Hürth-Efferen – Rückenschmerzen zählen zu den großen Volksleiden. In Deutschland gehen 20 Prozent der gesetzlich Versicherten mindestens einmal im Jahr wegen Rückenschmerzen zum Arzt. Anlässlich des 16. Tages der Rückengesundheit am 15. März 2017 weist der Deutsche Verband für Gesundheitssport und Sporttherapie e. V. (DVGS) darauf hin, dass immer mehr Studien belegen, dass Schmerzmittel hier nicht ausreichend helfen. Es gibt jedoch starke Evidenz, dass körperliche Aktivität und Bewegung Rückenschmerzen vorbeugen können und einen effektiven Therapieansatz darstellen. Wichtig ist dabei u.a. die kompetente Begleitung durch ausgebildete Experten.
Rückenschmerzen stellen ein gravierendes medizinisches und gesundheitsökonomisches Problem dar. 70 % der deutschen Bevölkerung haben mindestens einmal im Jahr mehr oder weniger starke Rückenschmerzen. Jeder Fünfte geht deswegen zum Arzt. In Summe macht das 38 Millionen Arztbesuche pro Jahr wegen Rückenschmerzen und neun Milliarden Euro, die für deren medizinische Behandlung ausgegeben werden [1].
Nationale VersorgungsLeitlinie empfiehlt Bewegung
Die „Nationale VersorgungsLeitlinie Kreuzschmerz“ des Ärztlichen Zentrum für Qualität in der Medizin (ÄZQ) wurde 2010 mit dem Ziel herausgegeben, die Behandlung zu standardisieren [2]. Auch in der gerade veröffentlichten 2. Auflage der Leitlinie empfehlen die Experten, dass Ärzte ihren Patienten mit Rückenbeschwerden u.a. zur Beibehaltung von Alltagsaktivitäten raten sollen. Stattdessen empfehlen immer noch zu viele Ärzte Schonung, verordnen bildgebende Untersuchungen oder Schmerzmittel, obwohl es sich bei 85 % der rückenassoziierten Beschwerden um keine ernsthafte Erkrankung handelt [1]. Die Ursachen sind häufig mangelnde Bewegung und zu viel Sitzen, Stress (vor allem berufsbezogen), depressive Verstimmungen und ein Zusammenspiel aus hoher körperlicher Belastung und geringem Trainingszustand.
Schmerzmittel oft nicht wirksam
„Gerade für Schmerzmittel häufen sich die Belege, dass sie bei Rückenleiden gar nicht wirksam sind“, erläutert Professor Dr. Klaus Pfeifer, Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat des DVGS. „So hat gerade erst eine aktuelle Übersichtsarbeit belegt, dass nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR), entzündungshemmend wirkende Schmerzmittel, lediglich sehr begrenzte, kurzfristige Schmerzlinderung bieten und keine klinisch signifikante Wirkung auf Wirbelsäulenschmerzen ausüben. Dafür sind sie mit erhöhten gastrointestinalen Problemen assoziiert.“ [3] Bestätigt wird diese Bewertung durch eine weitere ganz aktuelle Übersichtsarbeit aus Amerika, die 46 Studien ausgewertet hat. Auch für Paracetamol konnte hier kein Nutzen bei Rückenschmerzen nachgewiesen werden [4], eine Erkenntnis, die auch in der Nationale VersorgungsLeitlinie Kreuzschmerz Eingang gefunden hat [2].
Amerikaner haben Praxisleitlinie bereits angepasst
Das American College of Physicians (ACP) hat dies bereits zum Anlass genommen, seine Praxisleitlinie zur Therapie bei Schmerzen im unteren Rückenbereich zu überarbeiten. Sie empfehlen nun bei chronischen Kreuzschmerzen primär nichtmedikamentöse und multidisziplinäre Maßnahmen wie mehr körperlicher Bewegung, Gymnastik, Akupunktur, Yoga oder Stressreduktion. Erst wenn dies nicht wirken, sollten NSAR zum Einsatz kommen [5].
