Traunstein – Fast täglich kommt es in Deutschland zu lebensgefährlichen Kohlenmonoxid- oder Rauchgasvergiftungen. Ursachen sind oft Wohnungsbrände, aber auch defekte Heizungsanlagen, bei denen das tückische, geruchlose CO unbemerkt austritt. Schnelle Hilfe bei schweren Vergiftungen leistet dann optimal nur die Versorgung der Unfallopfer mit hyperbarem Sauerstoff in Therapie-Druckkammern. Doch diese Druckkammern stehen in Deutschland weder flächendeckend noch rund um die Uhr zur Verfügung. Der Grund: Bis auf Hessen ist der Versorgungsauftrag in keinem Bundesland geregelt.
Gerade einmal fünf Druckkammern können bundesweit 24-Stunden-Bereitschaft leisten, um Verletzte aufzunehmen und notfallmedizinisch mit hyperbarem Sauerstoff zu versorgen. So kommt es insbesondere im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfallen, aber auch in Bayern und andernorts zu lebensgefährlichen Versorgungslücken. Erst im September konnte ein 64-jähriges Brandopfer aus Duisburg nachts nicht in eine Druckkammer gebracht werden, um die Vergiftung mit Kohlenmonoxid möglichst effektiv zu behandeln. Denn in NRW gibt es nur eine Druckkammer in 24-Stunden-Bereitschaft. Weil kein Personal zur Verfügung stand, war die nächstgelegene Kammer an der Uni-Klinik Düsseldorf nicht einsetzbar. Wegen des schlechten Wetters konnte der Patient nicht mit dem Rettungshubschrauber nach Wiesbaden geflogen werden. Wenige Tage zuvor verhinderte die Wetterlage, dass eine lebensgefährlich verletzte, pflegebedürftige 86-jährige Paderbornerin nicht nach Wiesbaden, Kiel oder Berlin geflogen werden konnte. Erst sechs Stunden später begann ihre Druckkammer-Therapie in Wiesbaden – nach dem Transport mit dem Rettungswagen. Rettungsmediziner in Nordrhein-Westfalen schlugen wegen dieser Gefährdung von Menschenleben Alarm.
Dabei ist die HBO-Therapie mit dem unter Überdruckbedingungen eingeatmeten medizinisch reinen Sauerstoff, die sicherste Behandlungsmethode, um das Leben von CO- und Rauchgasvergifteten zu retten und um neurologische Spätschäden bei ihnen zu vermeiden. Kohlenstoffmonoxid ist ein farb- und geruchloses Gas, das bei unvollkommenen Verbrennungen auftritt. Es ist bereits in geringen Konzentrationen für den Menschen gefährlich, da es sich 200- bis 300-mal schneller als Sauerstoff im Blut bindet. „Gerade im Hinblick auf Folgeschäden ist Dringlichkeit geboten, denn das Kohlenmonoxid eliminiert sich zwar langsam selbst aus dem Blut, aber oft nicht schnell genug aus Geweben wie Gehirn und Herzmuskel “, erklärt Dr. Urs Braumandl, ärztlicher Direktor des Instituts für Überdruckmedizin Regensburg und Lehrbeauftragter für Hyperbarmedizin an der Universität zu Regensburg.
Nur in Hessen gibt es eine gesicherte Notfallversorgung
„Fakt ist, dass in Deutschland zurzeit keine gesicherte und rasche Notfallversorgung besteht. Dabei könnte die in Hessen gefundene Lösung bundesweit Schule machen“, erklärt Dr. med. Christian Heiden, Vorsitzender des Verband Deutscher Druckkammerzentren e.V. (VDD). Im Februar 2012 entschied das hessische Sozialministerium in einer unbürokratischen Lösung, die Druckkammerversorgung für Notfallpatienten in diesem Bundesland zu sichern. Mit der Anbindung an die Asklepios Paulinen Klinik ist seitdem das Druckkammerzentrum Wiesbaden als „Zentrum für hyperbare Notfall- und Intensivmedizin“ in 24-Stunden-Bereitschaft im Einsatz – und mehr als ausgelastet. Andernorts ist die Finanzierung der Versorgung für Notfallpatientinnen und -patienten, die direkt vom Rettungsdienst in die Druckkammer gebracht werden, weder durch das ambulante noch stationäre Abrechnungssystem gedeckt. “Obwohl diese Behandlung von den zuständigen deutschen Behörden, darunter auch den gesetzlichen Krankenkassen, als wirksam und sinnvoll anerkannt ist, versucht man offensichtlich, die hohen Vorhaltekosten für die 24-stündige Bereitschaft einer Druckkammer zu vermeiden“, so Heiden.
