Essen – Im Leitartikel der Februarausgabe thematisiert die Neue Allgemeine Gesundheitszeitung für Deutschland eine Erkrankung, die immer mehr Menschen betrifft, massive Beschwerden verursachen kann und oft erst spät oder gar nicht entdeckt wird: Die Zöliakie. Diese Erkrankung beeinträchtigt die wichtigste Funktion des Dünndarms: Die Aufnahme von Nährstoffen aus der aufgenommenen Nahrung aufgrund einer Unverträglichkeit gegenüber dem Klebereiweiß Gluten. Dieser in vielen Getreidesorten natürlich vorkommende Stoff findet sich mittlerweile in etwa einem Dreiviertel aller Lebensmittel. Die Lebensmittelindustrie setzt heute deutlich mehr Gluten ein als noch vor einigen Jahrzehnten und besonders glutenhaltige Getreidesorten sind immer gefragter. Die Neue Allgemeine Gesundheitszeitung informiert über die Probleme der Betroffenen und setzt sich kritisch mit den Ursachen auseinander. Trägt die Lebensmittelindustrie Mitschuld an dem vermehrten Auftreten dieser Erkrankung?
Die Neue Allgemeine Gesundheitszeitung für Deutschland erscheint monatlich mit einer Auflage von 1 Million Exemplaren und ist kostenlos in Apotheken erhältlich.
Gluten in Nahrungsmitteln DIE UNSICHTBARE GEFAHR
Die Ernährung von Kindern wird heute viel diskutiert. Oft ist es das Übergewicht, das Schlagzeilen macht; doch ebenso häufig klagen Eltern über Appetitlosigkeit, Gewichtsverlust und sogar Entwicklungsverzögerungen ihres Nachwuchses. Von der Gesellschaft oft als Zipperlein der verwöhnten Kleinen oder gar als Erziehungsfehler abgetan, wird dabei immer noch häufig eine Erkrankung übersehen, für die es bis heute keine Heilung gibt: Die Zöliakie.
Bei der Zöliakie handelt es sich um eine chronische Entzündung der Dünndarmschleimhaut, die mit der Zeit eine Rückbildung der sogenannten Darmzotten verursacht. Diese kleinen Ausstülpungen der Schleimhaut sind jedoch unverzichtbar für die Aufnahme von Nährstoffen aus dem Nahrungsbrei. Der Dünndarm wird daher in seiner Hauptfunktion gestört und der Körper mit vielen wichtigen Nährstoffen nicht mehr versorgt. Die Entzündung wird durch eine Unverträglichkeit gegenüber dem Klebereiweiß Gluten bzw. dessen Bestandteilen ausgelöst. Gluten findet sich in vielen Getreidesorten, wie z. B. Weizen, Dinkel, Hafer, Gerste und Roggen. Doch die Lebensmittelindustrie setzt diesen Stoff auch für die Produktion zahlreicher anderer Nahrungsmittel ein: Rund 70 Prozent aller Produkte auf dem Lebensmittelmarkt enthält Gluten. Die Liste der möglichen Symptome ist lang: Säuglinge und kleine Kinder können unter anderem durch Gedeihstörungen, Durchfälle, Blässe, Erbrechen, Appetitlosigkeit und Wesensveränderungen auffallen. Erwachsene und Jugendliche denn nicht nur Kinder erkranken klagen unter anderem über Verdauungsstörungen, Gewichtsverlust, Anämie, Schwäche und Müdigkeit. Doch auch abstraktere Folgen sind möglich. Unter anderem ist das Risiko erhöht, auch schon im jungen Erwachsenenalter an Osteoporose zu erkranken. Darüber hinaus äußert sich die Zöliakie oft atypisch: Unter anderem können auch Lungen-, Leber- oder Nierenprobleme auf die Zöliakie zurückgeführt werden. Schätzungen zufolge ist etwa jeder 200. Deutsche betroffen, genaue Zahlen lassen sich jedoch nicht ermitteln, da die Symptome selten eindeutig sind und nicht jeder Erkrankte der Sache auf den Grund geht. Die einzig wirksame Therapie ist der lebenslange Verzicht auf glutenhaltige Lebensmittel: Ein drastischer Einschnitt in die Lebensqualität für Jung und Alt. Für die Betroffenen bedeutet das, sich durch einen undurchsichtigen Dschungel aus Produkten kämpfen zu müssen; ein Fehlgriff kann erneut massive Beschwerden auslösen und je nach Ausprägung können schon Spuren von Gluten einen Rückfall verursachen.
