Berlin – Im aktuellen Bundestagsbeschluss, den Familiennachzug für Geflüchtete mit eingeschränktem Schutzstatus bis Ende Juli 2018 auszusetzen und anschließend auf monatlich 1000 Menschen zu begrenzen, sieht die Deutsche Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin e. V. (DGSPJ) hohe Risiken für unbegleitete Kinder und Jugendliche. Kinderärztinnen und Kinderärzte weisen auf die zentrale Bedeutung der Familie für die Kinder- und Jugendgesundheit hin. Sie fordern weiterhin kurze Aufenthalte von unbegleiteten Kindern und Jugendlichen mit Fluchthintergrund in Aufnahme-, Entscheidungs- und Rückführungseinrichtungen (ANkER-Einrichtungen).
„Ein wichtiges Ziel der DGSPJ ist das Eintreten für die Rechte aller Kinder in Deutschland entsprechend der UN-Kinderrechtskonvention – ganz unabhängig davon, aus welchem Land sie stammen und wie lange sie bei uns sind“, erklärt Professorin Dr. Ute Thyen, Präsidentin der DGSPJ, und fordert: „Die Aufnahme-, Entscheidungs- und Rückführungseinrichtungen, also die sogenannten ANkER-Einrichtungen, können für Kinder und Jugendliche mit Fluchthintergrund nur für eine kurze Zeitdauer als Aufenthaltsort dienen. Längere Aufenthalte in Erstaufnahme-Einrichtungen von vielen Monaten bis hin zu Jahren, wie es aktuell nicht nur in Ausnahmefällen vorkommt, sind strikt abzulehnen.“
In den ANkER-Einrichtungen soll gemäß den aktuellen Koalitionsvereinbarungen zukünftig auch bei unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen noch vor ihrer Inobhubnahme durch die Jugendämter eine Registrierung und Altersfeststellung erfolgen. Die Aufenthaltsdauer soll dabei 18 Monate, bei Familien mit minderjährigen Kindern „in der Regel“ sechs Monate nicht überschreiten.
Zahlreiche Studien belegen, dass sich das Vorhandensein einer Familie positiv auf die Kinder- und Jugendgesundheit auswirkt. Das Aufwachsen in einer „funktionalen“ Familie gilt als Resilienz-Faktor, das bedeutet, dass Menschen die Fähigkeit zu Belastbarkeit und innerer Stärke haben und rechtzeitig Maßnahmen ergreifen, um ihr emotionales und körperliches Wohlbefinden zu wahren. Kinder und Jugendliche mit Fluchthintergrund, die mit ihrer Familie in Deutschland leben, haben eine geringere Wahrscheinlichkeit an einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) zu erkranken als unbegleitete Kinder und Jugendliche. Die positiven Effekte durch das Zusammenleben im familiären Verbund – insbesondere die seelische Gesundheit – verbessern die Chancen für eine erfolgreiche Integration und Inklusion. Im Gegensatz dazu stellt ein längerer Aufenthalt in Sammelunterkünften mit unklarem Aufenthaltsstatus ein hohes Risiko für die physische und psychische Gesundheit von unbegleiteten Kindern und Jugendlichen dar.
Auf der Grundlage dieser Studienergebnisse fordert die DGSPJ beim Familiennachzug die Berücksichtigung humanitärer Aspekte. Durch das Einbeziehen von entwicklungs- und beziehungspsychologisch geschulten Fachleuten und Institutionen, sollten die Auswirkungen der Trennung von der Familie auf die seelische und körperliche Gesundheit individuell beurteilt werden. Eine reine Quotenregelung, ohne Berücksichtigung der Kindergesundheit – wie es der Bundestagsbeschluss ab August 2018 vorsieht – entspreche nicht dem Wohl von Kindern und Jugendlichen.
„Wenn in den ANkER-Einrichtungen auch unbegleitete Kinder und Jugendliche mit Fluchthintergrund untergebracht werden, ist eine adäquate medizinische und psychosoziale Betreuung unerlässlich. Entsprechend der UN-Kinderrechtskonvention muss das jeweilige Wohl etwaig betroffener Kinder im Zentrum der Überlegungen stehen. Darüber hinaus müssen die Statistiken zur jeweiligen Aufenthaltsdauer offengelegt werden“, fordert Professorin Thyen.
Deutsche Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin e. V.
Die Deutsche Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin e. V. (DGSPJ) wurde 1966 als Nachfolgerin der seit 1953 bestehenden Deutschen Vereinigung für die Gesundheitsfürsorge des Kindesalters gegründet. Die Arbeit der DGSPJ basiert auf der Anerkennung der Rechte des Kindes entsprechend der UN-Kinderrechtskonvention. Die DGSPJ initiiert und fördert gesundheitliche Präventionsprogramme für Familien, Kinder und Jugendliche zur Verbesserung der gesundheitlichen und sozialen Lebensbedingungen von Kindern und Jugendlichen und ihren Familien. Sie tritt ein für die Stärkung und Unterstützung von Kindern und Jugendlichen und ihren Familien bei sozialer Benachteiligung, chronischer Erkrankung, Behinderung, Entwicklungsstörung oder besonderen Bedürfnissen.