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Bericht zur „Rauschgiftlage“: der Murmeltiertag der Drogenpolitik

Drogenpolitik

Berlin – Deutsche Aidshilfe: Immer mehr vom Falschen macht die Drogenpolitik nicht besser. Strafverfolgung von Konsument*innen ist Teil des Problems, nicht der Lösung. Aktionsplan gegen Drogentodesfälle könnte viele Menschenleben retten.

BKA-Präsident Holger Münch und die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Daniela Ludwig (CSU), haben am Dienstag den Bericht zur „Rauschgiftlage“ vorgestellt. Die Zahl der erfassten Delikte in diesem Bereich ist demnach 2020 erneut gestiegen. Rauschgiftkriminalität habe zugenommen und werde immer brutaler, berichten BKA und Drogenbeauftragte. Sie ziehen daraus den Schluss, die Strafverfolgung müsse verstärkt und weiter verbessert werden.

Dazu sagt Winfried Holz vom Vorstand der Deutschen Aidshilfe:

„Dieser Blick auf die Kriminalstatistik unterliegt einem grundlegenden Irrtum: Strafverfolgung kann Drogenprobleme nicht lösen, sondern sie trägt dazu bei. Die jährliche Leistungsschau der Polizeiarbeit demonstriert vor allem eines: Machtlosigkeit. Die Konsequenz lautet dann immer: ‚Wir brauchen mehr davon‘. Beim nächsten Mal haben wir dann wieder mehr Anzeigen, mehr Konsum und mehr Todesfälle. Und jährlich grüßt das Murmeltier.“

Übersehen werden die Probleme, die prinzipiell mit der Kriminalisierung von Drogenkonsum einhergehen. Zum einen verbirgt sich hinter den meisten registrierten Straftaten die Verfolgung von Konsument*innen aufgrund so genannter konsumnaher Delikte, etwa dem Erwerb und Besitz kleiner Mengen der Substanzen zum eigenen Konsum. Zum anderen schafft die Prohibition selbst die Grundlage für die kriminellen Märkte, die Polizei und Justiz immer intensiver bekämpfen, aber nie in den Griff kriegen, sowie für die Beschaffungskriminalität. Modelle regulierter Abgabe von Substanzen – je nach Substanz zum Beispiel in lizensierten Fachgeschäften oder übers Medizinsystem – könnten Abhilfe schaffen.

Schädliche Strafverfolgung

Im Ergebnis schadet die Strafverfolgung dabei den Konsument*innen genauso wie der Gesellschaft. So werden etwa Biografien junger Cannabis-Konsument*innen durch Strafverfolgung ebenso ruiniert wie die Gesundheit von heroinabhängigen Menschen, die im Gefängnis landen und dort keinen Zugang zu sterilen Spritzen oder Substitutionstherapien haben. Zudem verschlingt die Strafverfolgung in Polizei und Justiz enorme Mittel, die in der Prävention viel bewirken könnten.

„Steigender Konsum, aber auch immer neue Substanzen zeigen überdeutlich, dass Prohibition keine Lösung ist. Die Zeit für neue Wege in der Drogenpolitik ist überfällig, und schon lange gibt es vielversprechende und gut erprobte Lösungskonzepte. Man muss nur hinschauen und etwas Mut zur Veränderung haben“, betont Holz.

Die richtigen Schwerpunkte

Daniela Ludwig zeigte sich auf der Pressekonferenz am Dienstag leider teils sehr verschlossen gegenüber Ansätzen einer modernen und wissenschaftlich untermauerten Drogenpolitik. Die überfällige Diskussion einer Entkriminalisierung des Konsums zugunsten einer staatlich regulierten Abgabe von Substanzen denunzierte sie als „Lifestyle-Debatten über die Frage, welche Droge man denn als erstes legalisieren könnte“, dies sei „der absolut falsche Schwerpunkt“.

