Köln – Urteil des OLG Köln zum Verflechtungsskandal zwischen Grünenthal und Conterganstiftung rechtskräftig
Der Beklagte RA Karl Schucht hatte in einem Brief vom 22.2.2013 an die Abgeordneten des Bundesfamilienausschusses behauptet, der contergangeschädigte Kläger Andreas Meyer habe auf einer öffentlichen Sitzung des Bundesfamilienausschusses die Unwahrheit gesagt.
Meyer hat gegen Schucht vor dem OLG Köln erfolgreich auf Unterlassung geklagt.
RA Karl Schucht (Beklagter) wurde durch das nunmehr rechtskräftige Urteil des OLG Köln vom 12.4.2018 (Akz. 15 U 85/17) zum Verflechtungsskandal zwischen Grünenthal und Conterganstiftung untersagt zu behaupten:
„a. Herr Meyer hat behauptet, 30 Jahre lang habe Grünenthal in der Conterganstiftung auch auf die medizinischen Akten der Betroffenen geschaut. Diese Behauptung ist unwahr. Grünenthal hat zu keiner Zeit Zugang zu den medizinischen Akten der Conterganstiftung gehabt. Die medizinischen Akten wurden und werden stets in der Geschäftsstelle der Conterganstiftung aufbewahrt.
b. Herr Meyer hat behauptet, Grünenthal habe 30 Jahre lang die Gutachter der medizinischen Kommission der Conterganstiftung bezahlt. Diese Behauptung ist unwahr. Die Gutachter der medizinischen Kommission sind stets aus Mitteln der Conterganstiftung bezahlt worden.“
Sollte RA Schucht diese Behauptung erneut aufstellen, muss er mit einem Ordnungsgeld bis zu 250.000 € sowie ersatzweise mit bis zu 6 Monaten Ordnungshaft rechnen.
Die weiter von Meyer geltend gemachten Ansprüche auf Richtigstellung gegenüber den Mitgliedern des damaligen Bundestagsausschusses wurden hingegen abgewiesen, da insoweit kein berechtigtes Interesse mehr bestehe. Die Mitglieder des Ausschusses nähmen an der Gesetzgebung nicht mehr teil. Eine Revision wurde vom OLG Köln nicht zugelassen, weil es sich um eine Einzelfallentscheidung ohne grundsätzliche Bedeutung handele.
In seiner Urteilsbegründung stellt das OLG Köln u.a. auf den Seiten 13 und 14 fest:
„(1)
Zutreffend hat das Landgericht erkannt, dass unabhängig davon, was Inhalt der ,Handakten’ gewesen ist, die schließlich in das Archiv der Firma Grünenthal überführt wurden, Rechtsanwalt Wartensleben jeweils die medizinische Akte erhalten hat (…), sodass diese Mitarbeitern dieses Unternehmens zugänglich waren.
Herr Wartensleben nahm diese zwar in seiner Eigenschaft als Mitglied der Medizinischen Kommission der Conterganstiftung in Empfang, zugleich war er aber in der ersten Zeit als Justiziar bei diesem Unternehmen angestellt, später, nach seinem Ausscheiden, vertrat er es als Rechtsanwalt.
Dasselbe gilt für den gesamten Zeitabschnitt der Tätigkeit des Herrn Wartensleben für dessen Gehilfen und Mitarbeiter R., der Mitarbeiter von Grünenthal war.
Zwar mag in diesem Zusammenhang eine ,Doppelrolle’ des Rechtsanwaltes Wartensleben bzw. des weiteren Mitarbeiter R. in Rede stehen. Auch mag man davon ausgehen, dass eine ,Verschwiegenheit’ satzungsgemäß bzw. kraft Gesetzes statuiert oder jedenfalls in der Art einer sogenannten ,chinese wall’ organisiert war.
Es bestand jedoch immer eine Identität der handelnden Personen, was jedenfalls deswegen schon die Möglichkeit der Kenntnisnahme für ,Grünenthal’ begründete.
(2)
Unstreitig ist weiter, dass die Finanzierung der Arbeit der Medizinischen Kommission jedenfalls teilweise über ein Pauschalbetrag abgesichert wurde, den die Firma Grünenthal an die Conterganstiftung überwiesen hat.