Viele Menschen haben den Begriff Zöliakie schon einmal gehört, können sich darunter aber nichts Konkretes vorstellen, berichtet Diplom-Ökotrophologin Janina Klein von der Zentrale für Ernährungsberatung e. V. in Hamburg. Besonders wichtig ist eine saubere Diagnostik, ergänzt die Ernährungsberaterin. Bei Verdacht auf die Erkrankung reduzieren viele Betroffene ihren Konsum an glutenhaltigen Nahrungsmitteln. Dadurch lassen sich unter Umständen Antikörper im Blut nicht mehr nachweisen. Bei Beschwerden kann eine Blutuntersuchung auf bestimmte Antikörper (Gewebstransglutaminase-IgA- und/ oder Endomysium-IgA-Antikörper) erste Hinweise auf die Erkrankung geben. Sicher lässt sich die Zöliakie jedoch erst durch eine Gewebeprobe aus dem Dünndarm feststellen. Diese wird im Rahmen einer endoskopischen Untersuchung entnommen, bei der eine dünne Kamerasonde über Mund und Speiseröhre durch den Magen bis zum Dünndarm vorgeschoben wird. Viele Menschen scheuen solch eine Spiegelung, schieben die wichtige diagnostische Maßnahme vor sich her.
Auch wenn die Diagnose feststeht: Die Frage nach der Ursache bleibt. Erwiesen ist, dass eine bestimmte genetische Disposition eine Rolle bei der Entstehung der Krankheit spielt. Bei Europäern kommen das Gen HLA-DQ2 oder das seltener festgestellte Gen HLA-DQ8 z. B. deutlich häufiger vor als bei der asiatischen Bevölkerung. Vermutlich ist das einer der Gründe, warum in unseren Breitengraden viel mehr Menschen betroffen sind als im fernen Osten. Die Vererbung der Gene könnte auch die Frage beantworten, warum die Zahl der Neuerkrankungen zunimmt. Kritische Stimmen verfolgen jedoch noch einen anderen Ansatz: In den vergangenen Jahrzehnten steigerte sich die Menge Gluten, die von der Lebensmittelindustrie eingesetzt wird, deutlich, da es sich hervorragend als Bindemittel eignet und Backwaren besonders locker und appetitlich macht. Die Juristin Maria Rollinger referierte im vergangenen Jahr auf dem Vegetarierkongress in Dresden zum Thema Milch- und Glutenunverträglichkeit. Sie führt die Zunahme der Erkrankungen unter anderem auf die vermehrte Nutzung von Gluten bei der Nahrungsmittelproduktion zurück. Unabhängig davon, ob eine genetische Disposition vorliegt oder nicht, bricht die Krankheit erst dann aus, wenn Lebensmittel verzehrt werden, die glutenhaltig sind. Und je mehr Glutenhaltiges verzehrt wird, desto mehr Menschen erkranken, lautet eine Aussage der Juristin mit Erfahrung in der Lebensmittelindustrie.
Medizinische Experten auf diesem Gebiet schließen einen Zusammenhang nicht vollständig aus, weisen aber auf die Vielzahl von Faktoren hin, die eine Rolle spielen. In den ersten Lebensmonaten eines Kindes entscheidet sich, wie der Körper auf die über die Nahrung zugeführten Stoffe reagiert, berichtet Prof. Dr. Andreas Stallmach, Leiter der Abteilung für Gastroenterologie, Hepatologie und Infektiologie am Univeritätsklinikum Jena. Dabei wird gegenüber einigen Stoffen eine Toleranz gebildet, auf wieder andere reagiert der Körper mit einer Abwehrreaktion. Neueren Erhebungen zufolge reduziert sich das Risiko, zu einem späteren Zeitpunkt an Zöliakie zu erkranken, wenn die Kinder erst nach dem vierten Lebensmonat mit Gluten in Kontakt kommen. Ein sehr später erster Kontakt kann sich hingegen sogar negativ auswirken, so der Zöliakie-Experte.
