni 2023

  • Die Forschung der Preisträgerinnen verändert die Therapierealität
  • Nur 20 % der Frauen ohne Lymphknotenbefall und nur etwa 30 % der Frauen
    (< 50 Jahre) mit ein bis zu drei befallenen Lymphknoten benötigen eine Chemotherapie
  • Nachholbedarf in der Klinischen Praxis

Professor Dr. Nadia Harbeck (München) und Professor Dr. Ulrike Nitz (Mönchengladbach) wurde am vergangenen Freitag, dem 02.06.2023, der Deutsche Krebspreis in der Kategorie Klinische Krebsforschung verliehen. Ihre Forschung „hat die Therapierealität für Frauen mit frühem Brustkrebs weltweit verändert“, begründet die Jury ihre Entscheidung. Ausgezeichnet wurden die beiden Medizinerinnen für die zwei bahnbrechenden Studien PlanB und ADAPT. Sie leiteten diese Studien im Rahmen der Westdeutschen Studiengruppe (WSG).

Weniger Chemotherapien ohne Verschlechterung der Heilungschancen

Eine von acht Frauen erkrankt in ihrem Leben an Brustkrebs[1]. Wahrscheinlich ist jede Frau in ihrem Leben selbst oder als Angehörige mit dieser Krankheit konfrontiert. Die Diagnose Brustkrebs ist in der Regel ein Schock für die Betroffenen. Die Unsicherheit, welche Therapie die richtige ist, und die Aussicht auf eine mögliche Chemotherapie lösen bei vielen Patientinnen Ängste aus. Etwa 70 % der Betroffenen werden an einem hormonsensiblen Brustkrebs leiden. Bei diesen Frauen ist eine Antihormontherapie gesetzt und es stellt sich immer die Frage, ob eine zusätzliche Chemotherapie vonnöten ist. Dank der Arbeit der beiden deutschen Wissenschaftlerinnen sind Frauen mit hormonsensiblem Brustkrebs sowie ihre Ärzte jetzt in der Lage, die Entscheidung für oder gegen eine Chemotherapie mit deutlich mehr Sicherheit und Präzision zu treffen als bislang möglich. Die Deutsche Krebsgesellschaft weist in der Begründung der Preisvergabe darauf hin, dass die Studien vielen Patientinnen eine Entscheidung für eine chemotherapiefreie Therapie mit geringer Belastung ermöglichen werden, ohne dass die Heilungschancen reduziert würden.

Multigen-Analyse und präoperative Abschätzung des Erfolges der Antihormonbehandlung als Schlüssel

Eine Besonderheit der Studien ist, dass die Wissenschaftlerinnen den genetischen Fingerabdruck des Tumors einbezogen haben (PlanB). Mit Hilfe eines Multigentests wird das sogenannte Recurrence Score® Ergebnis ermittelt. Dieser Wert macht eine Vorhersage darüber möglich, ob eine Chemotherapie erforderlich ist. In der Nachfolgestudie ADAPT wurde zusätzlich vor der Operation getestet, wieviel Erfolg von der Antihormontherapie zu erwarten ist. „Durch dieses Verfahren konnte die Zahl der Chemotherapien unter den Studienteilnehmerinnen insbesondere in der Gruppe der jüngeren Frauen (≤50 Jahre) deutlich reduziert werden“, so Prof. Dr. Ulrike Nitz.

46.000 Frauen mit hormonsensiblem Brustkrebs, aber nur 4.859 durchgeführte Multigentests – Behandlungsrealität und Zukunft

Bei etwa 46.000 Frauen in Deutschland wird pro Jahr ein hormonsensibler (HER2-) Brustkrebs mit bis zu drei befallenen Lymphknoten diagnostiziert[2]. Für diese Frauen kann individuell geklärt werden, ob sie wirklich von einer Chemotherapie profitieren. Zusammen mit den amerikanischen Studien, die den identischen Multigentest verwendet haben und den Arbeiten der WSG liegen nun Daten von fast 30.000 Studienpatientinnen vor. Zusammenfassend und gleichlautend zeigen sie: Multigentests und eine Antihormontherapie vor der operativen Entfernung des Tumors können vielen Frauen die Chemotherapie ersparen[3],[4],[5]. Eine weitere im klinischen Alltag wichtige Botschaft ist, dass bei Einsatz von Multigentests nicht nur weniger, sondern auch anderen Frauen eine Chemotherapie empfohlen wird als mithilfe der bislang konventionellen Diagnosekriterien. So kann mithilfe des Tests auch potenziell lebensgefährliche Untertherapie vermieden werden. Das heißt, es verbessert sich die Behandlung einer Gruppe von Frauen, deren Risiko ohne den Multigentest unterschätzt wird, die aber von einer Chemotherapie profitieren.

