Berlin – „Die Covid-19-Pandemie hat Stärken und Schwächen des deutschen Sozial- und Gesundheitssystems aufgezeigt. Eine Aufgabe des neu gewählten Bundestags und der nächsten Bundesregierung wird es sein, die Schwächen zu beheben und das Gesundheitssystem zukunftsorientiert aufzustellen. Eine Herausforderung wird dabei darin liegen, mit begrenzten Ressourcen eine an den Bedürfnissen der Patient:innen orientierte, qualitativ hochwertige sowie effiziente Gesundheitsversorgung sicherzustellen. Um dies zu erreichen, müssen Strukturen geschaffen werden, die einen einfachen Zugang zu einer qualifizierten Gesundheitsversorgung gewähren und den medizinisch-technischen Fortschritt einbeziehen. Zugleich gilt es, auch für mögliche weitere globale Pandemien gerüstet zu sein. Eine besondere Herausforderung ist die Bewältigung des akuten Fachkräftemangels in einer älter werdenden Gesellschaft. Um diesen komplexen Aufgaben gerecht zu werden, sind Veränderungen in den vier Handlungsfeldern Qualität, Vernetzung, Personal und Finanzierung notwendig. Wie diese aussehen sollten, hat der DEKV-Vorstand in seinen Forderungen zusammengefasst“, erklärt Christoph Radbruch, Vorsitzender des DEKV.
Qualitätspolitik mit Augenmaß
Die Basis einer patient:innen-orientierten und qualitativ hochwertigen Versorgung sind ein bundeseinheitlicher Planungs- und Finanzierungsrahmen mit Mindeststandards sowie eine regionale Planung, die evidenzbasierte, wissenschaftliche Qualitätsparameter einbezieht. Mindestanforderungen an die Krankenhausbehandlung stärken dabei die Versorgungsqualität, vorausgesetzt, sie führen nicht zu einer intransparenten Strukturpolitik, die die regionalen Versorgungserfordernisse gefährdet. Bestehende Qualitätsparameter und Qualitätskriterien wie Mindestmengen müssen im Hinblick auf ihren Beitrag zur Verbesserung der Versorgung und der Patientensicherheit überprüft werden.
„Es braucht eine Qualitätspolitik mit Augenmaß, die wünschenswerte Versorgungsqualitätsziele mit Wirtschaftlichkeit verbindet. Um die regionalen Besonderheiten sowie die medizinischen, pflegerischen, sozialen und demografischen Bedarfe passgenau zu berücksichtigen, fordern wir eine durch die Bundesregierung geförderte kleinräumige, regionale Versorgungsbedarfsforschung. Die gewonnenen Daten müssen den Krankenhäusern und Krankenkassen unentgeltlich zur Verfügung gestellt werden“, betont Radbruch.
Zuwendung als Qualitätskriterium
Menschliche Zuwendung schafft ein heilungsförderndes und die Gesundung unterstützendes Umfeld. Dabei ist sie facettenreich und geht über Patient:innenorientierung und -zufriedenheit hinaus. Sie stellt eine eigene medizinisch-pflegerische Kategorie dar. Auch bezieht Zuwendung die Perspektive der Mitarbeitenden aller Berufsgruppen im Krankenhaus ein. „Hier besteht Handlungsbedarf für den Gesetzgeber“, betont Radbruch. „Wir fordern, das Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIG) über den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) mit der Entwicklung eines Zuwendungsindex für die stationäre und tagesstationäre Patient:innenversorgung zu beauftragen. Er muss in die Qualitätsmessung der Krankenhausversorgung eingeführt und in den Qualitätsberichten veröffentlicht werden. Nur mit einer umfassenden Betrachtung des Handlungsfeldes Qualität, die eine patient:innen-orientierte Sicht einschließt, sind wir für die Herausforderungen der Zukunft gut vorbereitet. Die evangelischen Krankenhäuser sind bereit, diesen Prozess aktiv mitzugestalten“, erläutert Radbruch.
Vernetzung über Sektorengrenzen hinweg
„Die bestehenden Grenzen zwischen Krankenhaus und niedergelassenen Ärzten, der stationären und ambulanten Altenhilfe und Rehabilitationseinrichtungen sowie pflegenden Angehörigen müssen durchlässiger werden. Die so entstehende Vernetzung führt unmittelbar zu einer erhöhten Versorgungsqualität. Dabei ist auch die Ambulantisierung von Krankenhausleistungen ein aus medizinischer und wirtschaftlicher Sicht nötiger Schritt. Studien gehen davon aus, dass bis zu 20 Prozent der Leistungen – das entspricht bis zu vier Millionen stationären Fällen – ambulant erbracht werden könnten. Allerdings sind in vielen Fällen die Ausstattung und die fachlich-interdisziplinäre Expertise des Krankenhauses notwendig. Daher müssen die Kostenstrukturen der Krankenhäuser bei der ambulanten Leistungserbringung berücksichtigt werden. Eine patient:innen-orientierte Versorgung über die Sektorengrenzen hinweg benötigt ein eigenes Budget und eine regionale Koordination. Daher sollten sich Krankenhäuser zu regionalen Gesundheitszentren weiterentwickeln, die die koordinierende Rolle in der Vernetzung von ambulanten und stationären Gesundheits- und Sozialleistungen übernehmen. Patient:innen fällt die Orientierung in einem komplexen Netzwerk im Gesundheitswesen oft schwer. Daher befürworten wir quartiersbezogene Patientenlotsen flächendeckend einzuführen, die über die Regelversorgung finanziert werden“, so Radbruch weiter.