Prof. Dr. Klaus-Peter Zimmer, Leiter der Abteilung Allgemeinpädiatrie und Neonatologie am Universitätsklinikum Gießen, geht davon aus, dass die Zöliakie in den kommenden Jahrzehnten auch in Regionen zunehmen wird, die derzeit nicht in dem Maße betroffen sind wie z. B. Europa oder die USA: Ich bin sicher, dass auch in asiatischen Ländern, wie z. B. China, in Zukunft immer mehr Menschen unter Zöliakie leiden werden. Besondere Probleme sieht der Experte vor allem bei der lebenslangen glutenfreien Diät: Die Einhaltung der Diät gestaltet sich bei der Vielzahl der Produkte schwierig und kostet monatlich etwa 150 Euro mehr als eine gewöhnliche Ernährung: Ein Problem gerade für arme Familien, denn in Deutschland unterstützen die Krankenkassen Betroffene im Gegensatz zu vielen anderen Ländern nicht. So erfahren z. B. Patienten in Italien finanzielle Unterstützung, wenn die Zöliakie mittels einer Gewebeprobe aus dem Dünndarm eindeutig nachgewiesen werden konnte. Das veranlasst wiederum mehr Menschen mit Verdacht auf eine Glutenunverträglichkeit, eine solche Untersuchung durchführen zu lassen. Die Investition in eine bessere Diagnostik und die Unterstützung der Patienten sorgt für Einsparungen im Gesundheitswesen, da sich das Risiko von Folgeerkrankungen, wie z. B. Osteoporose oder bestimmte Krebserkrankungen, reduziert: Eine Weitsicht, die in der deutschen Gesundheitsversorgung fehlt. Für Betroffene ist die Zöliakie ein Buch mit sieben Siegeln, denn obwohl die Erkrankung zunehmend auftritt, wird die Diagnose häufig erst spät gestellt und die Einhaltung der notwendigen Diät ist mit Schwierigkeiten behaftet. Menschen, die unter den bereits genannten Beschwerden leiden, ohne dass eine sichere Ursache festgestellt werden konnte, sind gut beraten, ihren Hausarzt aktiv auf die Erkrankung Zöliakie anzusprechen.
Gluten kann Ihrer Gesundheit schaden Ein Kommentar der Redaktion
Gluten ist Klebereiweiß. Das ist in allen Weizensorten. Und zwar im Überfluß. Klebereiweiß hört sich schon nicht so gut an. Vertragen auch immer weniger Menschen. Sie leiden an Zöliakie. Wer Zöliakie hat, kann ein ganzes Leben lang nicht gefahrlos essen und trinken, kein Brötchen, keine Nudeln, keine Wurst, keine Soße, kein Eis, keine Süßigkeiten, keinen Früchtetee, kein Bier. Essen im Kindergarten? Kuchen auf dem Kindergeburtstag? Schulspeisung? Mensa-Essen? Alles Fehlanzeige. Nicht ins Café, nicht ins Restaurant. Wohin in Urlaub? Welchem Hotel vertrauen? Sogar Arzneimittel können nicht bedenkenlos eingenommen werden. Ein Drama für die Betroffenen. Und teuer. Und zeitaufwendig: glutenfreie Produkte finden, Inhaltsstoffe auf den Packungen studieren, winzig klein geschrieben, im Internet suchen, selber Brot backen. Ein Leben lang. Die Zusammenhänge sind unklar. Niemand interessiert sich ernsthaft dafür. Und die Backindustrie fordert Mehl mit immer höherem Glutengehalt. Damit der Kuchen schön locker ist und lecker aussieht. Und die Getreidezüchter züchten Sorten, die immer mehr Gluten enthalten. Dafür bezahlt die Backindustrie mehr. Der Glutenanteil hat sich in den letzten Jahrzehnten verdreissigfacht. Und immer mehr Menschen erkranken. Wo bleibt der aufgedruckte Warnhinweis Gluten kann Ihrer Gesundheit schaden?