Diese seit dem Jahr 1973 bestehende Praxis wurde im Jahr 2005 auf eine vertragliche Grundlage gestellt, wonach sich die Firma Grünenthal zu einer jährlichen Zahlung von 24.000,00 EUR an die Conterganstiftung verpflichtete, die der Abdeckung von Aufwendungen der Medizinischen Kommission diente.
Die hier nach wie vor zwischen den Parteien strittige Frage, ob unmittelbare Zahlungen durch die Conterganstiftung an die Gutachter erfolgt sind, auf die das Landgericht allein abstellt, ist also hier nicht entscheidend.
Damit ist der Unterlassungsanspruch begründet, da unwahre Behauptungen durch den Beklagten aufgestellt worden sind, deren Wiederholung droht.“ (Abkürzungen und Auslassungen durch uns.)
Meyer: „Das Verflechtungsurteil ist deswegen für uns Conterganopfer historisch, weil es nicht nur belegt, dass es die Verflechtungen zwischen Grünenthal und die Conterganstiftung gegeben hat. Es wird dadurch gleichzeitig auch belegt, dass die Bundesregierungen der letzten Jahrzehnte von diesen Verflechtungen gewusst haben. Denn die Bundesregierung hatten über ihre Ministerien den Einblick und/oder die Aufsicht über die Conterganstiftung. Alle Bundesregierungen lieferten die Conterganopfer der Firma Grünenthal jahrzehntelang aus. Und daran sieht man die Präferenz, die man Grünenthal gab. Und jahrzehntelang verschwiegen und duldeten sie es alle. Egal, welcher Partei sie angehörten. So arbeitet ein Kartell. Das Grünenthal-Kartell gegen uns Conterganopfer.“
„Und nicht nur der Handlanger RA Karl Schucht log 2013 für Grünenthal. 2013 belog auch noch die damalige Bundesregierung den Deutschen Bundestag, nur um ein Conterganopfer zu diffamieren, dass die Wahrheit sagte. Für wen log man? Für Grünenthal! “ sagt Meyer.
Das seit 1972 über die Conterganstiftung die Aufsicht führende Bundesfamilienministerium erklärte 2013 u.a. in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke, dass Schuchts Brief auch die Meinung der Bundesregierung abbilde (Antwort vom 22.4.2013 auf Frage Nr. 1 der Kleinen Anfrage – Drucks. 17/12998 vom 4. April 2013). In einer weiteren Antwort erklärte das Bundesfamilienministerium, dass nach Kenntnis der Bundesregierung die Firma Grünenthal GmbH keinen Zugang zu den Akten der Stiftung gehabt hätte (Antwort vom 22.4.2013 auf die Fragen Nr. 3 und 4 der Kleinen Anfrage – Drucks. 17/12998 vom 4. April 2013).
Bundesfamilienministerin war zum Zeitpunkt der Antwort auf die Kleine Anfrage der Partei Die Linke Frau Ministerin Dr. Kristina Schröder (CDU). Die Antwort auf die Kleine Anfrage der Partei Die Linke vom 22.4.2013 unterzeichnete der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Hermann Kues (CDU).
Meyer: „Ich kann ja verstehen, dass die Lügen in Schuchts Brief das Wunschdenken der damaligen Bundesregierung abbildeten (Antwort auf Frage Nr. 1). Aber das man dann die Kenntnis leugnet, dass die Firma Grünenthal Zugang zu den Akten der Stiftung gehabt hätte (Antwort auf die Fragen Nr. 3 und 4), steht den Lügen in Schuchts Brief in nichts nach.“
Meyer erinnert:
Frau Bundesministerin für Jugend, Familie und Gesundheit (BMJFG) Käte Strobel (SPD) habe 1972 auf der konstituierenden Stiftungsratssitzung der Conterganstiftung eine feierliche Rede gehalten. RA Herbert Wartensleben sei auf dieser Sitzung anwesend gewesen. Wartensleben sei auf derselben Sitzung zum Vorsitzenden seiner Medizinischen Kommissionen bestellt worden. 1973 habe Frau Bundesministerin Dr. Katharina Focke (BMJFG) auf einer Stiftungsratssitzung ihre gesamte Aufmerksamkeit der Schadenspunktetabelle gewidmet. Nach dieser Tabelle wird der Schadensgrad der Betroffenen und damit die Höhe ihrer Renten bemessen. Auch bei dieser Sitzung sei die Anwesenheit Wartenslebens festgehalten worden. Einige Zeit später sei Wartensleben Mitverfasser der Schadenspunktetabelle gewesen. Die gleichzeitige Eigenschaft Wartenslebens als Leiter der Rechtsabteilung Grünenthals war damals allen bekannt.
