Bad Abbach – Die Pressemitteilung der Barmer GEK vom 27.07.2010 thematisiert das Problem, dass im Jahr 2009 in Deutschland 209.000 Hüft- und 175.000 Knieprothesen eingesetzt wurden. Auch Prof. Dr. Joachim Grifka, Direktor der Orthopädischen Universitätsklinik Regensburg im Asklepios Klinikum Bad Abbach, sieht darin eine bedenkliche Überversorgung. Darauf hat Grifka bereits 2008 als Präsident der wissenschaftlichen orthopädischen Gesellschaft hingewiesen. Grifka wörtlich: Es macht nachdenklich, dass in Deutschland im Jahr über 200.000 künstliche Hüftgelenke eingesetzt werden, während im gesamten restlichen Europa ca. 300.000 pro Jahr implantiert werden.” Die angekündigte Konsequenz der Barmer GEK, die Preiskalkulation für endoprothetische Leistungen zu überprüfen und in die Verträge zur integrierten Versorgung eine erfolgsorientierte Vergütung einzubauen, hält Grifka allerdings für die völlig falsche Schlußfolgerung: “Die Krankenkassen, gesetzliche wie private, befördern, dass zu viele künstliche Gelenke eingesetzt werden, weil niedergelassene Ärzte und Krankenhäuser mit speziellen Versorgungsverträgen dazu animiert werden”. Nach Grifka gibt es eine Reihe von Fehlentwicklungen, die zu der eklatanten Überversorgung geführt haben: Von Ärzten wird zu schnell die Empfehlung ausgesprochen, ein künstliches Knie- oder Hüftgelenk einzusetzen. Behandlungsalternativen zum künstlichen Gelenk werden nicht ausgeschöpft oder sind, vor allem im Bereich des Hüftgelenkes, gar nicht bekannt. Schon bei den Röntgenzeichen einer Arthrose im Hüftgelenk wird mitunter die Indikation zur Hüftprothese gestellt, ohne andere gelenkerhaltende Therapien zu empfehlen. Die Einführung von Mindestmengen für Knieprothesen zum 1. Januar 2006 (pro Krankenhaus mindestens 50 Knieprothesen pro Jahr) hat dazu geführt, dass auch in Krankenhäusern, in denen zuvor wesentlich weniger Knieprothesen implantiert wurden, diese Mindestzahlen erfüllt wurden. Niedergelassenen Ärzten wurden besondere Anreize geboten, um ihre Patienten aus der ambulanten Behandlung selbst im Krankenhaus zu operieren. Zum Teil profitieren sie direkt von der Operation, indem sie bis zu 20 % der Krankenhauspauschale von ca. 6.000 Euro für die Operation vergütet bekommen. Dies hat auch dazu geführt, dass niedergelassene Ärzte, die jahrelang keinen Operationssaal mehr betreten haben, ihr Operationstalent entdeckt haben. Völlig falsch sind nach Meinung von Grifka politische Diskussionen, wie sie vor sechs Jahren von Philipp Mißfelder mit seiner Äußerung initiiert wurden, er halte nichts davon, “wenn 85-jährige noch künstliche Hüftgelenke auf Kosten der Solidargemeinschaft bekommen”. Grifka: Es darf nicht dazu kommen, dass nur noch Menschen, die im Arbeitsprozess stehen, Leistungen der Krankenversicherung erhalten!” Vielmehr muss es nach Grifka darum gehen, die Indikation korrekt zu stellen und eine qualitativ hochwertige Durchführung zu garantieren. Der Gelenk-Spezialist betont, über die besten Informationen zur Qualität würden die Krankenkassen selbst verfügen. Bei den heutigen Qualitätsregistern würden dagegen nur kurzfristige Daten erfasst und unvollständige Angaben zu Komplikationen und Folgeoperationen vorliegen. Die Krankenkassen dagegen könnten den Verlauf bei ihren Patienten vollständig nachverfolgen. Grifka fordert, dass sich Krankenkassen vermehrt für die korrekte und qualitativ hochwertige Versorgung einsetzen. Im Bereich der künstlichen Knie- und Hüftgelenke gebe es einen Vorschlag der wissenschaftlichen Gesellschaft (DGOOC), die Versorgungsstruktur im Krankenhaus durch zertifizierte Endoprothesen-Center sicherzustellen.