Freiburg – Der vorliegende „Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung von Rehabilitation und intensiv-pflegerischer Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung (Reha- und Intensivpflege-Stärkungsgesetz – RISG)“ (Referentenentwurf) kommt aus Sicht der Deutschen Interdisziplinären Gesellschaft für außerklinische Beatmung (DIGAB) e.V. nicht überraschend und behandelt seit Jahren bestehende Missstände in der Versorgung außerklinisch beatmeter Patienten. Insofern ist diese Initiative im Grundsatz zu befürworten, besonders unter dem Aspekt steigender Zahlen an invasiv beatmeten oder tracheotomierten Patienten, die aus Krankenhäusern, vorrangig der Akutversorgung, entlassen werden.
Zum Hintergrund: Die bestehende gesetzliche Regelung sieht lediglich zwei Unterbringungs- und Finanzierungsformen für Betroffene mit außerklinischer Intensivpflege vor. Das eine ist die Versorgung in einer stationären Einrichtung über SGB XI, mit einem Eigenanteil von ca. 3200,- Euro, und einem Anteil der Pflegeversicherung von ca. 2000,- Euro, somit einem Gesamtbudget von ca. 5200,- Euro/Monat. Das andere ist die Versorgung über SGB V mit außerklinischer Intensivpflege im Rahmen einer 1:1-Versorgung in häuslicher Umgebung mit Kosten von ca. 25.000,- Euro, die nahezu ausschließlich durch die Krankenkasse getragen werden. Somit steht in dieser Situation für die Versorgung der Betroffenen ein wesentlich höherer Betrag zur Verfügung. Alle in den letzten Jahren entstandenen Versorgungsmodelle, wie z.B. Intensiv-Wohngemeinschaften o.ä., gehen auf diese gesetzlich geregelten Finanzierungsmodelle zurück. Die Finanzierung wird jeweils mit der zuständigen Krankenkasse auf der Basis der SGB V-Regelung verhandelt. Es gibt keine bundesweit einheitliche gesetzliche Regelung über die Finanzierung, den Personalschlüssel oder auch die Strukturvorgaben. Sie sind sozusagen aus der „Versorgungsnot“ heraus über die Jahre gewachsen.
Vor diesem Hintergrund ist eine gesetzliche Neuregelung dringend erforderlich und wird schon seit Jahren u.a. von der DIGAB angemahnt. Ebenso ist es sehr zu begrüßen, wenn die Behandlungsprozesse der Betroffenen besser und dezidiert geregelt werden. Diese beginnen bei der Behandlung im Krankenhaus, gefolgt von der fachlich qualifizierten Indikationsstellung für die außerklinische Beatmung, der Entlassung in die Außerklinik, sowie der Weiterbetreuung und Reevaluation auf ärztlicher Ebene bis hin zur Ermöglichung der Beendigung der invasiven Beatmung bzw. der Tracheotomie mit Rückführung in ein „normales“ Leben. Die Tatsache, dass der Hauptanteil der Betroffenen direkt von Akutintensivstationen in die außerklinische Intensivpflege entlassen wird, d.h. dass die Indikation nicht von einem Experten für außerklinische Beatmung und Beatmungsentwöhnung, sondern von einem Akut-Intensivmediziner gestellt wird, gehört durchaus kritisch hinterfragt. Die außerklinische Versorgung von Menschen mit Beatmung unterscheidet sich wesentlich von der innerklinischen, intensivmedizinischen Versorgung und benötigt eine spezielle Expertise, die nur in hochspezialisierten Beatmungs- und Weaningzentren erworben werden kann. Insofern ist es nicht einfach, die außerklinische ärztliche Versorgung zu organisieren, da es an fachlich gut ausgebildeten Experten im Bereich der niedergelassenen Ärzte mangelt. Wir sprechen von den komplex kranken Patienten, die eine außerklinische Intensivpflege benötigen, nicht von der weitaus größeren Zahl an Patienten mit niederschwelliger außerklinischer Beatmung, die ohne Intensivpflegedienst auskommen können. Zur Ermöglichung einer flächendeckenden, fachlich qualifizierten ärztlichen Versorgung für diese Patienten, besteht seit längerer Zeit der Vorschlag der DIGAB, ein an die „Spezialisierte ambulante Palliativversorgung“ (SAPV) angelehntes Konzept für Menschen mit Beatmung zu etablieren. Für ein solches sektorenübergreifendes Konzept ist die außerklinische Intensivversorgung geradezu prädestiniert und eine neue gesetzliche Regelung sollte dieses unbedingt beinhalten.