Damit stellt sie sich gegen eine große Mehrheit von Fachleuten aus Wissenschaft, Medizin und Drogenhilfe, die in einer Reform des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) enorme Chancen sehen, und diskreditiert ernsthafte Bemühungen um alternative Drogenpolitikmodelle:

  • Ein kontrollierter Markt beziehungsweise eine regulierte Abgabe könnte Konsument*innen vor Schäden durch verunreinigte oder zu hoch dosierte Substanzen schützen und Beratung ermöglichen.
  • Die Folgeschäden von Strafverfolgung, Marginalisierung und Inhaftierung würden verhindert.
  • Polizei und Justiz würden enorme Ressourcen einsparen.
  • Dem Schwarzmarkt und der organisierten Kriminalität würde der Boden entzogen werden.

In Bezug auf Cannabis fordert auch der Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) schon lange ein Ende der Prohibition, die „weder intelligent noch zielführend“ sei, wie es der ehemalige BDK-Vorsitzende André Schulz einmal formuliert hat.

„Die regulierte Abgabe könnte viele der Probleme lösen, an denen sich Polizei, Justiz und Drogenpolitik zurzeit erfolglos abarbeiten. Für Prävention und Drogenhilfe wäre sie eine große Chance“, betont Dirk Schäffer, Referent für Drogen und Strafvollzug der Deutschen Aidshilfe.

Rückkehr zur harten Linie?

Ludwig hatte sich zu Beginn ihrer Amtszeit durchaus offen für neue Wege gezeigt: Sie zeigte große Sympathie für Maßnahmen der „Schadensminimierung“ beim Drogenkonsum. Sie wollte sich mit dem „portugiesischen Modell“ auseinandersetzen, das Strafverfolgung von Konsument*innen durch Hilfsangebote ersetzt. Sie dachte darüber nach, den Besitz kleiner Mengen psychoaktiver Substanzen zum Eigenbedarf nur noch als Ordnungswidrigkeit zu ahnden. Und sie deutete an, Drug-Checking-Angebote zu unterstützen.

Bei Unterstützung von Substitutionsbehandlungen und der Verbreitung des Notfall-Medikaments Naloxon hat die Drogenbeauftragte Wort gehalten. Auch mit ihrer Forderung, dass wir eine Allianz zwischen Bund und Ländern bräuchten, liegt sie richtig: Die flächendeckende Einrichtung von Drogenkonsumräumen und die Versorgung von Menschen in Haft mit sterilen Spritzen und Konsumutensilien müssen die Länder ermöglichen.

Von den anderen Maßnahmen ist aber zu wenig übriggeblieben: Das portugiesische Modell will Ludwig zum Beispiel nur auf Cannabis anwenden. Weiter reichenden Überlegungen erteilte sie eine Absage.

„Auf einer Pressekonferenz zur Kriminalstatistik wird nicht thematisiert, was wirklich Leben retten könnte. Am Ende muss sich vor allem die Erkenntnis durchsetzen, dass Drogenpolitik und Prävention nicht von Polizei und Justiz geleistet werden können“, zieht DAH-Vorstand Winfried Holz Bilanz.

Aktionsplan gegen drogenbedingte Todesfälle

Im Alternativen Drogen- und Suchtbericht 2021 skizzieren DAH-Referent Dirk Schäffer und Prof. Dr. Heino Stöver, Geschäftsführender Direktor des Instituts für Suchtforschung der Frankfurt University of Applied Sciences, einen Aktionsplan zur Vermeidung von Drogentodesfällen. Zu den notwendigen Maßnahmen gehören demnach unter anderem:

  • Flächendeckende Verteilung des Notfall-Medikaments Naloxon
  • Drogenkonsumräume in allen Bundesländern
  • Strukturreform der Substitutionstherapie, um mehr Menschen zu erreichen – auch in Haftanstalten
  • Neue Maßnahmen mit Blick auf den wachsenden Konsum von Amphetamin/Metamphetamin und immer mehr Todesfälle durch Mischkonsum.

Beim Internationalen Gedenktag für verstorbene Drogengebrauchende am 21. Juli wurde gerade in rund 90 Städten an die 1.581 Menschen erinnert, die 2020 im Zusammenhang mit ihrem Drogenkonsum gestorben sind.

Viele von ihnen könnten noch leben.

Mehr Informationen:

Alternativer Drogen- und Suchtbericht 2021

Die Drogenpolitik in Deutschland steht vor einem Scherbenhaufen (Pressemitteilung vom 10.9.2020)