Berlin – Das Wissen der Welt verdoppelt sich innerhalb von fünf Jahren. Doch wie kann dieses neue Wissen in der medizinischen Versorgungnutzbringend angewendet werden? Das war die Aufgabenstellung desdiesjährigen Wettbewerbs zum Berliner Gesundheitspreis. Der mitinsgesamt 50.000 Euro dotierte Preis ist am Dienstagabend in der Hauptstadt an Projekte verliehen worden, die sich mit dem Wissenstransfer von evidenzbasierter Medizin (EbM) in den Versorgungsalltag auseinandergesetzt haben.
Der erste Preis ging an die Universität Graz für ihre Arbeit zur Umsetzung einer Leitlinie zur Sturzprophylaxe für ältere Patienten.Annette Widmann-Mauz, Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Gesundheit, übergab die mit 20.000 Euro dotierteTrophäe an die Preisträger aus der Steiermark. In ihrer Laudatiosagte die Staatssekretärin,dass es eben nicht ausreiche, evidenzbasiertes Wissen zu haben. Es müsse auch ganz gezielt etwas dafür getan werden, dass dieses Wissen – wie in Graz gezeigt – im Alltag zum Tragen komme. Besonders beeindruckt zeigte sich die Staatssekretärin von dem hohen Beteiligungsgrad der Pflegekräfte, die Leitlinie alltagstauglich zu machen.
Zweiter Sieger wurde ein Projekt des Klinikums der Universität München: Die dort angesiedelte Abteilung Arzneimittelinformationhilft Ärzten und Pflegepersonal seit 1992 bei der Beantwortung aller Fragen rund um die Arzneimitteltherapie auf der Grundlage von evidenzbasiertem Knowhow. Überzeugt hatte den Präsidenten derÄrztekammer Berlin, Dr. Günther Jonitz, der die Laudatio hielt und den Preis überreichte, dass hier ein Musterbeispiel für EbM in der Praxis realisiert wird. Interdisziplinäre Vernetzung von Ärzten und Klinischen Pharmazeuten auf Basis gesicherten, von Dritten unbeeinflussten Wissens sowie die Einbeziehung des Patienten in die Routineversorgung einer Uniklinik zeichnen dieses Projekt in besonderem Maße aus. Die Münchner konnten sich über 15.000 Euro freuen.
Für den dritten Platz und jeweils 7.500 Euro Preisgeld konnten sich zwei Projekte qualifizieren. Dass Herzinfarktpatienten nach internationalen Leitlinien behandelt werden,das ist das Anliegen des Berliner Herzinfarktregisters. Für diese Arbeit des Werbens für eine leitliniengerechte Stroke-Therapie zeichnete sie der Vorstandsvorsitzende der AOK Nordost, Frank Michalak, aus. Besonders betonte er in seiner Festrede, dass sich auch jenseits von staatlicher Förderung allein durch das Engagement von Ärzten und Krankenhäusern Wissenstransfer und praktische Umsetzung realisieren lassen.
Ebenfalls auf den dritten Platz kam das Projekt zur Vorsorgeuntersuchung Check-up 35. Zeitgemäße Vorsorgeuntersuchungen auf der Basis von evidenzgesicherten medizinischen Erkenntnissen und den individuellen Risiken von Patienten ist der Kern dieser Arbeitder Universität Bremen. Dr. Regina Klakow-Franck, unparteiisches Mitglied des Gemeinsamen Bundesausschusses, lobte die Preisträger dafür, dass ohne ein hohes Maß an Eigeninitiative und persönlichem Engagement aller Beteiligten das Projekt nie das Licht der Öffentlichkeit erblickt hätte.
Neben Staatssekretärin Widmann-Mauz sowie dem österreichischen Botschafter in Berlin, Dr. Ralph Scheide, nahmen rund 300 Gäste imAtrium des AOK-Bundesverbandes in der Rosenthaler Straße an derfestlichen Verleihung teil.
Zitat Annette Widmann-Mauz, Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesgesundheitsministerium: “Wenn ein österreichisches Projekt zur Verhütung von Stürzen einen renommierten deutschen Gesundheitspreis gewinnt, ist das ein gutes Zeichen für Europa. Medizinisches Wissen grenzübergreifend einsetzen und als Nachbarn voneinander lernen, das ist ein Weg,wie wir die Gesundheitsversorgung und den europäischen Gedanken zum Nutzen der Menschen voranbringen.”
Zitat Jürgen Graalmann, Vorstandvorsitzender AOK-Bundesverband: “Wer die Qualität in der Versorgung verbessern will, muss die vorhandenen wissenschaftlich begründeten Erkenntnisse kennen undberücksichtigen. Dass das im Alltag in Krankenhaus und Praxis durchaus machbar ist, zeigen die Modelle unserer Preisträger eindrücklich. Deshalb sage ich, Nachahmung deutschlandweit ausdrücklich erwünscht.”
Zitat Dr. Günther Jonitz, Präsident Ärztekammer Berlin:”Was wir brauchen in Deutschland, ist mehr evidenzbasiertes Wissen im Praxisalltag. Deshalb freue ich mich über die Beispiele aus dem Wettbewerb, die alle Signalwirkung haben. Das sind echte Anleitungen dafür, wie wir Medizin hochwertiger, patientenorientiert und damit humaner gestalten können.”