„Die jeweilige Bundesregierung ließ es nicht nur zu, dass Grünenthal über Wartensleben als Kommissionsvorsitzender beeinflussen konnte, wer von uns contergangeschädigt ist oder nicht. Unter den Augen der jeweiligen Bundesregierung war Grünenthal über Wartensleben auch Mitverfasser der Schadenskriterien.“ sagt Meyer.
1983 hätte sich die Conterganstiftung von Brüsseler Anwälten der Firma Grünenthal gegen einen belgischen Betroffenen vertreten lassen, der vor Gericht um seine Anerkennung als Conterganopfer kämpfte. 2017 hätte ein von der Conterganstiftung beauftragter Rechtsanwalt bestätigt, dass es zu mindestens zwischen 1972 und 1983 üblich gewesen war, dass die Geschäftsstelle der Stiftung und die Gutachter der Medizinischen Kommission Unterlagen der Geschädigten zu Wartensleben für seine Kommissionstätigkeit an die Hausanschrift der Firma Grünenthal versandten.
Seit 1972 stelle das jeweilige Bundesfamilienministerium in der Conterganstiftung regelmäßig auch den Stiftungsratsvorsitzenden durch einen eigenen Ministerialbeamten und sei dadurch damals wie heute stets über alle Vorkommnisse innerhalb der Conterganstiftung detailliert unterrichtet. Ebenso seien von Anfang an die Ministerialbeamten des Bundesfinanzministeriums (BMF) und des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) im Stiftungsrat vertreten. Der Stiftungsrat ist das Entscheidungs- und Kontrollorgan der Conterganstiftung. Das Bundesfamilienministerium bestellt und beruft die Mitglieder des Vorstandes und des Stiftungsrates.
Wartensleben ist von 1972 bis Ende 2003 unstreitig Vorsitzender einer der beiden Medizinischen Kommissionen gewesen. In diesem Zeitraum waren die folgenden Bundesministerinnen und Bundesminister für Familie im Amt: Käte Strobel (SPD), Katharina Focke (SPD), Antje Huber (SPD), Anke Fuchs (SPD), Heiner Geißler (CDU), Rita Süssmuth (CDU), Ursula Lehr (CDU), Hannelore Rönsch (CDU), Angela Merkel (CDU), Claudia Nolte (CDU), Christine Bergmann (SPD), Renate Schmidt (SPD).
Meyer fordert als erste Sofortmaßnahmen, dass die Aufsicht über die Conterganstiftung dem Bundesfamilienministerium unverzüglich entzogen wird. „Die mindestens seit 1972 andauernden Handlangerdienste dieses Grünenthalministeriums müssen nun endlich ein Ende haben.“ sagt Meyer. Für Conterganopfer sei es eine Zumutung, jemals wieder eine Stiftungsratssitzung im Hause und/oder unter dem Vorsitz dieses Ministeriums abhalten zu müssen. Auch müsse der derzeitige Vorsitz der Medizinischen Kommission mit sofortiger Wirkung auf eine andere Kanzlei übertragen werden. Es könne nicht angehen, dass gerade die Sozietät den Kommissionsvorsitz weiter behalte, in der der Beklagte RA Karl Schucht bis Ende 2017 Partner war. Sämtliche Gutachter der Medizinischen Kommission müssten abgesetzt werden. Die Stiftung täte so, als ob ihre Gutachter weltweit die Einzigen wären, die unabhängig beurteilen könnten, ob jemand contergangeschädigt sei oder nicht. „Ja klar. Für die Ergebnisse hat Grünenthal sie bis heute gerne bezahlt.“ meint Meyer. Insbesondere fordert Meyer, dass die Conterganopfer im Stiftungsrat die Mehrheit bekommen. Zur Zeit hätten 3 Ministerialbeamte gegen die 2 Betroffenenvertreter die Mehrheit im Stiftungsrat. Auch müssten die Leistungsberechtigten aus dem Ausland im Stiftungsrat vertreten sein. „Die Conterganstiftung muss wie in Großbritannien in die Hände der Conterganopfer. Wir können das besser, als die Ministerialbeamten des Grünenthal-Kartells.“ betont Meyer.
