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“Berliner Gedenktafel” für amerikanischen Genetiker Hermann Joseph Muller

Pressemitteilung

Berlin – Der amerikanische Genetiker und spätere Nobelpreisträger Hermann Joseph Muller (1890 – 1967) ist mit einer “Berliner Gedenktafel” geehrt worden. Auf dem Campus Berlin-Buch enthüllten seine Tochter, Prof. em. Helen Juliette Muller, University of New Mexico, Albuquerque (USA), Prof. Hans-Jörg Rheinberger, Geschäftsführender Direktor des Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte, Berlin und der Wissenschaftliche Vorstand des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin (MDC) Berlin-Buch, Prof. Walter Birchmeier, die Tafel am ehemaligen Kaiser-Wilhelm-Institut (KWI) für Hirnforschung, dem heutigen Oskar- und Cécile Vogt-Haus. Dort hatte Hermann Joseph Muller von November 1932 bis September 1933 als Gastwissenschaftler mit dem russischen Genetiker Nikolaj Timoféeff-Ressovsky gearbeitet. Wie wichtig die wissenschaftliche Kooperation von Muller, Timoféeff-Ressovsky und – darauf aufbauend – mit dem jungen Max Delbrück für die Entwicklung der Genetik war, untersucht das vom Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC) zu diesem Anlass in Deutsch und Englisch herausgegebene Buch “Genetiker in Berlin-Buch/Geneticists in Berlin-Buch”.

Der Text der Gedenktafel lautet: “In diesem Haus arbeitete von November 1932 bis September 1933 der Biologe und Genetiker Hermann Joseph Muller – 21. 12. 1890-5. 4. 1967 – als Gast des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Hirnforschung an grundlegenden Fragen der Genetik – 1946 erhielt er den Nobelpreis für Physiologie und Medizin”. Der Wissenschaftshistoriker Prof. Rheinberger hielt den Festvortrag, Prof. Muller erinnerte in ihrer Rede an ihren Vater. Sein Sohn, der Mathematiker David Eugene Muller, der in der fraglichen Zeit als Kind mit seinen Eltern in Berlin war, hat die Enthüllung der Gedenktafel für seinen Vater nicht mehr erlebt. Er erlag wenige Wochen zuvor in den USA einer schweren Erkrankung.

Muller hatte als einer der ersten die Bedeutung von Genen als Grundlage des Lebens erkannt. Er war der erste Forscher, der Veränderungen an Genen (Mutationen) experimentell erzeugen konnte. Seine strahlengenetischen Arbeiten förderten zugleich das quantitative Denken in der Biologie. Auch war er ein unermüdlicher Mahner gegen die Gefahren ionisierender Strahlen, insbesondere in Form von Kernwaffen.

In seiner Rede bezeichnete Prof. Rheinberger Muller als einen der “großen Pioniere der Genetik des 20. Jahrhunderts.”. Er wies darauf hin, dass sich Muller in den zwanziger Jahren für Fragen der Eugenik interessierte, sich jedoch 1932 in seinem Aufsatz “The dominance of economics over eugenics” für den 3. Internationalen Eugenik-Kongress in New York, USA, davon distanzierte. “Es war ein Bruch mit seiner früheren Unterstützung der Eugenik, wie sie zu jener Zeit in den USA und auch in anderen Teilen der Erde vertreten worden war”, betonte Prof. Rheinberger.

Hermann Joseph Muller, am 21. Dezember 1890 in New York City, USA geboren, studierte von 1907 bis 1910 Biologie in New York. Er erhielt nach dem Magisterexamen 1911 einen Lehrauftrag am Cornell Medical College in Ithaka, New York und promovierte 1915 bei dem Genetiker und späteren Nobelpreisträger Thomas H. Morgan an der Columbia Universität. Mit Morgan und zwei weiteren Wissenschaftlern publizierte Muller ein Buch über die Mechanismen der Mendel`schen Vererbungslehre (The Mechanisms of Mendelian Heredity), das großen Einfluss auf die Forschung haben sollte.