Zitat Frank Michalak, Vorstandsvorsitzender AOK-Nordost:”Ich freue mich, dass auch ein Projekt aus der Region Nordost zu den Gewinnern des diesjährigen Berliner Gesundheitspreises gehört. Das Berliner Herzinfarktregister ermöglicht die Behandlung von Herzinfarktpatienten auf dem aktuellsten wissenschaftlichen Stand. Esbeweist, dass der Wissenstransfer evidenzbasierter Medizin in den Versorgungsalltag für die Menschen von konkretem Nutzen ist.”
Die Preisträger
Erster PreisPreisträger: Medizinische Universität Graz, Institut für Pflegewissenschaft
Projektbeschreibung: Das Universitätsklinikum Graz hat zur Vermeidung von Stürzen älterer Patienten eine evidenzbasierte Leitlinie entwickelt. Trotz scheinbar günstiger Rahmenbedingungen wurden diese Handlungsanweisungen aus vielerlei Gründen nicht ausreichend im Pflegealltag umgesetzt. Im Rahmen eines Forschungsprojekts erarbeiteten dann alle Beteiligten zusammen Strategien zum Einsatz der Sturzprophylaxe und verbesserten so das Wissen der Pflegekräfterund um die Gefahren des Fallens bei Patienten.
Preisgeld: 20.000 Euro
Ansprechpartnerin: Helga Elisabeth Breimaier,
MedizinischeUniversität Graz,Institut für Pflegewissenschaften
Tel. 0043 316 38572073,
E-Mail: helga.breimeier@medunigraz.at
www.medunigraz.at/pflegewissenschaften
Zweiter Preis
Preisträger: LMU der Universität München, Apotheke Campus Großhadern
Projektbeschreibung: Das Klinikum der Universität München unterhält seit 1992 die Abteilung für Arzneimittelinformation. Aufgabe dieser Fachabteilung ist es, durch Literaturrecherche schnell und auf den jeweiligen Patienten zugeschnitten, fachlich bewertete und qualitätsgesicherte Informationen zur Arzneimitteltherapie zur Verfügung zu stellen. Seit 2009 erhält jeder neue Mitarbeiter des Klinikums eine Schulung zur Benutzung der Arzneimittelinformation, umdas evidenzbasierte Wissen der Krankenhausapotheker nutzen zu können. Die Krankenhausapotheker nehmen an Visiten teil und können so vor Ort auf der Grundlage von qualitätsgeprüftem Wissen beratend tätig sein.
Preisgeld: 15.000 Euro
Ansprechpartnerin: Dr. Cornelia Vetter-Kerkhoff, Tel. 089 70956600,E-Mail: Cornelia.Vetter@med.lmu.de
Dritter Preis
Preisträger: Berliner Herzinfarktregister e. V. am IGE der TU Berlin
Projektbeschreibung: Herzinfarktpatienten sollen nach internationalenmedizinischen Leitlinien behandelt werden. Inwiefern das gelingt undwas man dazu tun muss, dieses Ziel zu erreichen, hat sich das Berliner Herzinfarktregister auf die Fahnen geschrieben. Durch Datenerhebungen bei 19 Berliner Kliniken seit 1998 wurde Wissenzusammen getragen, das Versorgungsprobleme in Sachen Herzinfarkt deutlich werden ließ. Durch vielfältige Initiativen zur Umsetzung der leitliniengerechten Therapie konnte die Sterblichkeitsrate bei Herzinfarkten in Berliner Krankenhäusern gesenkt werden.
Preisgeld: 7.500 Euro
Ansprechpartnerin: Dr. Birga Maier, Berliner Herzinfarktregister e.V.am IGE der Technischen Universität Berlin, Telefon: 03031476672,E-Mail: Birga.maier@tu-berlin.de www.herzinfarktregister.de
Dritter Preis
Preisträger: Universität Bremen, Institut für Public Health und Pflegeforschung
Projektbeschreibung: Die Gesundheitsvorsorgeuntersuchung Check-up 35 gibt es seit 1989, bei dieser Maßnahme spielen aber weder Alter noch Vorerkrankungen oder Gesundheitsrisiken eine Rolle. Das Projekt hat sich zum Ziel gesetzt, neue evidenzbasierte Erkenntnisse in diese etablierte Vorsorgemaßnahme auf der Grundlage von internationalen Empfehlungen und Leitlinien einzubeziehen. Dabei werden individuellen Merkmale und Risiken des Patienten berücksichtigt. Anders als beiherkömmlichen Check-ups steht das Gesamtrisiko des Patienten statteinzelner Parameter im Vordergrund.
Preisgeld: 7.500 Euro
Ansprechpartner: Dr. Guido Schmiemann, Universität Bremen; Institutfür Public Health und Pflegeforschung, Tel. 0421 218688 21,E-Mail: Schmiemann@uni-bremen.de, www.Public-health.uni-bremen.de
Weitere Informationen zu den Preisträgern:
www.berliner-gesundheitspreis.de
Der Berliner Gesundheitspreis wurde im Jahr 1995 vom AOK-Bundesverband, der Ärztekammer Berlin und der AOK Nordost gestiftet und erstmals vergeben. Seither zeichnen die Veranstalter in einem Turnus von zwei Jahren besondere Projekte aus dem Gesundheitswesen aus. Der Preis wurde in diesem Jahr zum neunten Mal verliehen. Die Preisträger werden durch eine Jury ausgewählt, ihr gehören zehn Mitglieder aus Politik, Wissenschaft und medizinischer Praxis an.