Berlin – Das Bundesgesundheitsministerium (BMG), der GKV-Spitzenverband und die AOK streben eine Ausweitung der Austauschbarkeitsregelungen im Arzneimittelrecht an. Der Arzneimittelrechtler Prof. Dr. Dr. Christian Dierks widerspricht: Eine Verpflichtung des Apothekers zur Substitution im Rahmen der Aut-idem-Regelung besteht nur dann, wenn das abgegebene Arzneimittel in allen Anwendungsgebieten des verordneten Ausgangspräparates arzneimittelrechtlich zugelassen ist. Das ergab ein heute in Berlin veröffentlichtes Rechtsgutachten, das er im Auftrag der Pharmaverbände Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH), Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI), Pro Generika und Verband Forschender Arzneimittelhersteller (vfa) erstellt hat.
Das BMG meint, wirkstoffgleiche Arzneimittel sollen bereits dann austauschbar sein, wenn sie im gleichen Indikationsbereich nur ein gemeinsames Anwendungsgebiet aufweisen. Prof. Dierks kommt dagegen zu dem Schluss, dass die Forderung der größtmöglichen Austauschbarkeit die Kosteneffizienz in unzulässiger Weise über die Therapiesicherheit stellt.
Dem Gutachten zufolge verlagert diese ausufernde Substitution das Haftungsrisiko auf Ärzte und Apotheker. Um dies zu verhindern, müssten die Ärzte und Apotheker den Austausch der Arzneimittel grundsätzlich untersagen oder ablehnen. Dabei drohen ihnen andererseits finanzielle Sanktionen auch durch die AOK.
Die Herstellerhaftung greife nur bei einem bestimmungsgemäßem Gebrauch des Medikaments. Dieser sei beim Off-Label-Einsatz von Arzneimitteln aber zumindest nicht generell gegeben. Die eigenwillige Rechtsauslegung von BMG und GKV kann dazu führen, dass Patienten im großen Stil mit Arzneimitteln versorgt werden, die für die Behandlung ihrer Krankheit nicht zugelassen sind. In diesen Fällen bekommen Patienten eine Packungsbeilage, die weder ihre konkrete Erkrankung auflistet noch für sie wichtige Anwendungshinweise wie z.B. das Dosierungsschema oder etwaige Wechselwirkungen und Kontraindikationen aufführt. Dadurch kann das Vertrauen der Patienten in ihre Therapietreue erschüttert werden, mit der Gefahr, dass diese ihre notwendigen Medikamente nicht mehr einnehmen.
Dies führt letztlich zu einer schlechteren Versorgung und zugleich zu höheren Kosten durch mögliche Folgebehandlungen. Das kann auch nicht im Interesse von BMG und AOK sein.
Um Patienten vor Risiken zu schützen sowie Apotheker und Ärzte nicht in die Haftung laufen zu lassen, fordern die Pharmaverbände das BMG, den GKV-Spitzenverband und die AOK dazu auf, zur bewährten und gesetzeskonformen Auslegung zurückzukehren. Die Verbände bekennen sich uneingeschränkt zur Kosteneffizienz auch in der Arzneimittelversorgung. Kostengesichtspunkte dürfen aber auf keinen Fall Vorrang vor Therapiesicherheit und Patientenschutz haben.