Heidelberg – Bovine Meat and Milk Factors (BMMFs) sind kleine, ringförmige DNA-Moleküle, die zunächst in Rinderseren und Kuhmilchprodukten entdeckt wurden. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) zeigten bereits, dass das von den BMMFs kodierte Rep-Protein in fast allen Fällen in der unmittelbaren Gewebeumgebung der Darmtumoren auftritt, nicht jedoch in den Tumoren selbst. Untersuchungen an einer größeren Kohorte von Darmkrebs-Gewebeproben bestätigten diese Ergebnisse nun. Die Forscher fanden zudem heraus, dass das Rep-Protein im Gewebe gesunder Spender in deutlich geringerem Maße exprimiert wird als in entzündlich veränderten Geweben von Darmkrebspatienten. Darüber hinaus ist Rep häufig assoziiert mit entzündungsfördernden Immunzellen. Durch BMMFs ausgelöste entzündliche Prozesse könnten damit indirekt die Entstehung von Krebs fördern.
BMMFs sind Teil einer Gruppe von Agenzien, die Eigenschaften von sowohl bakteriellen Plasmiden als auch von Viren aufweisen und sich in menschlichen Zellen replizieren können. Ursprünglich wurden sie von Wissenschaftlern um Ethel-Michele de Villiers in Rinderseren und Kuhmilchprodukten und in Läsionen einer Hirnautopsie eines Patienten mit multipler Sklerose entdeckt und isoliert (EM de Villiers et al. 2014 1-4). BMMFs können sich unabhängig vom menschlichen Erbgut in menschlichen Zellen vervielfältigen und kodieren für kleine Proteine wie z.B. Rep.
Epidemiologische Studien zeigen einen geographischen Zusammenhang zwischen dem Konsum von Fleisch- und Milchprodukten bestimmter Arten von Rindern und dem Auftreten von Darmkrebs. Darüber hinaus gibt es Hinweise, dass andere häufige Krebsarten wie Brust-, Prostata- und Lungenkrebs bei Menschen, die viel Milch konsumieren, häufiger auftreten können (Referenzen in H zur Hausen et al. 2017 5). Daher diskutieren Forscher derzeit die Möglichkeit, dass es sich bei BMMFs um eine neue Form durch Rinder übertragener infektiöser Erreger handelt, die nach jahrzehntelanger, verborgener Präsenz indirekt zur Entstehung von Krebs, insbesondere von Darmkrebs beitragen können (H zur Hausen 2001 und 2009 6,7).
Die Ergebnisse legen nahe, dass BMMFs bzw. die davon abgelesenen Proteine wie beispielsweise Rep, als fremde Eiweiße im Gewebe chronische lokale Entzündungen hervorrufen. Entzündungszellen produzieren Sauerstoffradikale, die wiederum das Erbgut von teilungsaktiven Zellen im umgebenden Gewebe schädigen. So können Mutationen entstehen, die in der Folge die Krebsentstehung begünstigen (EM de Villiers et al. 2019 8). Auch bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen wie z.B. Colitis ulcerosa oder Morbus Crohn ist ein erhöhtes Darmkrebsrisiko beschrieben.
Rep lässt sich im Gewebe mit spezifischen monoklonalen Antikörpern nachweisen. Tatsächlich konnten das Team der Forscher um Timo Bund, DKFZ, das Rep-Protein in der direkten Umgebung der Darmkrypten nachweisen (H zur Hausen et al. 2017 5). Dort, an der Basis der Krypten, liegen die teilungsaktiven Zellen, die die Darmschleimhaut regenerieren. Treten in diesen Zellen krebsfördernde Mutationen auf, so kann die Entstehung bösartiger Tumoren die Folge sein.
In Darmkrebsproben selbst hatten die Forscher Rep allerdings nicht gefunden – dafür aber regelmäßig in der unmittelbaren Nachbarschaft der Tumoren. Rep war häufig mit bestimmten Entzündungszellen, Makrophagen, assoziiert.
Um diese an einzelnen Gewebeproben erhobenen Befunde auf eine breite Basis zu stellen, überprüften Bund und Kollegen nun die Expression von Rep an Gewebeproben einer Kohorte von mehr als 250 Darmkrebspatienten und gesunden, krebsfreien Personen. Die Analyse von Gewebe-Arrays umfasste Tumorgewebeproben und auch Proben aus der direkten Tumorumgebung.
Außerdem wurden Proben von frühen sowie von fortgeschrittenen Darmkrebs-Vorstufen in die Untersuchung einbezogen. Neben Rep bestimmten die Forscher auch zwei Markermoleküle der Makrophagen, CD68 und CD163.
Bei 99 Prozent der Darmkrebspatienten fand das Team große Mengen an Rep in der unmittelbar an den Tumor angrenzenden Darmschleimhaut. In den Tumoren selbst war das BMMF-Protein jedoch so gut wie nicht nachweisbar. Auch die veränderten Zellen der frühen und der fortgeschrittenen Tumorvorstufen exprimierten nur wenig Rep – wohl aber das Gewebe in deren direkten Umgebung. Darm-Gewebeproben von gesunden, tumorfreien Spendern enthielten deutlich weniger Rep als die Proben aus tumornahem Gewebe von Darmkrebspatienten.
Außer in Darmkrebsgeweben konnte das Team um Harald zur Hausen, Ethel-Michele de Villiers und Timo Bund das BMMF Rep-Protein durch Gewebefärbung und Elektronenmikroskopie auch in tumornahen Geweben von Pankreas- und Lungenkrebspatienten nachweisen*.
