Berlin / Stuttgart –
- Bundesverband AUGE bot mit Selbsthilfe-Meeting in Stuttgart wichtige Informationsplattform für Menschen mit chronischen Erkrankungen
- ReferentInnen informierten über Selbstmanagement, Patientenrechte sowie Aufgaben, Ziele und Organisation von Selbsthilfegruppen
- Gefördert wurde die öffentliche Veranstaltung durch die Heidehof Stiftung, Stuttgart
Patienten mit chronischen Krankheiten, Angehörige sowie Mitglieder von Selbsthilfegruppen trafen sich am 17. September 2016 auf Einladung des Bundesverbandes AUGE e.V. in Stuttgart zu einer Informationsveranstaltung mit Vorträgen und anschließender Podiumsdiskussion.
Die Themen-Agenda umfasste Patientenrechte, aktives Selbstmanagement, Patientenautonomie und Fragen rund um Gründung, Aufbau und Unterstützung von Selbsthilfegruppen. Nach dem Grußwort von Dieter Staubitzer als Vorsitzendem des Bundesverbandes AUGE e.V. eröffnete die Rechtsanwältin und Fachanwältin für Medizinrecht, Dr. Gesine Walz, die Vortragsreihe mit einem spannenden Referat zum Thema…
Patientenrechte bei ärztlichen Behandlungsfehlern
Nach Klärung, was ein ärztlicher Behandlungsfehler ist, nämlich ein „Verstoß gegen den medizinischen Standard des jeweiligen Fachgebietes des behandelnden Arztes”, stellte die Anwältin verschiedene Arten von Behandlungsfehlern vor, z.B. Diagnose- und Therapiefehler, Aufklärungsfehler oder unterlassene Befunderhebung.
Im Anschluss skizzierte Dr. Walz die grundsätzlichen Voraussetzungen, wann Patienten ggf. welche Ansprüche gegen den Arzt geltend machen können. Wichtig hierbei: Es muss der Nachweis erbracht werden, dass ein gesundheitlicher Schaden durch einen bestimmten Behandlungsfehler verursacht wurde (Kausalität).
Welche Möglichkeiten es gibt, bestehende Ansprüche in einem außergerichtlichen Vergleich zu regeln, und wo man benötigte Sachverständigen-Gutachten einholen kann, erläuterte die Juristin zum Ende ihres Vortrags – nicht ohne den Hinweis, dass auch bei einem Scheitern einer außergerichtlichen Einigung immer noch die Klage zum Zivilgericht möglich ist.
Kurzinterview mit Dr. Gesine Walz
Wie schätzen Sie die künftige Entwicklung der Patientenrechte und ihre Durchsetzbarkeit angesichts einer mächtigen Pharma- und Ärztelobby ein?
Dr. Walz
Ich denke, dass sich daran weder in die eine noch in die andere Richtung viel ändern wird. Was ich allerdings sehe und wo es für den Patienten wohl eher besser wird, ist, dass die Fehlerkultur bei den Ärzten Fortschritte macht. Es werden verstärkt Automatismen und Methoden installiert, wie mit Fehlern in puncto Transparenz, Dokumentation und Aufarbeitung umzugehen ist. In diesem Bereich tut sich einiges und das ist für den Patienten sicherlich von Nutzen.
Haben Sie bereits Erfahrungen mit Patientenorganisationen und Selbsthilfegruppen hinsichtlich der Wahrnehmung von Patientenrechten gemacht?
Dr. Walz
Ich selbst habe bislang auf diesem Feld nur wenige Erfahrungen gemacht. Doch sind Selbsthilfegruppen – so wie auf dieser Veranstaltung – sicherlich ein gutes Forum, um sich auszutauschen, welche Erfahrungen Patienten schon gemacht haben mit Gutachterkommissionen, mit Anwälten oder einfach auch mit der Frage: „Wie man anfängt”.
Verantwortung für sich selbst übernehmen
Zum Thema Patientenautonomie und Selbstmanagement referierte der Facharzt Privatdozent Dr. Dr. med. Ekkehard Jecht, Selbsthilfebeauftragter der „Ober Scharrer Gruppe (OSG)“ in Fürth. Der Hautarzt und Facharzt für Psychotherapeutische Medizin erläuterte eindrucksvoll, was „chronisch krank“ aus medizinischer und psychologischer Sicht bedeutet.
Er wies darauf hin, „dass fast alle chronischen Krankheiten Autoimmunkrankheiten sind.” Und weil hier innerpsychische Konflikte eine große Rolle spielen, ist die Erkenntnis des einzelnen Patienten umso wichtiger, dass es eine Vielzahl an Möglichkeiten gibt, selbst das aktuelle Geschehen zu beeinflussen bzw. positiv zu verändern.
Dem Begriff Pflege in seiner ursprünglichen Bedeutung – für etwas einstehen, sich für etwas einsetzen – kommt nach Ansicht von Dr. Jecht in diesem Kontext eine besondere Bedeutung zu: „Pflegen bedeutet eben auch: Verantwortung für sich übernehmen. Und das ist das Wichtigste, was wir tun können. Wir übernehmen Verantwortung für uns selbst!”.