Staat und Bundesländer halten sich nicht an eigene Vorgaben
Diese Bereitschaft können zurzeit nur die Druckkammern in Berlin, Halle, Murnau, Wiesbaden und gelegentlich Düsseldorf leisten. Dabei sind Kohlenmonoxidvergiftungen keine extrem seltenen Sonderfälle der medizinischen Notfallversorgung, wie die Statistik zeigt. In den Bundesländern Bayern und NRW werden jährlich laut Statistischem Bundesamt jeweils rund 900 Personen mit einer diagnostizierten Kohlenmonoxidvergiftung vollstationär behandelt. Sie erhalten nicht, wie in Hessen, die gemäß den Richtlinien entsprechend vorgesehene medizinische Versorgung durch eine HBO-Druckkammerbehandlung. „Die bayerischen Ministerien entscheiden sich nicht und die gesetzlichen Krankenkassen wollen die zwingend notwendige 24-Stunden-Dienstbereitschaft der fünf HBO-Druckkammerzentren im Land nicht finanzieren“, so der Regensburger Arzt Dr. Urs Braumandl. „Die problematische, lebensgefährliche Situation für Rettungskräfte und Bevölkerung ist allen Beteiligten längst bekannt. Mit welchen Argumenten und Erklärungen dann noch im Schadens- bzw. Todesfall die verantwortlichen Personen in den Ministerien und Krankenkassen gegenüber den Angehörigen und der Bevölkerung begründen wollen, dass der Ausgang Schicksal sei, wird interessant sein.“
Schon 2010 verwies das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) darauf, dass von einer erheblichen Dunkelziffer nicht erkannter CO-Intoxikationen auszugehen ist und dass Kohlenmonoxid-Vergiftungen durch Grillen in Innenräumen zunehmen. Bei schweren Fällen müsse die HBO-Behandlung innerhalb von 6 Stunden erfolgen, um Langzeitfolgeschäden zu vermeiden. „Der Betroffene ist schnellstmöglich in ein kompetentes Druckkammerzentrum zu verlegen“, heißt es in den Ärztlichen Mitteilungen des BfR.
„Staat und Bundesländer verhindern, dass diese Vorgabe ihrer eigenen Institution zurzeit in Deutschland erfüllt werden kann. Der Verband Deutscher Druckkammerzentren appelliert daher dringend an Politik und Behörden, die flächendeckende Versorgung mit der Druckkammertherapie bei Rauchgasvergiftung und CO-Intoxikation endlich auf den Weg zu bringen“, so Dr. Heiden.
Über den Verband Deutscher Druckkammerzentren e.V. (VDD):
Der VDD e.V. vertritt als Berufsverband die Druckkammer-Therapiezentren in Deutschland. Er gibt die Richtlinien für die sichere und professionelle Behandlung mit Hyperbarer Sauerstofftherapie (HBO) vor und betreibt in Zusammenarbeit mit den medizinischen Fachgesellschaften den Erfahrungsaustausch zum Einsatz der Hyperbarmedizin in Deutschland. Der VDD e.V. informiert medizinische Fachkreise und Patienten über die Hyperbare Sauerstofftherapie (HBO) und die Weiterentwicklung der Therapiemöglichkeiten. Internet: www.vdd-hbo.de
Über die HBO:
Die Hyperbare Sauerstofftherapie hat ihre Ursprünge in der Tauchmedizin. So ist sie bis heute bei Tauchunfällen mit Dekompressionserkrankung (DCS), aber auch bei schweren Rauchgasvergiftungen und CO-Intoxikation internationaler Standard. Auch für den stationären Einsatz der HBO beim diabetischen Fußsyndrom (DFS) sind die Bewertungen des für die Beurteilung neuer Heilmethoden zuständigen sogenannten „Gemeinsamen Bundesausschusses – GBA“ positiv. Die DGfW e.V. empfiehlt in ihren „S 3 Leitlinien zur Lokaltherapie chronischer Wunden“ von 2012 die HBO als Therapieoption bei drohender Amputation beim DFS. Nach Urteil des Bundessozialgerichts vom 7. Mai 2013 müssen Krankenkassen die Kosten für eine notwendige ambulante hyperbare Sauerstoff-(HBO)-Therapie bei drohender Amputation bei ischämischem diabetischem Fußsyndrom übernehmen.
Die Überdruckmedizin ist eine adjuvante Therapieoption für zahlreiche Indikationen. Sie fördert die Regeneration im menschlichen Körper. Sauerstoff, unter Überdruck in der Therapie-Druckkammer eingeatmet, löst sich um ein Mehrfaches. Der hohe Sauerstoff-Partialdruck wirkt positiv auf das Gewebe und auf die Kapillaren und führt zur Regeneration von Sinnes- oder Knochenzellen und Gewebe. So kann die HBO-Therapie auch dann noch mit Erfolg eingesetzt werden, wenn Standard-Behandlungen unbefriedigend verlaufen.
Bevorzugte Einsatzgebiete sind Hörsturz, akuter einseitiger Tinnitus, Knalltrauma bzw. Schalltrauma, chronische, schlecht heilende Wunden, Knochenmarködem-Syndrom und aseptische Knochennekrosen, späte Bestrahlungsfolgen bzw. Bestrahlungsschaden nach Krebsbestrahlung an Kopf, Hals, Blase oder Darm, interstitielle Zystitis, Fazialisparese sowie Retinitis pigmentosa. Die HBO ist eine sanfte und zudem nebenwirkungsarme Therapie.