Meyer fordert einen Untersuchungsausschuss, der u.a. die Frage klären soll, warum die öffentlich-rechtliche Conterganstiftung, die eigentlich neutral sein muss, die Thalidomidopfer – weltweit – der Firma Grünenthal jahrzehntelang ausgeliefert hat. Zudem müsse die Frage geklärt werden, wer noch – bisher im Hintergrund – diesem Kartell angehörte. Noch immer stünde die Frage offen, ob der Conterganstrafprozess zugunsten Grünenthals durch Einflussnahme der Politik eingestellt wurde.
„Gerechtigkeit für den Conterganskandal kann es nur geben, wenn es die Politik schafft, das Firmenkonsortium der Grünenthaleigentümerfamilie Wirtz dazu zu verpflichten, den gesamtgesellschaftlichen Schaden (in Form der an uns gezahlten Leistungen der Conterganstiftung und zukünftigen Schadensersatzzahlungen, Sozialleistungen, Krankenkassenleistungen usw., zum Großteil alles Mittel aus Steuern und Sozialabgaben usw.) den Bürgern dieses Landes wieder zurückzuzahlen.
Dies kann durch eine Enteignung des Firmenkonsortiums zugunsten der Allgemeinheit geschehen. Oder die Bundesrepublik Deutschland garantiert den Bürgern dieses Landes gesetzlich, dass sie sich nach unserem Ableben den gesamtgesellschaftlichen Schaden von dem Firmenkonsortium der Familie Wirtz in den nächsten 100 Jahren oder länger wieder zurückzahlen lässt.
In beiden Fällen jedenfalls hat die Politik den Conterganopfern die Entschädigung zukommen zu lassen (für sämtliche Gesundheitsschäden, Vermögensschäden, Altersrentenschäden, Angehörigenversorgung usw.), die ihnen zusteht. Und in beiden Fällen wäre zu mindestens der bisher ausgebliebene zivilrechtliche Präzedenzfall hergestellt. Damit wäre der unseligen Allianz aus Verflechtungen zwischen Wirtschaft und Politik ein für alle mal signalisiert, dass die Korruption im Conterganfall gescheitert ist.
Als eine erste Lehre aus dem Conterganskandal muss durch ein Antikorruptionsgesetz dafür gesorgt werden, dass Verflechtungen zwischen Wirtschaft und Politik oder Begünstigungen der Wirtschaft durch die Politik bei Wirtschaftsskandalen gar nicht erst entstehen bzw. unterbunden werden. Politiker sollten eigentlich die Bürger schützen. Aber wer schützt die Bürger vor korrupten Politikern? Ich habe hierzu eine Petition geschaltet: openpetition.de/!Antikorruptionsgesetz.
Als weitere Lehre aus dem Conterganskandal muss ein Strafrecht und Zivilrecht geschaffen werden, das die Waffengleichheit in Prozessen bei Pharmazie- und Produkthaftungs-skandalen herstellt. Im Bereich des Strafrechts müssen die Strafbehörden befähigt werden, gegen große bzw. sogar multinationale Konzerne erfolgreich vorzugehen.
Im Bereich des Zivilrechts muss der Verbraucher durch Verbandsklagen und Beweislastumkehr befähigt werden, seine Ansprüche gegen die Wirtschaftsmacht großer Unternehmen durchzusetzen.
Erst, wenn diese Schritte alle umgesetzt wurden, können wir sagen, dass Gerechtigkeit für den Conterganskandal erreicht worden ist und dieses Land seine Lehren daraus gezogen hat.“ sagt Meyer.
Das rechtskräftige Urteil und weitere Informationen finden Sie unter diesem Link:
www.gruenenthal-opfer.de/Material_OLG_Urteil_12_04_2018_rechtskrftg
Informationen von Herrn Meyers Anwälten, Herrn Professor Dr. Jan Hegemann und Frau Dr. Eva-Marie König von der Rechtsanwaltskanzlei Raue LLP, zur Rechtskraft des OLG Urteils finden Sie hier:
Die kleine Anfrage der Fraktion Die Linke vom 4.4.2013 samt Antworten finden Sie hier:
www.gruenenthal-opfer.de/Zwei_kleine_Anfragen_Linke_4_4_2013
Sie finden diese Pressemitteilung auch unter folgendem Link auf unserer Webseite:
www.gruenenthal-opfer.de/PM_Gr_Kartell_OLG_K_Urt_rechtskr_04_06_2018