Nationaler Aktionsplan Ambulantes Operieren und Ambulante Patientenversorgung – Mehr ambulant, weniger stationär
Dr. C. Deindl u. Dr. Axel Neumann
Bundesverband Ambulantes Operieren
Noch nie war das Ambulantes Operieren in seiner über 30jährigen Historie so nahe an einer bundesweiten gesundheitspolitischen Umsetzung, als im Dezember 2022 der § 115f SGB V verabschiedet wurde. Und noch nie ist ein patientenorientiertes Versorgungsmodell so gezielt zum Scheitern verurteilt worden.
Wahrscheinlich waren sich BMG und Selbstverwaltung selten so nahe wie bei der Gestaltung dieses hochinnovativen Projektes, welches gezielt behindert und damit verhindert wurde. Die KBV bangte um ihr EBM-Monopol, die DKG um den Verlust ihrer Gewinne aus unnötigen stationären Aufenthalten, leerstehenden Klinikbetten und immerwährenden Kliniksubventionen; und die GKV fürchtet nichts mehr als fachärztliche Leistungen nach jahrzehntelangen Verhinderungstaktiken und Dumpingdiktat doch noch angemessen und kostendeckend vergüten zu müssen.
Parallel dazu lässt das BMG die überfällige Krankenhausreform im Sand verlaufen, schließen jährlich 500 Apotheken und kommt es immer wieder zu Arzneimittelengpässen. Jährlich steigen die Gesamtkosten im Gesundheitswesen um über 5%, ohne dass davon inflationsbereinigt irgendetwas bei ambulant agierenden Facharztpraxen, ambulanten OP-Zentren, Praxiskliniken oder ambulant operierenden Kliniken angekommen ist. Der Bundesminister verbringt mehr Zeit vor laufenden Kameras als er sich mit der Thematik ambulantes Operieren jemals auseinandergesetzt hat. Großen Wert scheint er in seinen Gesetzesentwürfen auf die Vokabel „Ermächtigung“ zu legen. Wer nicht gänzlich geschichtsvergessen ist, weiß um diese negativ konnotierte Begrifflichkeit, und sieht sich nach den vergangenen drei Ampeljahren darin leider mehr als bestätigt.
Besagte drei Jahre begannen auf dem Koalitionspapier vielversprechend, nur wurde am Ende keines der gesundheitspolitischen Versprechen eingelöst. Ganz im Gegenteil: positive Ansätze noch aus der Vorampel-Ära wie das MDK-Reform- und das Terminservicegesetz wurden systematisch demontiert unter billigender Inkaufnahme von massiven Nachteilen für Patient: innen und Gesundheitsberufe. Begleitet wurden solche Aktionen wieder durch mediale Rufmord-Kampagnen gegen die als renditegierig diffamierte niedergelassene Ärzteschaft, während in der Krankenhauskommission der Regierung die Lobby von Klinikkonzernen sich bestens vertreten weiß. Nicht zufällig saß der zuständige Bundesminister einst höchstpersönlich in einem der besagten Konzernführungsgremien. Wer seinen Selbstoptimierungsinteressen so konsequent treu bleibt, kann logischerweise in keinen Interessenskonflikt geraten mit Menschen, die sorgenvoll auf einen Facharzttermin warten.
Zeitgleich stieg die Zahl der Gewalttaten gegen ÄrztInnen und ihre Mitarbeiter: innen in Praxen, aber auch in Kliniken an. Klinikmitarbeitende unterstehen dem Arbeitnehmerschutzgesetzen, im Notfall ist die Polizei schnellstmöglich vor Ort. Selbstständige Haus- und Fachärzte hingegen sind auf sich gestellt. Wer sein Ministeramt dazu missbraucht, öffentlich gegen die niedergelassene Ärzteschaft zu hetzen, der weiß sehr wohl, was er tut und welche Kettenreaktion er damit auslöst. Wer sich als Berufspolitiker derartig selbst disqualifiziert, sollte erst gar nicht zur Wiederwahl antreten. Wer medienwirksam die Lizenz zur Richtlinienkompetenz beansprucht und dennoch in seinem Kabinett derartige Umtriebe gegen die Gesundheit der Bevölkerung duldet, sollte Worte wie Respekt und Glaubwürdigkeit tunlichst vermeiden. Wer noch dazu über sehr übersichtliche Gedächtnisleistungen verfügt, die weit unterhalb der gesetzlichen Aufbewahrungspflicht für Praxen liegen, sollte sich nicht erneut um ein politisches Mandat und ein anspruchsvolles Regierungsamt bewerben. Wer selbst den VIP-Seiteneingang und parteipolitische Hintertürchen präferiert, der sollte zumindest den bedarfsgerechten Zugang zu Spezialisten nicht konstant blockieren und damit die fachgerechte Patientenversorgung (zer)stören.
Wenn in diesen Tagen und Wochen Vertreter: innen der Ampelparteien ihre gesundheitspolitischen Wahlprogramme unter das Wahlvolk streuen, dann sind es im Prinzip die aufgewärmten Versäumnisse ihrer vorzeitig gescheiterten Legislatur. Nicht einmal ein erkennbarer Personalwechsel wird in Erwägung gezogen. Weder von der ehemaligen Kanzlerin-Partei noch innerhalb der ehemaligen Koalitionäre. Es wird viel Aufwand dafür betrieben, den Mitbewerbern Kompetenz und Vertrauenswürdigkeit abzusprechen, und damit die eigenen Inkompetenzen und übersichtlichen Befähigungsnachweise zu kompensieren.
„Es ist dumm, immer dasselbe zu tun und ein anderes Ergebnis zu erwarten“ (Zitat A. Einstein). Wollen und sollen wir diesen unerhörten Zustand für weitere vier Jahre akzeptieren? NEIN!
Deshalb fordern wir als BAO unmittelbar vor der vorgezogenen Bundestagswahl einen umgehenden gesundheitspolitischen Systemwechsel mit folgenden Kernaussagen:
- Deutschland ist ein föderaler demokratischer Rechts- und Sozialstaat. Gesundheitspolitik kann und darf nicht zentralistisch von Berlin aus gesteuert und reguliert werden.
- Ermächtigungen in Gesetzestexten sind Ausdruck politischer Selbstüberschätzung und gehören in die vordemokratische Mottenkiste.
- Die Gesundheitspolitik des Bundes muss vielmehr in kontinuierlicher Absprache mit den Ländern erfolgen, um den Bedürfnissen einer pluralistischen Gesellschaft gerecht zu werden.
- Bestmögliche Patientensicherheit muss die Leitplanke jedweden gesundheitspolitischen Handelns sein. Schließlich verkörpert sie ein Grund- und Menschenrecht.
- Sach- und Fachfremde politische Entscheidungsträger sowie die ihrer Aufsicht unterstehenden Ausführungsorgane sind Risikofaktoren für die Patientensicherheit. Sie müssen im Interesse der Aufrechterhaltung einer sicheren Patientenversorgung von einer neuen Regierung unverzüglich ersetzt werden.
- Bis zu 600 000-fach jährlich auftretende nosokomiale Infektionen sind nicht mehr hinnehmbar! An evaluierten „Kennziffern“ und Qualitätsmangelindikatoren und nicht an Absichtserklärungen und wohlklingenden Wahlversprechen wird sich auch die nächste Bundesregierung messen lassen müssen.
- Kassenbeiträge dienen der medizinischen Versorgung der Beitragszahler und sind keineswegs Kasseneigentum oder gar deren Vermögen. Das wahre GKV – Vermögen liegt einzig in der Fähigkeit, leistungsgerecht und kostendeckend haus- und fachärztliche sowie andere medizinisch indizierte Leistungen zu garantieren und zu vergüten. Das bisher dominierende GKV-Unvermögen besteht aus eigenmächtigen Eingriffen in die ärztliche Therapiefreiheit. Sachbearbeiter: innen-Niveau schlägt dank unterstützender Parteiideologie pflegerische und ärztliche Kompetenz. Hintergrund ist das regelmäßige personelle Hin- und Her – Karrierebäumchen – Wechsle – Dich zwischen Ministerien und Selbstverwaltung inklusive Kostenträger.
- Ein Nationaler Aktionsplan Ambulantes Operieren und Ambulante Patientenversorgung muss zeitnah erstellt werden. Er darf nicht in den Schubladen verstauben. Ambulant, wenn möglich und ohne erhöhtes Patientenrisiko, muss Vorrang vor vermeidbarem stationär haben. Selbstständige, ambulant engagierte Akteure im Gesundheitswesen hingegen weiterhin als Kostentreiber zu diffamieren, grenzt an intellektueller Geschäftsunfähigkeit. Um vieles gefährlicher, wenn es um Regierungsgeschäfte und Gesundheitspolitik geht.
