Düsseldorf – Wenn Krankenkassen mit Anbietern medizinischer Leistungen leichter Verträge zu besonderen Versorgungsangeboten schließen dürfen, kann das der Versorgungsqualität des gesamten Gesundheitssystems zu Gute kommen. Deshalb wird die Frage, ob und wie der Abschluss solcher Verträge erleichtert wird, auf der Agenda der nächsten Bundesregierung stehen. Diese Erkenntnis war ein gemeinsamer Nenner der Vorträge und Diskussionen des 4. Berliner Symposiums der GWQ ServicePlus AG, auf dem Wissenschaftler und Praktiker des Gesundheitssystems den Nutzen eines Wettbewerbs um bessere Versorgung analysierten.
Rund 130 Teilnehmer aus allen Bereichen des Gesundheitswesens waren der Einladung des von mittelständischen Krankenkassen gegründeten Dienstleistungsunternehmens GWQ gefolgt, um zu erfahren, wie die Experten Erfahrungen und Perspektiven eines Wettbewerbs um bessere Versorgung bewerten. Deutlich wurde: Die so genannten Selektivverträge können die Einführung von Innovationen und Qualitätszielen beschleunigen; und sie würden letztlich auch dazu beitragen, dass solche Verbesserungen auch in die allen Versicherten gebotene Regelversorgung integriert würden.
Trotz durchaus unterschiedlicher Bewertung der bisherigen Ergebnisse von Verträgen zur Integrierten Versorgung (IV), zu Disease-Management-Programmen (DMP) und zur hausärztlichen Versorgung (HzV) gab es bei der Bestandsaufnahme grundsätzliche Einigkeit. So verwiesen sowohl der eher skeptisch eingestellte Gesundheitswissenschaftler Prof. Gerlinger wie der mehr die Chancen von Selektivverträgen betonende Volks- und Finanzwissenschaftler Prof. Volker Ulrich darauf, dass die in Deutschland besonders strikte Trennung zwischen ambulanter und stationärer Versorgung bislang nicht in wünschenswertem Maße überwunden wird. Daran sind, das zeigten die Diskussionen, auch, aber nicht nur die Rahmenbedingungen schuld: Die Bereitschaft zu Veränderungen sei nicht besonders ausgeprägt, weil alle Akteure mit dem Status quo recht gut leben könnten. Deshalb sei es wichtig, so Prof. Ulrich, die Interessen der Versicherten in den Mittelpunkt zu rücken, statt die Positionen der beteiligten Organisationen zu verteidigen.
Auch die Erkenntnis, dass die Aussagen zu Qualitätsergebnissen – auch wegen oft zu geringer Fallzahlen – nicht eindeutig seien, teilten beide Wissenschaftler. Daraus ergab sich ein Plädoyer für mehr Versorgungsforschung und systematische Evaluationen als Voraussetzung für die Einführung neuer Lösungen. In diesem Zusammenhang warnte GWQ-Vorstand Dr. Johannes Thormählen allerdings vor einem „Overengineering“: Schon heute sei es möglich, anhand der Routinedaten der Krankenkassen Vorteile neuer Versorgungsformen im Vergleich zur Regelversorgung zu erfassen. Deshalb sei die Einführung von Verträgen mit klar definierten Zielen der beste und schnellste Weg, qualitative Verbesserungen zu erproben. Dafür allerdings bräuchten Kassen und Dienstleister wie die GWQ entschieden mehr Freiheiten.
Kontrovers diskutiert wurde anschließend, ob für dieses mehr an Freiheiten auch ganz neue Rahmenbedingungen erforderlich seien. Während einer Podiumsdiskussion vertrat beispielsweise Franz Knieps als Vorstand des neuen BKK Dachverbands die Haltung, dass Innovationsbereitschaft zu sehr von den Aufsichtsbehörden gebremst würde. Neue Projekte würden viel restriktiver bewertet, als von der Politik ursprünglich intendiert. Mit den Versorgungsforschern und Ökonomen plädierte er dafür, den Einfluss neuer Versorgungsformen auf Qualität und Wirtschaftlichkeit anders als bisher erst nach drei bis fünf Jahren zu bewerten. Damit stützte er eine These von Dr. Thormählen, nach der Investitionen in Innovationen für Kassen heute häufig ein Wettbewerbsnachteil sind.
Ulrich Weigeldt, der Vorsitzende des Deutschen Hausärzteverbands, benannte die HzV in Baden-Württemberg als Beleg, dass zumindest in der hausärztlichen Versorgung schon heute und auf freiwilliger Basis gute Lösungen im Konsens geschaffen werden können. Gleichwohl beklagte er wie andere Experten die ungleichen Chancen zwischen der von den kassenärztlichen Vereinigungen (KV) organisierten Regelversorgung und neuen Modellen auf Basis von Selektivverträgen. Allein schon deshalb, weil die KV über die Regelungen zu Gesamtvergütung und Bereinigung die Einführung neuer Lösungen in ihrem Interesse beeinflussen könne. Darin liegt auch für den Gesundheitssystemforscher und Vorsitzenden des Bundesverbandes Managed Care, Prof. Volker E. Amelung, eine Hürde. Trotzdem warnte er vor der radikalen Forderung nach Abschaffung der KV. Das Beispiel USA zeige, was geschehen kann, wenn ein grundsätzlich funktionierendes System nicht existiere.
Allerdings, darin waren sich die Referenten einig, würden an Selektivverträge Ansprüche gestellt, denen auch der Kollektivvertrag selbst nicht genügt. Das gelte für die geforderten Qualitätsmaßstäbe, aber auch für das Thema unterversorgte Regionen: Wer darauf verweise, dass Wettbewerb für unterversorgte Regionen keine Lösung sei, dürfe auch nicht vergessen, dass diese Unterversorgung auf Grundlage des Kollektivvertrags entstanden sei.
Die GWQ ServicePlus AG ist ein von Betriebskrankenkassen gegründetes Dienstleistungsunternehmen. Sie versteht sich als Gemeinschaft mittelständischer Krankenkassen, für die sie innovative Lösungen zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit und Qualität der Versorgung entwickelt. Die Verträge und Dienstleistungen der GWQ können von allen Krankenkassen als Aktionärs- oder Kundenkasse in Anspruch genommen werden.