Pflege stärken
Der anhaltende Fachkräftemangel stellt Krankenhäuser vor große Herausforderungen, denn die Patient:innenversorgung ist personalintensiv. „Mittel- bis langfristig kann dem Personalmangel nach Ansicht des DEKV nur durch bessere Arbeitsbedingungen in der Pflege, mehr Wertschätzung und attraktive Karrieremöglichkeiten begegnet werden. Die interprofessionelle Zusammenarbeit im Behandlungsteam muss gefördert und darüber die Pflege gestärkt werden. Dazu sind die vorbehaltenen Tätigkeiten durch den Gesetzgeber zu konkretisieren. Auch ist eine Neuverteilung von Verantwortung zwischen den Berufsgruppen durch ein Anreizsystem im Krankenhauswesen zu entwickeln. Benötigt wird zudem ein modernes, wissenschaftlich fundiertes Pflegebedarfsbemessungsinstrument, das sowohl den Qualifikationsmix als auch die akademische Pflege berücksichtigt.
Darüber hinaus gilt es, die Digitalkompetenz aller Mitarbeitenden in einer bundesweiten Qualifikationsoffensive durch Fort- und Weiterbildung zu stärken, damit eine umfassende digitale Transformation der stationären Versorgung gelingt. Um Abschlüsse in der akademischen und dualen Pflegeausbildung zu stärken, ist die Ausweitung und Finanzierung der Praxisanleitung zu fördern“, erläutert Radbruch.
Finanzierung sicher und transparent gestalten
Die Diagnosis Related Groups (DRG) sind durch die pauschale leistungsorientierte Erstattung geeignet, Transparenz herzustellen. Belastend auf die Finanzierung der Krankenhäuser wirkt sich jedoch die Länderinvestitionslücke aus, die laut Bundesrechnungshof 4 Milliarden Euro pro Jahr beträgt. Sie trifft nicht nur Krankenhäuser in ländlichen Regionen, sondern alle Häuser. Sie führt zu der Fehlentwicklung, dass Krankenhäuser Gewinne zur Finanzierung von Investitionen erwirtschaften müssen. An seine Grenzen stößt das DRG-System jedoch bei bedarfsnotwendigen Kliniken, deren Fallzahlen nicht ausreichen, um die durch die Qualitäts- und Strukturvorgaben entstehenden Kosten zu finanzieren. Die nachweislich nicht gedeckten notwendigen Kosten sollten nach Ansicht des DEKV durch Steuermittel ausgeglichen werden. Dazu Radbruch: „Es ist eine hoheitliche staatliche Aufgabe, die Daseinsfürsorge in den Versorgungsregionen zu finanzieren, in denen Krankenhäuser dies aus eigener wirtschaftlicher Kraftanstrengung nicht schaffen.“
Krankenhäuser in Deutschland unterscheiden sich im Hinblick auf Personalkosten, Vorhaltekosten und Eigeninvestitionen, da hier verschiedene Einflussfaktoren wie Versorgungsauftrag, Region oder Träger eine Rolle spielen. Um hier Transparenz zu schaffen, muss das Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) beauftragt werden, die unterschiedlichen Kostenstrukturen der privaten, öffentlich-rechtlichen und kirchlichen Krankenhäuser sowie der unterschiedlichen Versorgungsstufen auf Grundlage einer breiten Datenbasis in regelmäßigen Abständen zu analysieren.
„Um eine qualitativ hochwertige, an den Bedürfnissen der Patient:innen orientierte Versorgung zu erreichen, muss die Politik in der kommenden Legislaturperiode alle vier Handlungsfelder berücksichtigen. Dabei wirken wir als DEKV gern mit“, resümiert Radbruch.
Der Deutsche Evangelische Krankenhausverband e.V. (DEKV) vertritt mit 199 evangelischen Kliniken an über 273 Standorten jedes achte deutsche Krankenhaus. Die evangelischen Krankenhäuser versorgen jährlich mehr als 2,5 Mio. Patientinnen und Patienten stationär und mehr als 3 Mio. ambulant. Mit über 123.000 Beschäftigten und einem Umsatz von 10 Mrd. € sind sie ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Der DEKV ist Branchenverband der evangelischen Krankenhäuser und Mitglied im Evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung e.V. Der DEKV setzt sich insbesondere für eine zukunftsorientierte und innovative Krankenhauspolitik mit Trägervielfalt, verlässliche Rahmenbedingungen für die Krankenhausfinanzierung, eine Modernisierung der Gesundheitsberufe und für eine zukunftsorientierte konsequente Patientenorientierung in der Versorgung ein.
Vorsitzender: Vorsteher Christoph Radbruch, Magdeburg, stellvertr. Vorsitzende: Andrea Trenner, Berlin, Schatzmeister: Dr. Holger Stiller, Düsseldorf, Verbandsdirektorin: Melanie Kanzler, Berlin.