Bewegung und Training beugen vor
„Wir würden uns wünschen, dass sich diese Erkenntnisse auch in Deutschland noch stärker durchsetzen würden“, meint Stefan Peters, wissenschaftlicher Mitarbeiter des DVGS und der Universität Würzburg. Er bringt außerdem vor: „Es gibt genug Evidenz, dass Bewegung und körperliches Training passende Mittel gegen die Rückenschmerzepidemie wären. So zeigt eine kürzlich veröffentlichte Übersichtsarbeit, dass körperliches Training alleine, oder in Kombination mit Schulung, das Risiko für Rückenschmerzen und Arbeitsunfähigkeit senken kann, während Schulung alleine, Rückengurte, Schuheinlagen und Ergonomie nicht vorbeugend gegenüber Rückenschmerzen wirken [6]. Dies bestätigt auch eine neue Studie aus Australien [7]“.
Patienten motivieren und qualifizierte Angebote wählen
„Vor allen Dingen gilt es Wege zu finden, die Patienten zu mehr Bewegung zu motivieren und für Qualität in der Schulung zu sorgen. Die fehlende Motivation der Betroffenen ist neben der fehlenden ärztlichen Beratung ein großes Hindernis“, erklärt Professor Pfeifer. Um diese zu einem bewegten Lebensstil zu führen, müssen vor allem auch diejenigen, die Rückenschulkurse geben, entsprechend geschult sein. „Der DVGS sorgt seit vielen Jahren mit seinen Qualifikationskursen und -lehrgängen, insbesondere mit den Rückenschul-Kursleiter-Lizenz-Lehrgängen, für die Qualifizierung der Bewegungsfachleute.“ Unter dem Namen „Neue Rückenschule – neue aktive Wege“ hat der DVGS gemäß der „Konföderation der deutschen Rückenschulen“ ein Konzept entwickelt für einen ganzheitlichen, bio-psycho-sozialer Ansatz für die Rückenschule. Dieser Ansatz zielt u.a. ab auf die Animierung der Teilnehmer zu regelmäßiger körperlicher Aktivität, dem Abbau von psychischen Überbelastungen und einer veränderten Einstellung zu Rückenschmerzen. „Unsere Bewegungs-Experten zeigen den Teilnehmern der Rückenschulkurse, dass langfristige Rückengesundheit nur dann erreichbar wird, wenn diese drei Aspekte gemeinsam Beachtung finden“, erklärt Pfeifer. Die Kurse sind nicht nur von der Zentrale Prüfstelle Prävention zertifiziert, sondern tragen auch das IN FORM-Logo, mit dem Bundesministerium für Gesundheit sowie das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) sich für die Qualität des Konzepts aussprechen.
Quellen
- Bertelsmann Stiftung (Hrsg.): Faktencheck Rücken, Gütersloh, 2016
- Bundesärztekammer (BÄK), Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF). Nationale VersorgungsLeitlinie Nicht-spezifischer Kreuzschmerz – Langfassung, 2. Auflage 2017,. Abgerufen am 09.03.2017 unter www.kreuzschmerz.versorgungsleitlinien.de
- Machado, G et al. Nonsteroidal anti-inflammatory drugs for spinal pain: a systematic review and metaanalysis. Annals of the Rheumatic Diseases. 2017;0:1–10. [Cited 2017 February 2] doi:10.1136/annrheumdis2016210597
- Chou R, Deyo R, Friedly J, Skelly A, Weimer M, Fu R, et al. Systemic Pharmacologic Therapies for Low Back Pain: A Systematic Review for an American College of Physicians Clinical Practice Guideline. Ann Intern Med. [Epub ahead of print 14 February 2017] doi: 10.7326/M16-2458)
- Qaseem A, Wilt TJ, McLean RM, Forciea MA, for the Clinical Guidelines Committee of the American College of Physicians. Noninvasive Treatments for Acute, Subacute, and Chronic Low Back Pain: A Clinical Practice Guideline from the American College of Physicians. Ann Intern Med. [Epub ahead of print 14 February 2017] doi: 10.7326/M16-2367)
- Steffens, D., Maher, C.G., Pereira, L.S.M., Stevens, M.L., Oliveira, V.C., Chapple, M., Teixeira-Salmela, L.F., Hancock, M.J. (2016). Prevention of low back pain. A systematic review and meta-analysis. JAMA Intern Med, 176(2), 199-208.
- Bichell, R.E. (2016). Forget the gizmos: Exercise works best for lower-back pain. Abgerufen am 11.05.2016 unter www.npr.org/sections/health-shots/2016/01/11/462366361/forget-the-gizmos-exercise-works-best-for-lower-back-pain