In den folgenden Jahren war Muller an verschiedenen Universitäten tätig und erhielt 1925 eine Professur an der Universität von Texas in Austin. 1922 hatte er im Rahmen einer Vortragsreise in Russland eine Sammlung von Stämmen der Taufliege Drosophila an den russischen Forscher Nikolaj K. Koltsov (Moskau) gegeben, und damit den Grundstein für die Entwicklung der Drosophila-Genetik in Russland, bzw. der Sowjetunion gelegt. Mit diesen Stämmen hatte kurz darauf Timoféeff-Ressovsky zu arbeiten begonnen, der wenige Jahre später auf Empfehlung Koltsovs von Oskar Vogt 1925 nach Berlin geholt wurde, und diese Forschungen in Berlin bis Ende des Krieges 1945 fortsetzte.

Nobelpreis für experimentell erzeugte Veränderungen an Genen mit Röntgenstrahlen

In den Jahren 1926 – 1927 hatte Muller entdeckt, dass Röntgenstrahlen das Erbgut verändern können und seine Ergebnisse in der amerikanischen Fachzeitschrift Science veröffentlicht. 1946, knapp 20 Jahre später, erhielt er für diese Arbeiten den Nobelpreis. Doch hatte diese Forschung schon kurz nach der Veröffentlichung große Aufmerksamkeit erregt: Auf dem 5. Internationalen Kongress für Genetik 1927 in Berlin hielt Muller den Hauptvortrag.

In Berlin hatte Muller 1927 auch Timoféeff-Ressovsky kennengelernt. Um mit ihm zusammen zu arbeiten, kam Muller als Guggenheim Fellow 1932 – 1933 zu einem Gastaufenthalt an das Kaiser-Wilhelm-Institut für Hirnforschung erneut nach Berlin. Während dieser Zeit reiste er nach Kopenhagen und lernte dort durch Niels Bohr (1885-1962) auch den jungen Max Delbrück kennen. Die vier trafen sich in den folgenden Jahren (1936 – 1938) mehrfach auf wissenschaftlichen Tagungen in Dänemark und Belgien.

Aufgrund der politischen Entwicklungen in Deutschland brach Muller jedoch seinen Aufenthalt in Berlin vorzeitig ab. SA Trupps hatten im März 1933 das Bucher Institut gestürmt und dabei unter anderen auch Muller festgenommen, der erst durch Intervention von Gustav Krupp von Bohlen und Halbach freikam. Muller verließ Deutschland am 16. September 1933 und ging in die Sowjetunion, obwohl Freunde ihn davor gewarnt hatten. Er blieb bis 1937 in Leningrad und Moskau. 1933 war er zum korrespondierenden Mitglied der Akademie der Wissenschaften der UdSSR gewählt worden, 1948 aber aus Protest gegen Lyssenko, Stalins Chefbiologen, ausgetreten. 1937 ging er zunächst nach Schottland, und kehrte von dort 1940 in die USA zurück. Bis 1945 war er am Amherst College in Massachusetts tätig, danach an der Indiana Universität in Bloomington. Muller starb im Alter von 76 Jahren am 5. April 1967 in Indianapolis, USA.

“Genetiker in Berlin-Buch/Geneticists in Berlin-Buch”

Die Bedeutung von Hermann Joseph Muller, Timoféeff-Ressovsky und Max Delbrück für die Entwicklung der Genetik und Molekularbiologie untersucht das vom MDC herausgegebene Buch “Genetiker in Berlin-Buch/Geneticists in Berlin-Buch”. An den Lebensläufen der drei Forscher werden zugleich die Verwerfungen des 20. Jahrhunderts deutlich. Autoren sind Prof. Volker Wunderlich (MDC), der Muller als einen der “vielleicht einflussreichsten Genetiker in den ersten fünf Dezennien des vergangenen Jahrhunderts” darstellt, aber auch als “einen der Vordenker der Molekulargenetik”. Prof. Fritz Melchers vom Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie und Prof. Jens Reich (MDC) würdigen Max Delbrück (1906 – 1981). Ihre Beiträge fußen auf Reden, die sie 2006 anlässlich des 100. Geburtstags des Namensgebers des MDC auf einer Festveranstaltung in Berlin gehalten haben. Prof. Manfred Rajewsky (Universität Essen) beleuchtet in seinem Aufsatz Leben und Werk von Timoféeff-Ressovsky (1900 – 1981).

Photos können Sie sich im Internet herunterladen unter: http://www.mdc-berlin.de