Ein anderer Vortragsabschnitt befasste sich mit dem „Arzt-Patienten-Verhältnis”. Statt dieser paternalistisch geprägten Vokabel plädierte Dr. Jecht dafür, den Begriff Arzt-Patienten-Beziehung zu verwenden. „Noch lieber aber”, betonte er, „rede ich von der Patienten-Arzt-Beziehung – weil der Patient an erster Stelle stehen sollte.”
Damit Patienten ihre Verantwortung für eine selbstbestimmte Gesundheit wahrnehmen können, ist es nach Auffassung von Dr. Jecht „unverzichtbar, dass Patienten Spezialisten in ihrem Krankheitsbild werden.”
Hilfe zur Selbsthilfe
Einen interessanten Einblick in Struktur, Aufgabengebiete und tägliche Praxis der Selbsthilfekontaktstelle KISS Stuttgart gewährte als weitere Referentin die geschäftsführende Vorständin Hilde Rutsch. Inzwischen gibt es rund 560 Selbsthilfegruppen in Stuttgart – zu den verschiedensten Themen aus allen Bereichen des Lebens.
KISS Stuttgart, so Vorständin Rutsch, dient vor allem als Informationsplattform für die vielfältigen Angebote der Selbsthilfegruppen. Die Kontaktstelle berät über Möglichkeiten von Selbsthilfegruppen, ermöglicht Kontakte, unterstützt bestehende Gruppen und hilft bei der Gründung von Gruppen.
Längst ist anerkannt, dass Selbsthilfegruppen die persönliche ebenso wie die gesellschaftliche Lebensqualität verbessern helfen. Die Referentin ging auch auf die unterschiedlichen Motive ein, eine Selbsthilfegruppe zu besuchen und beleuchtete einige psychosoziale Aspekte der „Gruppenarbeit”.
Die Expertin verwies insbesondere darauf, dass es wichtig und sinnvoll ist, Selbsthilfegruppen – z.B. wenn sie erst neu gegründet wurden oder es an der einen oder anderen Stelle „hakt” – zeitweise durch ausgebildete, erfahrene Leiter zu unterstützen bzw. zu begleiten. Damit soll eine nachhaltige Basis für eine positive gemeinschaftliche Erfahrung geschaffen werden.
Engagierte Gesprächsrunde
In der anschließenden regen Diskussion kamen die Anwesenden mit ihren Anliegen und persönlichen Erfahrungen zu Wort. Die Kernfragen lauteten: Welche Rechte haben Patienten? Können Selbsthilfegruppen im Internetzeitalter langfristig bestehen? Wie können Patienten ihren Behandlungsprozess positiv beeinflussen? Wo finden Patienten Hilfe?
Bundesverband AUGE e.V.
Der gemeinnützige Verein kümmert sich um Menschen, die vorwiegend unter chronischen Augenerkrankungen leiden, wie beispielsweise Glaukom (Grüner Star), Makuladegeneration (AMD), Katarakt (Grauer Star), Trockenes Auge sowie Netzhaut- und Hornhauterkrankungen. Einige Erkrankungsformen können die Sehkraft erheblich einschränken und bei fehlender Behandlung zur Erblindung führen. Der Selbsthilfeverein gibt Betroffenen und Angehörigen Tipps und Hilfestellung zum richtigen Umgang mit der Augenerkrankung als auch bei der Inklusion im Alltagsleben. Der Verband unterstützt bei der Gründung und Fortführung lokaler und regionaler Selbsthilfegruppen in ganz Deutschland, informiert die Bevölkerung über augenspezifische Krankheitsbilder und ruft zur Früherkennung auf. In den Medien und in Mitglieder-Infos berichtet der Verein über aktuelle Therapieentwicklungen aus Wissenschaft und Forschung und alternative Behandlungsmethoden. Der 1999 gegründete Verein ist eine Selbsthilfeorganisation mit bundesweit rund 1000 Mitgliedern sowie Selbsthilfegruppen in fast allen Bundesländern. Der Bundesverband ist Mitglied im Wohlfahrtsverband DER PARITÄTISCHE-Bayern und in verschiedenen Dachverbänden der Selbsthilfe. Die Organisation finanziert sich ausschließlich aus Mitgliedsbeiträgen, öffentlichen Projektmitteln der Krankenkassen und Stiftungen sowie über Spenden. Der Verein betreibt eine barrierefreie Homepage und ein kostenloses Beratungstelefon. Die Geschäftsstelle befindet sich in Aurach bei Ansbach in Mittelfranken, Vereinssitz ist in Berlin.
Weitere Informationen: www.bundesverband-auge.de
Links:
www.mhp-recht.de/medizinrecht.html (Dr. Gesine Walz)
www.kiss-stuttgart.de (Hilde Rutsch)