Hamburg – In seinem aktuellen Jahresgutachten empfiehlt der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen (SVR) der Politik unter anderem, Kassenärztliche Vereinigungen (KVen) zum Aufkauf von Arztpraxen zu zwingen, wenn in einem Zulassungsbereich eine „Überversorgung“ von über 200 Prozent vorliegt. Der Berufsverband Niedergelassener Chirurgen (BNC) kritisiert diese Empfehlung als statistische Schönfärberei und unzulässigen Eingriff in die unternehmerische Freiheit niedergelassener Ärzte.
BNC-Präsident Dr. Dieter Haack warnt: „Derzeit würde eine solche Maßnahme 1.739 Arztsitze treffen, vor allem Fachinternisten (994 Sitze) sowie Chirurgen und Anästhesisten (jeweils 174 Sitze).“ Der SVR verkennt dabei zwei wichtige Faktoren: Zum einen basiert die errechnete „Überversorgung“ einzelner Gebiete auf der vertragsärztlichen Bedarfsplanung, die sich trotz aktueller Reformen im Kern unverändert an den Arztzahlen aus dem Jahr 1990 orientiert – ohne Rücksicht auf den demographischen Wandel und den tatsächlichen Bedarf für medizinische Versorgung der Menschen in diesem Land. „In Gebieten, die heute über 200 Prozent Überversorgung aufweisen, hat der Zulassungsausschuss der KVen und Krankenkassen Ärzten seinerzeit per Sonderbedarfszulassung ihre Arztsitze zugeteilt. Und zwar, weil die Einzelfallprüfung ergeben hatte, dass in ihrer Region eben doch ein erhöhter Bedarf besteht“, erinnert Haack.
Zum anderen lässt das SVR-Gutachten außer Acht, dass gerade Chirurgen und Anästhesisten seit Anfang der 1990er Jahre von der Politik motiviert wurden, sich in eigener Praxis niederzulassen. Haack erklärt hierzu: „Schließlich weiß man seit Langem, dass das Ambulante Operieren deutlich kostengünstiger und für den Patienten schonender ist als eine Operation im Krankenhaus – und diese Vorteile lassen sich am ehesten realisieren, wenn Patienten in einer Praxis oder einem OP-Zentrum von niedergelassenen Operateuren und Anästhesisten ihrer Wahl ambulant und wohnortnah versorgt werden.“ Infolgedessen investierten niedergelassene Operateure in ganz Deutschland viel Kapital und eröffneten ambulante Operationszentren – mit dem Erfolg, dass etwa ab dem Jahr 2000 immer mehr stationäre Operationen in den ambulanten Bereich verlagert wurden.
Die Forderung des SVR ist aus Sicht des BNC daher in jeder Hinsicht kontraproduktiv: „Sollen diese vor einigen Jahren noch eindringlich geforderten OP-Praxen von der KV aufgekauft und abgewickelt werden? Sollen Arztpraxen, für die nachweislich Sonderbedarf besteht, nur der Statistik zuliebe vom Markt verschwinden? Dieser plötzliche Kurswechsel kommt willkürlichen Enteignungen gleich – politische Verlässlichkeit sieht anders aus!“, kritisiert Haack. Zudem sind wesentliche Details gänzlich ungeklärt: „Mit welchen Mitteln sollen die KVen den Aufkauf von Praxen finanzieren? Wie wird der Wert dieser Praxen festgestellt?“ fragt der BNC-Präsident.
Sollte die Politik dem Rat des SVR folgen, befürchtet der BNC, dass in Zukunft Operationen, die heute kostengünstig und patientenfreundlich ambulant erbracht werden, wieder zu stationären Fällen werden – verbunden mit drastischen Kostensteigerungen und möglichen medizinischen Nachteilen für Versicherte. „Anders als im niedergelassenen Bereich kann der Patient im Krankenhaus keinen Facharztstandard erwarten und riskiert außerdem eine Infektion mit Krankenhauskeimen“, erinnert Haack.
Der BNC ist der Berufsverband der freiberuflichen Chirurgen in Deutschland, deren Interessen er durch einen Bundesvorstand sowie 25 regionale Landesverbände (ANC) vertritt. Er engagiert sich für die Aus- und Weiterbildung seiner Mitglieder und setzt sich für eine Förderung der ambulanten chirurgischen Behandlung sowie des interdisziplinären Austauschs ein. Der Verband führt hierzu auf Bundesebene den Dialog mit Politikern, Krankenkassen, Wirtschaft und anderen Berufsverbänden.