Was im Rahmen einer gesetzlichen Neuregelung auf keinen Fall passieren darf, ist die quasi Abschaffung der außerklinischen Intensivpflege 1:1 in häuslicher Umgebung, insbesondere auf dem Boden des Vorwurfs von Fehlanreizen und Missbräuchen. Fehlanreize und Missbräuche finden unweigerlich da statt, wo wirtschaftliche Interessen bestehen. Sie bestehen bzw. haben in der Vergangenheit auch im Bereich der außerklinischen Intensivpflege, nicht nur in der 1:1-Versorgung, nachweislich bestanden. Als Rückschluss die außerklinische Intensivpflege de facto abzuschaffen, ist sicher keine adäquate Reaktion. Im übertragenen Sinne käme dies der Maßnahme gleich, Autos abzuschaffen, nur weil einige Fahrer in unverantwortlicher, fahrlässiger und ungesetzlicher Art und Weise damit umgehen. Es gilt in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen, dass sich die Intensivpflegedienste nicht ihr Klientel erschaffen, sie nicht die Indikation für die außerklinische Intensivpflege stellen, sondern, dass sie Patienten in zunehmender Zahl, wie oben beschrieben, fachlich ungefiltert, zugewiesen bekommen. Es ist an der Zeit, die Strukturen wirklich zu reformieren, sodass jeder Mensch mit außerklinischer Beatmung eine bedarfsgerechte, sinnvolle Versorgung erhält. Dazu benötigen wir für diese heterogene Patientengruppe eine dezidierte Indikationsstellung für die 1:1-Versorgung, aber auch deutlich mehr abgestufte Behandlungsmöglichkeiten z.B. in frührehabilitativen pneumologischen Einrichtungen, intermediären Intensivpflegeeinrichtungen, Pflegeeinrichtungen, Wohngruppen, Intensiv-Wohngemeinschaften usw. Für diese Versorgungsstufen müssen klar definierte Finanzierungs-, Struktur- und Qualitätsvorgaben geschaffen werden. Teilhabefähigkeit, selbstbestimmtes Leben und das soziale Umfeld müssen entscheidende Kriterien für die Versorgung sein. Derzeit gibt es zahlreiche Menschen mit Beatmung, die über eine gute pflegerische Versorgung, aber auch über Assistenzmodelle mit qualifizierten Laienhelfern, ein selbstbestimmtes Leben führen, mit Ausbildung, Berufstätigkeit oder sozialem Engagement, so z.B. Betroffene mit neuromuskulären Erkrankungen, hoher Querschnittlähmung oder Amyotropher Lateralsklerose (ALS). Was soll gemäß dem Referentenentwurf aus den Kindern werden, wenn sie das 18. Lebensjahr erreicht haben, studieren und arbeiten möchten? Soll ihr Leben isoliert und reglementiert in einer Pflegeeinrichtung enden?
Der Referentenentwurf bietet mit seinen positiven Seiten jetzt die Möglichkeit, wirkliche und effektive Veränderungen in der Versorgung von Menschen herbeizuführen, die das Schicksal haben, eine außerklinische Intensivpflege zu benötigen. Diese Änderungen, richtig festgelegt und durchgeführt, ermöglichen dann auch eine deutlich wirtschaftlichere Versorgung in diesem Bereich.
Diese Chance sollte genutzt werden.
Sehr geehrter Herr Gesundheitsminister Spahn, packen wir es an, aber bitte richtig!
Konzepte werden seit Jahren bei der Deutschen Interdisziplinären Gesellschaft für Außerklinische Beatmung (DIGAB) e.V. erarbeitet und auf vielfältigen Veranstaltungen, u.a. den Jahreskongressen, vorgestellt und diskutiert.
Gerne bieten wir als multidisziplinäre, unabhängige Fachgesellschaft für außerklinische Beatmung, bestehend aus Betroffenen, Pflegenden, Therapeuten, medizintechnischen Versorgern und Ärzten, unsere Mitarbeit bei der dringend erforderlichen Überarbeitung des Referentenentwurfs an.