Berlin – Die Deutsche Akademie für Kinder- und Jugendmedizin warnt vor einem Anstieg der Computerspiel- und Internetabhängigkeit von Kindern und Jugendlichen gerade im Zuge der Corona-Pandemie und fordert einen besseren Schutz.
Die Abhängigkeit von Drogen-, Alkohol- und Nikotin sind ein hinlänglich bekanntes Problem. Der Vertrieb dieser psychotropen Substanzen unterliegt daher auch strengen staatlichen Regulierungen zum Schutz von Kindern und Jugendlichen. Die Gefahren einer übermäßigen Nutzung digitaler Medien werden dagegen immer noch unterschätzt. In der jüngsten Version der geplanten Gesetzesnovelle zum Jugendschutzgesetz werden diese mit keinem Wort erwähnt, obgleich die Diagnose „Gaming Disorder“ bereits in den ICD-11 Katalog der Weltgesundheitsorganisation aufgenommen worden ist.
Die Nutzung digitaler Medien gehört inzwischen zu unserem Lebensalltag und damit auch zum Lebensalltag von Kindern und Jugendlichen. Aber gerade letztere brauchen ein behutsames Heranführen an die Nutzung dieser Medien, sie dürfen dabei nicht allein gelassen werden, sonst drohen ein problematisches Nutzungsverhalten und sogar die Entwicklung einer Abhängigkeit mit erheblichen Einschränkungen in der sozialen Teilhabefähigkeit, sowie psychischen und körperlichen Folgeerkrankungen.
Die von der Gaming-Industrie vertretene Haltung, Videospielsucht vornehmlich auf psychische Vorerkrankungen zurückzuführen, übersieht dabei den Umstand, dass viele Computerspiele abhängigkeitsfördernde Mechanismen, wie Glücksspielmechanismen („Lootboxen“), Belohnung für tägliches Spielen und zeitlimitierte Spielanreize („Battle Passes“) enthalten, sodass die Spiele zu einer lebensbestimmenden Beschäftigung werden können. Auch ist das von der Spieleindustrie hervorgebrachte Argument deshalb nicht tragfähig, da auch bei stoffgebundenen Abhängigkeiten wie Alkohol- oder Drogenabhängigkeit Vor- und Begleiterkrankungen nicht die Regel sind. Die Implementierung abhängigkeitsfördernder Elemente in die Spielekonzepte bildet nicht selten einen wesentlichen Teil des Geschäftsmodells und damit des wirtschaftlichen Erfolges. Aber gerade die aufgrund der entwicklungspsychologischen Voraussetzungen vulnerable Bevölkerungsgruppe der Kinder und Jugendlichen darf nicht im Fokus von Marketingstrategien stehen. „Hier auf eine freiwillige Selbstkontrolle der Branchenverbände zu setzten, grenzt an Leichtsinn“, erklärt Prof. Dr. Hans-Iko Huppertz, Generalsekretär der DAKJ, und betont, „wir dürfen den Schutz und das Wohlergehen unserer Kinder nicht den Belangen der Standortpolitik zugunsten kurzfristiger wirtschaftlicher Erfolge opfern!“
Eine reine Verhaltensprävention mit der Aufklärung von Eltern und Jugendlichen im Mediengebrauch genügt daher nicht. Wir brauchen verhältnispräventive Maßnahmen, die Kinder und Jugendliche schützen, d. h. die Lebensverhältnisse von Kindern und Jugendlichen müssen so gestaltet werden, dass suchtgefährdende Medien von ihnen ferngehalten werden und auf der anderen Seite Medienkompetenz erworben wird, die im späteren Jugendlichenalter/Erwachsenenalter zu einer dann verantwortungsvollen selbstregulierten Mediennutzung führt.
Die längst überfällige Novellierung des Jugendschutzgesetzes muss daher genutzt werden, um den Gefahren von Computerspielsucht und Internetabhängigkeit entgegenzuwirken.
Die Deutsche Akademie für Kinder- und Jugendmedizin fordert daher zum Schutz der Kinder und Jugendlichen:
- Einführung von auf objektiven Kriterien beruhenden Altersbeschränkungen für bestimmte Medienangebote wie Videospiele unter Einbezug deren abhängigkeitsfördernder Medienmechanismen
- Entwicklung eines „Medienscore/Gamingscore“ ähnlich dem „Nutriscore“ wie bei Lebensmitteln, der ebenso auf objektiven Kriterien beruhen muss
- Überprüfung und notfalls Änderung der bisher auf der Selbsteinschätzung der Medienindustrie beruhenden Einordnung der Produkte von industrieunabhängiger Seite