Bonn – Die Spitzenverbände der Leistungserbringer in der medizinischen Rehabilitation weisen darauf hin, dass die jetzt anstehende, neue Gesundheitsreform einen gefährlichen Rückschritt enthält. Das seit dem Jahr 2004 im Sozialgesetzbuch V enthaltene Versprechen, die Belange behinderter oder chronisch kranker Menschen in besonderer Weise zu berücksichtigen (§ 2a), wird wieder rückgängig macht.
Denn künftig soll es, folgt man dem vorliegenden Referentenentwurf zum GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz, gerade bei denjenigen Leistungen der Krankenversicherung, die chronisch kranken oder behinderten Menschen beim Umgang mit ihrer Erkrankung und der Teilnahme am täglichen Leben helfen sollen – den Leistungen der medizinischen Rehabilitation – eine Zwei-Klassen-Gesellschaft geben.
1. Alle medizinischen Rehabilitationsleistungen müssen Pflichtleistungen werden
Nur bei sehr alten und hochbetagten Patienten, die eine geriatrische Versorgung benötigen, und bei Leistungen an Mütter oder Väter soll die Rehabilitation der Krankenversicherung künftig eine Pflichtleistung sein, auf die Versicherte einen unbedingten Anspruch haben. Alle anderen Reha-Maßnahmen – für mitversicherte Familienangehörige, Kinder oder jüngere (Erwerbsunfähigkeits-) Rentner – sollen in das bloße Ermessen der Krankenkassen gestellt bleiben. Die Folgen sind absehbar. Die für die medizinische Rehabilitation bereitstehenden Mittel werden vorrangig in die geriatrische Rehabilitation für sehr alte und hochbetagte Patienten oder an Mütter und Väter fließen. Alle anderen chronisch kranken, von Chronifizierungen bedrohten oder behinderten Versicherten haben das Nachsehen.
Die Spitzenverbände der Reha-Leistungserbringer machen deshalb darauf aufmerksam, dass dieses Vorgehen gesundheitspolitisch kontraproduktiv und gesundheitsökonomisch kostentreibend ist. Denn Rehabilitation soll nach ihrem gesetzlichen Auftrag so frühzeitig wie möglich einsetzen, damit chronische Erkrankungen vermieden, ihre Folgen reduziert und die Notwendigkeit einer aufwendigen, geriatrischen Versorgung so lange als möglich hinausgeschoben wird. Mit der Zwei-Klassen-Reha geht der Gesetzgeber den genau umgekehrten Weg: Erst wenn es zu spät ist, sollen die Krankenkassen zur Rehabilitation verpflichtet sein. Das stellt die Zielsetzungen der Rehabilitation auf den Kopf. Darum gibt es nach Auffassung der Reha-Leistungserbringer nur eine einzige Möglichkeit, auf den von der Gesundheitsreform 2004 gewiesenen Pfad zurückzukehren:
ALLE medizinischen Reha-Leistungen der Krankenversicherung müssen Pflichtleistungen werden!
2. Gesundheitsfonds darf Negativeffekte für chronisch Kranke nicht verstärken
Die Kosten für die Behandlung chronisch kranker Patienten betragen 80 Prozent der Gesundheitsausgaben. Darum verstärkt die vorgesehene Einführung eines Gesundheitsfonds, der die Krankenkassen bei hohen Krankheitskosten ihrer Versicherten zur Erhebung eines Zusatzbeitrags zwingt, die Negativeffekte der Zwei-Klassen-Rehabilitation.
Aufgrund der vorgesehenen Konstruktion des Fonds werden die Krankenkassen, die im Wettbewerb stehen, alles zu vermeiden suchen, um einen Zusatzbeitrag erheben zu müssen. Dazu gehören auch Rehabilitationsleistungen für chronisch Kranke, soweit sie nicht unbedingt bezahlt werden müssen. Eine Zwei-Klassen-Rehabilitation wird deshalb dazu führen, dass Reha-Maßnahmen, die keine Pflichtleistungen sind, sondern lediglich im Ermessen der Krankenkassen stehen, unter dem Druck des Gesundheitsfonds zum Einsparvolumen gehören. Nur Pflichtleistungen haben Vorrang. Das wird von führenden Krankenkassen-Chefs heute schon angekündigt.
Deshalb fordern die Spitzenverbände der Reha-Leistungserbringer: ALLE medizinischen Reha-Leistungen der Krankenversicherung müssen Pflichtleistungen werden!
3. Alle Reha-Leistungen müssen in den Finanzausgleich einbezogen werden
Nur 30 Prozent aller medizinischen Reha-Maßnahmen der Kranken- und Rentenversicherung werden im Anschluss an einen Krankenhausaufenthalt durchgeführt. 70 Prozent sind Maßnahmen, die – als allgemeine Reha-Heilverfahren – bei chronischen Erkrankungen erfolgen oder Chronifizierungen vorbeugen sollen, ohne dass vorher ein Krankenhausaufenthalt stattgefunden hat.
Im Risiko-Strukturausgleich der Krankenversicherung, der für eine ausgeglichenere Finanzausstattung der Kassen sorgen soll, werden aber nur Reha-Maßnahmen berücksichtigt, die im Anschluss an einen Krankenhausaufenthalt geschehen. Mit der Gesundheitsreform wird sich dieser Webfehler im System noch stärker negativ auf die Bewilligungspraxis der Krankenkassen bei Reha-Leistungen auswirken.
Deshalb fordern die Spitzenverbände der Reha-Leistungserbringer: ALLE medizinischen Reha-Leistungen müssen in den Risikostrukturausgleich einbezogen und Pflichtleistungen werden!
4. Negative Auswirkungen der Regelungen auf den Wirtschaftsstandort Bundesländer
Im Jahr 2004 waren 160.000 Menschen in Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen beschäftigt. Umgerechnet in Vollzeitkräfte waren es rund 100.000. Auf Baden-Württemberg / Bayern / Hessen / Niedersachsen / Nordrhein-Westfalen / Sachsen / Schleswig-Holstein entfallen davon 14.727 / 18.092 / 9.935 / 8.491 / 11.874 / 5.327 / 4.817 Vollzeitkräfte.
Bliebe es bei der Regelung, dass nicht alle Reha-Leistungen zu Pflichtleistungen werden und deshalb auch nicht in den Risikostrukturausgleich einbezogen werden, dann werden die Krankenkassen, um ihre Wettbewerbsfähigkeit zu sichern, notwendige Leistungen zur Rehabilitation nicht erbringen. Damit wird eine große Anzahl an Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen wirtschaftlich gefährdet sein, verbunden mit der Entlassung von Personal.
Darum fordern die Spitzenverbände der Reha-Leistungserbringer: ALLe medizinischen Reha-Leistungen müssen in den Risikostrukturausgleich einbezogen und Pflichtleistungen werden!