Zusammenfassend ist eine Chemotherapie bei etwa 20 % der Frauen ohne Lymphknotenbefall und etwa 30 % der Frauen (jünger als 50 Jahre) mit ein bis zu drei befallenen Lymphknoten gerechtfertigt und für die Heilung notwendig.3,4,5 Für die anderen Patientinnen ist eine chemotherapiefreie Behandlung bei exzellentem Therapieerfolg möglich (unter der Voraussetzung, dass eine kurze präoperative Antihormontherapie insbesondere bei den jungen Frauen erfolgreich war).

Im Jahr 2021 wurden lediglich 4.859 Multigentests über die Krankenkassen abgerechnet[6]. Nach Umfragen von Brustkrebs Deutschland e.V. werden Multigentests nur etwa einem Viertel der in Frage kommenden Frauen überhaupt angeboten[7].

Die wissenschaftlichen Ergebnisse der WSG-Studien haben inzwischen Eingang in die deutschen und die europäischen Behandlungsempfehlungen gefunden. „Wir hoffen, dass die Auszeichnung mit dem Deutschen Krebspreis der klinischen Umsetzung unserer Forschungsergebnisse einen weiteren deutlichen Schub geben wird“, sagte Frau Professor Dr. Nitz.

Anhänge

Kleine Geschichte des modernen medizinischen Wissens zur Brustkrebstherapie

Therapie noch „unselektiert“ – Chemotherapie bei fast allen Patientinnen

Bereits in den 1960ern Jahren erkannte man, dass Brustkrebs eine „systemische“ Erkrankung sein kann, das heißt, dass sehr früh Absiedlungen in den Körper stattfinden, die später zu Metastasen auswachsen können. Daher wurden zu dieser Zeit die ersten Systemtherapien – nämlich Antihormontherapie und Chemotherapie – eingeführt. Zunächst wurden diese Therapien fast allen Patientinnen empfohlen.

Therapie schon gezielt

Mitte der 90er und 2000er Jahre wurden der Hormonrezeptor und der HER2 Rezeptor entdeckt. Die Hormone Östrogen und Progesteron können das Wachstum von Brustkrebszellen beeinflussen. Sie docken an Bindungsstellen (Hormonrezeptoren, HR) der Zelle an, die dann das Wachstumssignal ins Zellinnere weiterleiten. Für Tumorzellen, bei denen Hormone das Wachstum unterstützen, kann der Entzug der Hormone zur Verlangsamung oder sogar zum Stoppen des Tumorwachstums führen. Schnell hat man in Erfahrung gebracht, dass Antihormontherapie und AntiHER2-Therapie nur funktionieren, wenn der entsprechende Rezeptor auf der Tumorzelle ausgebildet ist. Damit war der Weg in die zielgerichtete Therapie eröffnet.

Die Empfehlung zur Chemotherapie galt, wenn der Frau mindestens ein Risiko von 10 % attestiert wurde, innerhalb von 10 Jahren wieder zu erkranken. Ab dieser Stufe ging man davon aus, dass das Risiko der Erkrankung höher ist als die Risiken durch die Chemotherapie selbst. Die Risikoeinschätzung wurde vorgenommen anhand von Tumormerkmalen wie Größe und Lymphknotenbefall, des Alters der Patientin und der mikroskopisch sichtbaren Eigenschaften des Tumors. Diese Parameter ermöglichen aber in vielen Fällen keine exakte Einschätzung des Risikos für ein Rezidiv. Deshalb wurde in vielen Fällen sicherheitshalber zusätzlich Chemotherapie empfohlen – und damit Fehl- und Überbehandlung mangels besserer Evidenz bewusst in Kauf genommen.

Dieses Therapieregime hat aber weiterhin zwei Schwächen, die jedem Arzt bewusst sind:

  • Zum einen ist diese Risikoeinschätzung nicht sehr präzise und wird gegebenenfalls in unterschiedlichen Laboren unterschiedlich beurteilt.
  • Zum anderen spricht ein Hochrisiko-Brustkrebs nicht automatisch auf Chemotherapie an.

Therapie endlich individualisiert

Die Hoffnung, die Chemotherapie gezielter einsetzen zu können, keimte erst auf, als man die genetischen Fingerabdrücke des Tumors nehmen konnte. Speziell für den “hormonsensiblen” Brustkrebs, also Brustkrebs, dessen Wachstum durch Hormone gefördert wird, wurde die 21 Gen Signatur (Oncotype DX Breast Recurrence Score® Test) entwickelt, die eine präzise Einschätzung zum Risiko und zum Ansprechen des Tumors auf eine Chemotherapie versprach. Die 21 Gen Signatur sollte zunächst in klinischen Studien daraufhin getestet werden, inwieweit sie helfen könnte, den Einsatz von Chemotherapie gezielt zu steuern.

Hierzu starteten in den 2010er Jahren in den USA zwei große Studien mit insgesamt mehr als 15.000 Frauen. In die Studien einbezogen wurden Brustkrebspatientinnen mit null bis drei befallenen Lymphknoten. In Deutschland startete die Westdeutsche Studiengruppe (WSG) unter Leitung der beiden Preisträgerinnen mit der PlanB Studie, die den genetischen Fingerabdruck analog verwendete. Die Nachfolgestudie ADAPT integrierte darüber hinaus die Information aus dem Ergebnis einer kurzen präoperativen Antihormonbehandlung (endokrine Sensitivität) in die Entscheidung über das weitere Behandlungskonzept. Insgesamt nahmen ca. 30.000 Frauen an den Studien teil.

Übereinstimmend zeigen die deutschen und amerikanischen Studienergebnisse:

  • Bei Frauen nach den Wechseljahren, wenn sie zu den ca. 80-85 % mit niedrigem bis mittleren Risikoprofil (erhoben anhand des genetischen Fingerabdrucks) gehörten, ist keine Chemotherapie notwendig.
  • Bei jungen Frauen mit niedrigem Risikoprofil ist dies ebenso der Fall.
  • Bei mittlerem Risiko-Profil im genetischen Fingerabdruck scheint die zusätzliche Information aus der präoperativen Antihormontherapie entscheidend. Frauen, deren Tumor sehr hormonsensibel ist, haben ohne Chemotherapie in der ADAPT Studie exzellente Überlebenschancen nach 5 Jahren.

Von den jährlich ca. 70.000 neuen Brustkrebsfällen in Deutschland leiden 60-70% der Betroffenen an einer sogenannten hormonsensiblen Brustkrebserkrankung.

Zur Wirkung der Chemotherapie

  • Die Chemotherapie wirkt auf jede schnellwachsende Zelle – unabhängig davon, ob es sich um schnellwachsende gesunde Körperzellen oder – meist noch schneller wachsende – Tumorzellen handelt. Das erklärt die schweren Nebenwirkungen am Immunsystem, den Haaren, den Eierstöcken etc. Eine Chemotherapie wird heute in Deutschland standardmäßig für 6 Monate durchgeführt. Sie verursacht Übelkeit, Erbrechen, Haarverlust, Immunsuppression, Schleimhautreizung von Blase und Darm etc. An Langzeitnebenwirkungen sehen wir Taubheitsgefühl in Armen und Beinen (5 bis 10 %), Herzschwäche (bis zu 10 %), Unfruchtbarkeit bei jungen Frauen und selten auch die Entwicklung neuer Krebserkrankungen. Viele Frauen werden berufsunfähig oder können ihren Alltag nicht mehr wie gewohnt bewältigen. Diese Nebenwirkungen machen die Chemotherapie zur gefürchtetsten Maßnahme in der Brustkrebsbehandlung.

Der Deutsche Krebspreis und die Brustkrebsforschung

Der Preis der Deutschen Krebsgesellschaft und der Deutschen Krebsstiftung zählt zu den höchsten Auszeichnungen in der Onkologie und wird jährlich in den Sparten „Klinische Forschung“, „Translationale Forschung“ und „Experimentelle Forschung“ vergeben.

Bereits mehrfach wurden Meilensteine der Brustkrebsforschung ausgezeichnet:

  • 1998 erhielt Axel Ullrich den Deutschen Krebspreis für seine bahnbrechenden Erkenntnisse um einen Oberflächenbestandteil der Brustkrebszelle – den HER2 Rezeptor. Letzterer vermittelt die Wirkung der ersten Antikörpertherapie (Trastuzumab), die gegen Brustkrebs entwickelt wurde. Ca. 20% der heutigen Fälle sind HER2 positiv (besitzen also diesen Oberflächenbestandteil) – auch heute noch eine der klinisch relevanten Untergruppen.
  • 2020 wurde Rita Schmutzler für die bahnbrechenden Arbeiten der Kölner Arbeitsgruppe zum erblichen (familiären) Brustkrebs (ca. 5% der Fälle) und seiner Prävention mit dem Deutschen Krebspreis ausgezeichnet.



[1] Robert Koch-Institut: https://www.krebsdaten.de/Krebs/DE/Content/Krebsarten/Brustkrebs/brustkrebs_node.html, Stand: 06.06.2023.
[2] Ortmann O. et al., Journal of Cancer Research and Clinical Oncology, 2023
[3] Sparano J. A. et al., New Engl J Med, 2018
[4] Kalinsky K. et al., New Engl J Med, 2021
[5] Nitz U et al. J Clin Oncol 2022
[6] Abrechnungsstatistik der KBV, Stand 17.03.2023
[7] Messinger D. et al., Future Oncology, 2023