Berlin – Bisherige Praxis ist Verstoß gegen Menschenrechte / Entscheidung muss nach medizinischen Kriterien geprüft werden / “Schallende Ohrfeige für bayrischen Strafvollzug”
Der Freistaat Bayern muss heroinabhängigen Häftlingen Zugang zu einer Substitutionstherapie gewähren, wenn dies medizinisch geboten ist. Das geht aus einem Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) von Donnerstag hervor. Geklagt hatte ein Häftling, dem die Substitution verweigert worden war. Die bayerische Justiz hat in diesem Fall laut Urteil gegen Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention verstoßen, der unmenschliche oder erniedrigende Strafe und Behandlung verbietet.
Dazu erklärt Winfried Holz vom Vorstand der Deutschen AIDS-Hilfe:
“Das Urteil ist eindeutig: Bayern muss sich nun endlich an die Menschenrechte halten und heroinabhängigen Häftlingen die Therapie zugänglich machen, die ihnen zusteht. Der bayerische Justizminister Winfried Bausback muss unverzüglich dafür sorgen, dass die Gesundheit schützende und Leben rettende Behandlung auch in bayrischen Haftanstalten erfolgt. Die Zeit ideologisch motivierter Ausflüchte ist vorbei.”
Substitution – Standardtherapie bei Opiatabhängigkeit
Die Substitutionstherapie ist in Freiheit die Standardtherapie bei Opiatabhängigkeit. Obwohl die medizinische Behandlung laut bayrischem Strafvollzugsgesetz in Haft nicht schlechter sein darf als draußen, sind Substitutionstherapien in bayrischen Gefängnissen kaum verfügbar. Begründet wird dies immer wieder damit, die Therapie sei im jeweiligen Fall nicht angemessen.
Das Gericht hat nun betont, es sei hinreichend zu prüfen, ob eine solche Therapie angezeigt ist. Dabei seien auch Experten von außen hinzuzuziehen. Genau dies war im vorliegenden Fall – wie in vielen anderen – unterblieben.
Dazu DAH-Vorstand Winfried Holz:
“Was eigentlich eine Selbstverständlichkeit ist, musste das Europäische Gericht der bayrischen Landesregierung noch einmal ins Stammbuch schreiben: Die Justiz darf nicht nach Gutdünken entscheiden, sondern muss sich an die Regeln der Medizin halten. Bleibt zu hoffen, dass ab sofort auch in Bayern nach wissenschaftlichen Kriterien entschieden wird.”
Substitution rettet Leben
Bei Substitutionstherapien wird ein Ersatzstoff wie Methadon verabreicht. Er nimmt den Abhängigen den Druck, die Droge zu konsumieren. Damit werden viele gesundheitliche Risiken ausgeschaltet oder minimiert. Unter anderem können durch die Substitution HIV- und Hepatitis-Infektionen vermieden werden.
“Schallende Ohrfeige” für bayrischen Strafvollzug
Der renommierte Strafrechtler Johannes Feest, emeritierter Professor für Strafverfolgung, Strafvollzug und Strafrecht an der Universität Bremen, hat das EGMR-Urteil gegenüber aidshilfe.de “eine schallende Ohrfeige für den bayrischen Vollzug” genannt.