Interessanterweise war das Rep-Signal häufig mit den Makrophagen-Markern assoziiert. Obwohl die Replikationsorte von BMMF nicht eindeutig identifiziert sind, wurden auch modifizierte BMMF-Genome aus dem entzündlich veränderten Colon-Gewebe identifiziert, die möglicherweise wiederum selbst Mutationen oder weitere schädliche Effekte auslösen könnten (EM de Villiers et al. 2019 8). Das gemeinsame Auftreten vom Rep und dem Makrophagen-Marker CD68 unterstützt das von den Forschern bereits zuvor beschriebene Modell einer BMMF-vermittelten indirekten Karzinogenese (H zur Hausen 2009 7). Es besagt, dass durch BMMF-hervorgerufene bzw. verstärkte chronisch entzündliche Prozesse, an denen Makrophagen als klassische Entzündungszellen beteiligt sind, die Entstehung von Krebs in der Nähe der BMMFs fördern können. Um dieses Modell zu stützen und einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Rep-induzierten Entzündungen und der Darmkrebsentstehung zu bestätigen, sind weitere Forschungen erforderlich.
„Wir wollen mit weiteren Untersuchungen prüfen, ob das Ausmaß der Rep-Expression in entzündlichen Gewebebereichen möglicherweise als Risikomarker für Darmkrebs genutzt werden kann”, sagt Timo Bund. „Wichtig wäre dafür zunächst eine Überwachung der Rep-Expression in Darmbiopsien, um die BMMF-spezifische Induktion von Darmkrebs besser zu verstehen. Bund ergänzt: „Die frühzeitige Erkennung von BMMF könnte Optionen für spezifische präventive oder therapeutische Intervention bieten.”
Ekaterina Nikitina, Amelie Burk-Körner, Manuel Wiesenfarth, Elizabeth Alwers, Danijela Heide, Claudia Tessmer, Claudia Ernst, Damir Krunic, Petra Schrotz-King, Jenny Chang-Claude, Moritz von Winterfeld, Esther Herpel, Alexander Brobeil, Hermann Brenner, Mathias Heikenwalder, Michael Hoffmeister, Annette Kopp-Schneider, Timo Bund: Bovine meat and milk factor protein expression in tumor-free mucosa of colorectal cancer patients coincides with macrophages and might interfere with patient survival.
Mol Oncol 2023, DOI: 10.1002/1878-0261.13390
* Ekaterina Nikitina, Kristina Alikhanyan, Michelle Neßling, Karsten Richter, Sylvia Kaden, Claudia Ernst, Stefan Seitz, Liubov Chuprikova, Lisa Häfele, Karin Gunst, Nuh Rahbari, Emrullah Birgin, Erik Rasbach, Mohammad Rahbari, Alexander Brobeil, Miriam Schenk, Markus Büchler, Ethel-Michele de Villiers, Timo Bund, Harald zur Hausen: Structural expression of bovine milk and meat factors in tissues of colorectal, lung and pancreatic cancer patients.
Int J Cancer 2022, DOI: 10.1002/ijc.3437
1 Whitley, C., et al., 2014, DOI: 10.1128/genomeA.00849-14
2 Lamberto, I. et al., 2014, DOI: 10.1128/genomeA.00848-14
3 Gunst, K., et al., 2014, DOI: 10.1128/genomeA.00847-14
4 Funk, M., et al., 2014, DOI: 10.1128/genomeA.00846-14
5 zur Hausen, H. et al., 2017, DOI: 10.1007/82_2017_3
6 zur Hausen, H., 2001, DOI: 10.1038/sj.onc.1204958
7 zur Hausen, H., 2009, DOI: 10.1016/j.virol.2009.06.001
8 de Villiers, E.-M., et al., 2019, DOI: 10.1080/22221751.2019.1651620
Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) ist mit mehr als 3.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die größte biomedizinische Forschungseinrichtung in Deutschland. Über 1.300 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erforschen im DKFZ, wie Krebs entsteht, erfassen Krebsrisikofaktoren und suchen nach neuen Strategien, die verhindern, dass Menschen an Krebs erkranken. Sie entwickeln neue Methoden, mit denen Tumoren präziser diagnostiziert und Krebspatienten erfolgreicher behandelt werden können. Beim Krebsinformationsdienst (KID) des DKFZ erhalten Betroffene, interessierte Bürger und Fachkreise individuelle Antworten auf alle Fragen zum Thema Krebs. Gemeinsam mit Partnern aus den Universitätskliniken betreibt das DKFZ das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) an den Standorten Heidelberg und Dresden, in Heidelberg außerdem das Hopp-Kindertumorzentrum KiTZ. Im Deutschen Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK), einem der sechs Deutschen Zentren für Gesundheitsforschung, unterhält das DKFZ Translationszentren an sieben universitären Partnerstandorten. Die Verbindung von exzellenter Hochschulmedizin mit der hochkarätigen Forschung eines Helmholtz-Zentrums an den NCT- und den DKTK-Standorten ist ein wichtiger Beitrag, um vielversprechende Ansätze aus der Krebsforschung in die Klinik zu übertragen und so die Chancen von Krebspatienten zu verbessern. Das DKFZ wird zu 90 Prozent vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und zu 10 Prozent vom Land Baden-Württemberg finanziert und ist Mitglied in der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren.