Sobek Stiftung verleiht die mit 115.000 Euro dotierten Forschungspreise 2024 für klinische und experimentelle Forschung auf dem Gebiet der Multiplen Sklerose (MS)
Bei einem Festakt am 6. Dezember würdigte die Roman, Marga und Mareille-Sobek Stiftung herausragende und richtungsweisende Leistungen von zwei Wissenschaftlern im Bereich der Multiple-Sklerose-Forschung. Sie eröffnen mit ihren Forschungsergebnissen neue Perspektiven für die Diagnose und Therapie der MS wie auch für die Lebensqualität der von dieser bis heute nicht heilbaren, aber immer besser therapierbaren Autoimmunkrankheit Betroffenen. Der mit 100.000 Euro europaweit höchstdotierte Preis in der MS-Forschung und dazugehörigen MS-Grundlagenforschung ging in diesem Jahr an Prof. Dr. Dr. Jens Kuhle, Leiter des Multiple Sklerose Zentrums mit Neuroimmunologie am Universitätsspital Basel. Den mit 15.000 Euro dotierten Nachwuchspreis erhielt Dr. med. Ali Maisam Afzali, Institut für experimentelle Neuroimmunologie und Neurologische Klinik, Technische Universität München.
Biomarker – Meilensteine auf dem Weg zur individualisierten MS-Therapie
Prof. Dr. med. Dr. phil. Jens Kuhle (*1973) erhielt den Sobek Forschungspreis 2024 für seine Pionierleistungen auf dem Gebiet der Erforschung und Entwicklung laborgestützter Biomarker bei MS. Diese markieren die bei MS typischen Krankheitsprozesse der Neurodegeneration und Astrogliose. Professor Kuhle studierte Medizin in Tübingen und schloss seine klinische Weiterbildung als Neurologe 2009 in Basel ab. Bereits seine immunologische Dissertation in Tübingen galt der MS-Forschung. In London und Basel beschäftigte er sich mit dem Nachweis der Schädigung von Nervenzellen in Blut und Liquor.
Professor Kuhle ist Initiator und Leiter der MS-Kohorten-Studie mit inzwischen über 2.500 MS-Patienten. Seit 2014 erforscht er in Zusammenarbeit mit schweizerischen und zahlreichen internationalen MS-Zentren die Bedeutung von Biomarkern für die klinische Progression der MS und ihre Aussagekraft über pathologische Krankheitsmechanismen der Neurodegeneration. Mittels Laboruntersuchung von Blut- und Liquorproben wurden neue und quantifizierbare Biomarker ermittelt, die objektive Aussagen über den individuellen Krankheitsverlauf von MS-Patienten erlauben. Laborgestützte Biomarker können damit neue Hinweise für individuelle Therapieentscheidungen und für die Bewertung von Therapie-Effekten im Zentralnervensystem geben: ein hoher NfL-Wert spreche eher für eine hohe Krankheitsaktivität, mit der Konsequenz einer Intensivierung der Therapie. Ein dauerhaft niedriger NfL-Wert könne als Hinweis auf eine geringere Krankheitsaktivität gewertet werden, so der Preisträger. Da eine Axonschädigung auch bei anderen neurologischen Erkrankungen vorkommt, sei damit zu rechnen, dass die NfL- und GFAP-Diagnostik künftig auch bei Erkrankungen wie M. Alzheimer und M. Parkinson nutzbar gemacht werden kann.
Professor Kuhle publizierte die Forschungsergebnisse zusammen mit seinem Team und seinen Kooperationspartnern in renommierten wissenschaftlichen Fachzeitschriften, ist international anerkannt und wird häufig zitiert. Er erhielt bereits Auszeichnungen von Stiftungen und MS-Gesellschaften.
Ministerialdirektor Dr. Hans J. Reiter, Amtschef des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg, bezeichnete Kuhles Forschungsleistung in seiner Laudatio als zukunftsweisend. „Prof. Jens Kuhle hat Pionierarbeit bei der Erforschung und Behandlung von Multipler Sklerose geleistet. Besonders hervorzuheben sind seine bahnbrechenden wissenschaftlichen Leistungen in der Entwicklung laborgestützter Biomarker, die international höchste Anerkennung finden. Dank dieser Biomarker kann die Schädigung von Nervenzellen frühzeitig erkannt und auch der Krankheitsverlauf besser prognostiziert werden. Darüber hinaus schaffen sie die Grundlage für die Entwicklung individuell angepasster und damit auch effektiverer Therapieansätze.“
Kontrollfunktion der Thymus-B-Lymphozyten entschlüsselt
Dr. med. Ali Maisam Afzali (*1989) wurde für seine umfangreichen und grundlegenden experimentellen Untersuchungen zur Immunologie der MS mit dem Sobek Nachwuchspreis ausgezeichnet. Er studierte Humanmedizin zunächst in Münster. Seine Dissertation über ein zellbiologisch-immunologisches Thema wurde mit summa cum laude bewertet und mit dem Promotionspreis der Medizinischen Fakultät ausgezeichnet. Das medizinische Staatsexamen legte Dr. Afzali an der Technischen Universität München (TUM) ab, wo er seine Facharzt-Weiterbildung zum Neurologen abschließt und seine Forschungsarbeiten am Institut für experimentelle Neuroimmunologie fortsetzt.
Seine intensive wissenschaftliche Arbeit mündete in mehrere hervorragende Publikationen. Seine jüngste Arbeit beschreibt in einer umfangreichen experimentellen Studie die Entdeckung lange vermuteter, aber bisher nicht vollständig geklärter Mechanismen bei der MS-ähnlichen Erkrankung Neuromyelitis optica (NMO). Sie sind als hoch bedeutsam einzuschätzen und auch für andere Autoimmunerkrankungen bedeutsam. Sein innovativer Forschungsansatz lieferte wichtige Hinweise auf die Steuerung der Antikörperproduktion in Plasmazellen durch B-Lymphozyten im Thymus. Mit neuesten Techniken wie genetischen Manipulationen an diesen steuernden Thymus-B-Zellen und mit anderen Strategien ist es dem Preisträger gelungen, die weitreichende immunologische Kontrollfunktion der Thymus-B-Lymphozyten bei der NMO zu entschlüsseln. Seine Forschungsergebnisse vertiefen insgesamt das Verständnis von Autoantikörper-vermittelten Autoimmunerkrankungen des Nervensystems. Neben seiner Forschungsarbeit engagiert sich der junge Neurologe intensiv in der medizinischen Lehre und der Betreuung von Doktoranden und Ärzten in der Weiterbildung. Laudator Prof. Dr. med. Klaus V. Toyka, Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats der Sobek Stiftung, lobte Afzalis Leistungen: „Ihre Erkenntnisse können die Basis für innovative Therapiestrategien für Autoimmunkrankheiten wie der MS liefern.“
Die jährliche Preisverleihung findet in Zusammenarbeit mit der AMSEL, Aktion Multiple Sklerose Erkrankter, Landesverband der DMSG in Baden-Württemberg e.V., und dem DMSG-Bundesverband statt. Sie steht unter der Schirmherrschaft des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst in Baden-Württemberg. Der Festakt findet traditionell in der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Stuttgart statt.
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Hintergrund:
Roman, Marga und Mareille Sobek Stiftung
Mit dem Sobek Forschungspreis der Stiftung aus Baden-Württemberg werden jährlich seit dem Jahr 2000 richtungsweisende Leistungen von Wissenschaftlern an Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen im Bereich der Multiplen Sklerose und der dazugehörenden Grundlagenforschung ausgezeichnet. Entscheidungskriterien sind allein Qualität und Exzellenz der Forschungsleistung. Es kann sowohl eine außerordentliche wissenschaftliche Einzel- als auch eine Gesamtleistung gewürdigt werden. Darüber hinaus kann ein Nachwuchspreis verliehen werden.
Die Sobek Stiftung verleiht ihren Forschungspreis auf Vorschlag eines wissenschaftlichen Beirates in Zusammenarbeit mit der AMSEL, Aktion Multiple Sklerose Erkrankter, Landesverband der DMSG in Baden-Württemberg e.V. und der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft, Bundesverband e.V. (DMSG). Die Schirmherrschaft für die Preisverleihung hat das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst in Baden-Württemberg.
AMSEL e.V.
Die AMSEL, Aktion Multiple Sklerose Erkrankter, Landesverband der DMSG in Baden-Württemberg e.V. ist professioneller und unabhängiger Fachverband, Selbsthilfeorganisation und Interessenvertretung für MS-Kranke in Baden-Württemberg. Die Ziele der AMSEL: MS-Kranke informieren und ihre Lebenssituation nachhaltig verbessern. Dazu hat AMSEL ein umfangreiches Dienstleistungsangebot aus individueller Beratung, aktuellen Informationen und Austausch auf www.amsel.de und den AMSEL-eigenen sozialen Plattformen, Veranstaltungen und umfangreichen Publikationen erarbeitet. Der AMSEL-Landesverband hat rund 7.200 Mitglieder und über 60 AMSEL-Gruppen und 15 Junge Initiativen in ganz Baden-Württemberg. Schirmherrin der AMSEL war von 1982 bis 2022 Ursula Späth. Mehr unter www.amsel.de.
DMSG, Bundesverband e.V.
Die Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft mit Bundesverband, 16 Landesverbänden und derzeit rund 830 örtlichen Kontaktgruppen ist eine Gemeinschaft von MS-Erkrankten, ihren Angehörigen, knapp 4.000 engagierten ehrenamtlichen Helfern und 290 hauptberuflichen Mitarbeitern. Insgesamt hat die DMSG rund 44.000 Mitglieder. Mit ihren umfangreichen Dienstleistungen und Angeboten ist sie heute Selbsthilfe- und Fachverband zugleich, aber auch die Interessenvertretung MS-Erkrankter in Deutschland. Schirmherr des DMSG- Bundesverbandes ist Christian Wulff, Bundespräsident a.D. Weitere Informationen unter www.dmsg.de.
Multiple Sklerose (MS) ist die häufigste entzündliche Erkrankung des Zentralnervensystems. Aus bislang noch unbekannter Ursache werden die Schutzhüllen der Nervenbahnen an unterschiedlichen Stellen angegriffen und zerstört, Nervensignale können in der Folge nur noch verzögert oder gar nicht weitergeleitet werden. Die Symptome reichen von Taubheitsgefühlen über Seh-, Koordinations- und Konzentrationsstörungen bis hin zu Lähmungen. Die bislang unheilbare, aber mittlerweile behandelbare Krankheit bricht gehäuft zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr aus.
MS in Zahlen
38.000 MS-Kranke in Baden-Württemberg
3,4 MS-Kranke pro 1.000 Einwohner in Baden-Württemberg
2.000 Neuerkrankungen pro Jahr in Baden-Württemberg
5-6 Diagnosen täglich in Baden-Württemberg
280.000 MS-Kranke deutschlandweit
1,2 Mio. MS-Kranke europaweit
2,9 Mio. MS-Kranke weltweit