Berlin – Die geplante Reform der gesetzlichen Unfallversicherung droht, die Prävention am Arbeitsplatz zu verschlechtern. Davor warnen die Berufsgenossenschaften angesichts des Eckpunktepapiers, das eine Kommission von Bund und Ländern vorgelegt hat. Das Papier sieht unter anderem vor, die Zahl der Berufsgenossenschaften von 26 auf 6 zu senken. Das Konzept schließt auch Änderungen im Leistungsrecht ein. “Der Kahlschlag, den sich die Politik bei den Berufsgenossenschaften vorstellt, wäre der Abschied von der branchenbezogenen Prävention”, erklärt Dr. Joachim Breuer, Hauptgeschäftsführer des Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften (HVBG). “Oder glaubt jemand ernsthaft, wir hätten in Deutschland nur sechs Branchen?” Bisher habe die Prävention maßgeblich von der Branchennähe der Berufsgenossenschaften profitiert. So sei die Zahl der Arbeitsunfälle in Deutschland allein seit 2001 um 260.000 gesunken. “Solche Zahlen fallen nicht vom Himmel, sondern sind das Ergebnis harter branchenbezogener Arbeit.”
Kontraproduktiv ist aus Sicht der Berufsgenossenschaften auch der Plan, das Beitragsniveau pauschal zu nivellieren. “So vermindert man gerade in Branchen mit hohen Risiken den Anreiz, Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit weiter zu verbessern”, warnt Breuer. Die Reformvorschläge kommen zum falschen Zeitpunkt. “Arbeitgeber und Versicherte haben bereits ein eigenes Reformkonzept in Arbeit, mit dem die Basis für eine optimale branchenspezifische Prävention weiter gestärkt wird”, so Breuer. “Die Selbstverwaltung braucht hier keine staatliche Nachhilfe!”
Besonders problematisch ist die Organisationsreform vor dem Hintergrund der von Bund und Ländern geforderten Fusion des HVBG mit dem Bundesverband der Unfallkassen (BUK). Der BUK vertritt die Interessen der Unfallversicherungsträger der öffentlichen Hand. Nach dem Willen von Bund und Ländern soll die Wirtschaft den neuen Spitzenverband zu 90 Prozent finanzieren, bei Beschlüssen aber nur 60 Prozent der Stimmen haben. Bei der vorgesehenen Zweidrittelmehrheit wären die Vertreter der Wirtschaft also ohne die Zustimmung der Vertreter der öffentlichen Hand handlungsunfähig. “Die Politik hätte damit den direkten Zugriff auf die gewerbliche Unfallversicherung”, sagt Breuer. “Die Zeche müsste dagegen die Wirtschaft zahlen.” Den Verband zu einer Körperschaft des öffentlichen Rechts zu machen, wie es Bund und Länder beabsichtigten, verstärke den Effekt noch. “Die Folge einer solchen Verstaatlichung wäre neue und unnötige Bürokratie – das passt gerade nicht zum allseits versprochenen Bürokratieabbau!” Auf der Leistungsseite sieht das Eckpunktepapier hauptsächlich Änderungen im Rentenrecht vor. Der Unfallschutz bei Wegeunfällen und illegaler Beschäftigung soll bestehen bleiben. “Die vorliegenden Ideen sind noch zu wenig konkret für eine endgültige Bewertung”, sagt Breuer. Das Konzept sehe unter anderem vor, die Unfallrente künftig in zwei Komponenten aufzuteilen: eine einkommensabhängige Erwerbsminderungsrente zum Ausgleich des Erwerbsschadens und einen einkommensunabhängigen Ausgleich des Gesundheitsschadens. Breuer: “Je nach Ausgestaltung kann man über solche Ideen reden.” Allerdings dürften Reformen nicht die Haftungsfreistellung des Arbeitgebers gegen zivilrechtliche Ansprüche seiner Mitarbeiter bei Arbeitsunfällen gefährden. “Die Leistungen der Unfallversicherung sind keine politische Manövriermasse. Man kann sie nicht nach Gutdünken stutzen.”