- Digitalisierung wird zum Heilsversprechen für ein politisch systematisch heruntergewirtschaftetes Gesundheitssystem. Geflissentlich wird negiert, dass Praxen bereits digital unterwegs waren, als das BMG noch für die Verbeamtung von Fax-Geräten warb. Ambulante Operateur: innen und Anästhesist: innen blicken dabei auf die halbe Tech-Welt, und nicht auf die Tech-Halbwelt, wie es die politischen Auftraggeber der gescheiterten digitalen Revolution getan haben.
Wir vermissen wie in der Vergangenheit auch in den aktuellen Wahlprogrammen ein gesteigertes strategisches Interesse an den klaren Vorteilen von ambulanten interventionellen Maßnahmen und operativen Eingriffen. Damit werden weiterhin mehrere 100 000 unnötige Klinikaufenthalte und deren Maximalkostenstruktur Jahr für Jahr verfestigt.
Wer einen akuten Behandlungsbedarf hat, muss darauf vertrauen können, dass Haus- und/oder Facharztpraxis dem gebotenen zeitlichen, personellen und technischen Aufwand entsprechend vergütet werden. Nur so kann Patientenversorgung gelingen. In diesem guten Glauben zahlen Arbeitnehmer und Arbeitgeber in die Sozialsysteme ein. Nicht aber, um wie bisher geschehen versicherungsfremde Leistungen jährlich wiederkehrend in zweistelliger Milliardenhöhe zu subventionieren. Denn die dadurch geschaffenen Defizite und Finanzlöcher werden von der GKV durch Leistungs- und Honorarkürzungen kaschiert. Durch ideologisch determinierte gesundheits- und sozialpolitische Hütchenspiele konnten überhaupt erst Doppel-Wumms und Zeitenwende teilfinanziert werden. Dies zum Preis einer Demontage unseres Gesundheitssystems.
Dabei hätte die Ordnungspolitik von jeher die nötigen gesetzlichen Rahmenbedingungen schaffen können. Und ist an dieser simplen, aber wirkmächtigen Aufgabe immer wieder gescheitert, ohne jeden nur möglichen Hohlweg zu scheuen. Gesetze werden dabei eher an ihrer Quantität und nicht immer an ihrer Sinnhaftigkeit und Realitätsnähe gemessen. Qualität und Transparenz geraten dabei immer mehr in Hintertreffen, wenn medizinische Assistenzberufe neuerdings ihre Ausbildung im Schnelldurchgang von 18 Monaten durchlaufen. Statt der angedachten Entlastung der examinierten Pflegekräfte drohen nun zusätzliche Belastung und nicht auszuschließende Risiken. Solche Fehlentwicklungen gilt es in der neuen Legislatur unbedingt zu vermeiden, und Ampel – Altlasten ggf. zu revidieren.
An diesen ordnungspolitischen Minimalansprüchen sollten Parteien und ihre Wahlprogramme gemessen und am 23.Feburar ihrer gesundheitspolitischen Eignung entsprechend gewählt werden, oder eben nicht.
Bitte bedenken Sie: es geht bei der anstehenden Wahl weniger um Wiederwahl! Es geht diesmal darum, unser solidarisches Gesundheitssystem vor seinem endgültigen Auseinanderbrechen zu retten. Es geht darum, dass im Erkrankungsfall kompetente Praxen und Kliniken erreichbar sind. Es geht darum, nur bei medizinischer Notwendigkeit stationär untersucht und behandelt zu werden. Es geht auch darum, medizinische Fachberufe wieder attraktiv für befähigte Menschen werden zu lassen, und diese nicht weiter zu Bediensteten fachfremder und patientenferner Pseudoexperten und Versicherungs-Bürokraten zu degradieren.
Ihre Wahl entscheidet auch über Ihre eigene medizinische Versorgungsqualität und -sicherheit, und die Ihnen nahestehender Menschen.
Es kann nicht sein, dass die medizinische Versorgung nur so lange sicher ist, solange man sie nicht in Anspruch nimmt. Schlechte Gesundheitspolitik fördert darüber hinaus den Anstieg von Volkskrankheiten und die soziale Unzufriedenheit – und befeuert damit den Kostenanstieg der Gesundheitsausgaben ohne jeglichen Effizienzgewinn. Gute Gesundheitspolitik bewirkt das positive Gegenteil. Dafür steht, wirbt und kämpft der BAO mit seinen Partnern.
Dr. Christian Deindl, Präsident des BAO
Dr. Axel Neumann, Vizepräsident des BAO