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Apothekenbetriebsordnung: Endlich politisches Umdenken?
Karikatur zum Download auf www.neue-allgemeine.de

Apothekenbetriebsordnung: Endlich politisches Umdenken?

Neue Allgemeine Gesundheitszeitung/ Ausgabe Juni 2012

Essen – Mehr Qualität, mehr Patientennähe und mehr Beratung: Was die inhabergeführte Apotheke vor Ort schon immer angeboten hat, wird mit der neuen Apothekenbetriebsordnung in allen wichtigen Einzelbausteinen noch einmal bestätigt und gestärkt. Dennoch verschwinden damit noch lange nicht jene Akteure vom Markt, die die oben genannten Werte und Vorgaben nicht einhalten können oder wollen: Sowohl „Pick-up-Stellen” als auch der Versandhandel mit Arzneimitteln bleiben vorerst weiterhin erlaubt. Der muss die verschärften Beratungsrichtlinien nun durch Pflichtanrufe bei seinen Kunden gewährleisten. Die Neue Allgemeine Gesundheitszeitung stellt im Leitartikel der Juni-Ausgabe die Fähigkeit der Versandapotheken in Frage, die neuen gesetzlichen Vorgaben im Tagesgeschäft reibungslos zu realisieren.

Die Neue Allgemeine Gesundheitszeitung für Deutschland erscheint deutschlandweit mit einer Auflage von 1 Million Exemplaren und ist für Endverbraucher kostenlos in Apotheken erhältlich.

DIE POLITIK HANDELT: SO WICHTIG IST DIE DEUTSCHE APOTHEKE
Die neue Apothekenbetriebsordnung setzt Maßstäbe

Es geschehen noch Zeichen und Wunder. Viele Jahre lang hat die Politik alles getan, um das deutsche Apothekenwesen kleinzureden. Von Privilegien aus früheren Jahrhunderten war die Rede. Von fehlendem Wettbewerb. Von der angeblichen Notwendigkeit, Versandhandel und Apothekenketten zuzulassen. Bei den Begründungen für diese massiven Angriffe auf die deutsche Apotheke waren Politiker und selbsternannte „Experten” nie pingelig.

Den Versandhandel von Arzneimitteln hat man zugelassen. Er war politisch gewollt – notwendig war er nicht. Das Argument, ein Verbot sei ein Verstoß gegen europäisches Recht, fegte der Europäische Gerichtshof später hinweg: Arzneimittel seien ein besonderes Gut, und jedes Land habe das Recht, seine Bevölkerung vor Arzneimittelgefahren auf seine Weise zu schützen. Das könne auch durch ein Verbot des Versandhandels geschehen. Die Gewerbefreiheit müsse in diesem Falle zurückstehen.

Gelernt hat die Politik aus diesem Urteil des EuGH nichts. Nach wie vor lehnt Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) ein Verbot der „Pick-up-Stellen” ab. Begründung: Ein Verbot verstoße gegen die Gewerbefreiheit. Pick-up-Stellen sind Abholstationen für Arzneimittel, die Kunden im Versandhandel bestellt haben. Sie wucherten im Gefolge der Zulassung des Versandhandels in Drogeriemärkten, Tankstellen, Blumenläden und Kiosken. Ohne pharmazeutisches Personal, ohne Beratung bei der Abgabe, ohne Kontrolle durch den Amtsapotheker.

Was nutzt da eine Vereinbarung im Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und FDP, „Pick-up-Stellen” zu verbieten? Was helfen da ein mehrmaliger Beschluss der Bundesländer und die Aufforderung des Bundesrates an die Regierung, nicht nur ein Verbot von Pick-up-Stellen durchzusetzen, sondern gleich den ganzen Versandhandel von Arzneimitteln zu verbieten? Wo politischer Wille fehlt, findet sich immer ein Weg, nicht zu handeln.

Doch jetzt sind Zeichen und Wunder geschehen. Der Gesetzgeber – in diesem Falle Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) – hat eine neue „Apothekenbetriebsordnung” erarbeitet. Die war überfällig, weil die alte den Problemen von heute nicht mehr gerecht wurde. Streng genommen ist es natürlich keine „neue” Apothekenbetriebsordnung, sondern nur eine Überarbeitung der bisher gültigen. Aber sie ist so „runderneuert”, so verändert, so viel präziser formuliert worden, dass, sie „neu” zu nennen, keine Übertreibung ist.

Genau diese präzisen Klarstellungen und Ergänzungen sind es, die jetzt die hohe Bedeutung der deutschen Apotheke wieder in den Mittelpunkt der Diskussion stellen. Das drückt sich insbesondere in der Beschreibung der pharmazeutischen Tätigkeiten aus. Hieß es in § 3 bisher lapidar: „Pharmazeutische Tätigkeiten im Sinne dieser Verordnung sind die Entwicklung, Herstellung, Prüfung und Abgabe von Arzneimitteln, die Information und Beratung über Arzneimittel sowie die Überprüfung der Arzneimittelvorräte in Krankenhäusern”, so lassen die neuen Formulierungen keinen Zweifel zu: Der schleichenden Erosion der Apothekenbedeutung wird jetzt Einhalt geboten.

Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) hat erkannt und anerkannt: „Apotheke” bedeutet weit mehr als „Schubladen ziehen” und Packungen über den Verkaufstisch reichen. Durch solch abwertende Urteile haben interessierte Kreise immer wieder die Diskussion über „alternative Vertriebswege”, wie Apothekenketten und Versandhandel, angeheizt. Dahinter steckten zu allen Zeiten massive wirtschaftliche Interessen. Die Einrichtung der „Pick-up-Stellen” ist ein warnendes Beispiel dafür.

Der Unterschied zu gestern? Die neue Apothekenbetriebsordnung spiegelt die Apotheke nicht nur so wider, wie sie sich selbst schon immer sieht – das wäre zu wenig. Vielmehr kommen auf die Apotheke neue Aufgaben und Verpflichtungen zu. Andere, wichtige werden festgeschrieben. Neben vielen weiteren gesetzlichen Regelungen – sie zu nennen würde den Rahmen dieser Ausführungen sprengen – sind es drei große Komplexe, die diese hohe Bedeutung für die Öffentlichkeit sichtbar machen: die absolute Verpflichtung zur Beratung von Patienten und Kunden bei der Abgabe des Arzneimittels, die Herausstellung der Bedeutung eines „Medikationsmanagements” und die Einführung eines „Qualitäts-Management-Systems” (QMS) in der Apotheke. Alle drei Bereiche sind untrennbar miteinander verbunden.

Nun ist es ja nicht so, dass bisher die Beratung in der Apotheke nur eine untergeordnete Rolle gespielt hätte – im Gegenteil. Doch die bisherige Regelung schränkte ein: „Der Apotheker hat Kunden … zu informieren und zu beraten, soweit dies aus Gründen der Arzneimittelsicherheit erforderlich ist.” Jetzt heißt es: „Der Apothekenleiter muss … sicherstellen, dass Patienten und andere Kunden … hinreichend über Arzneimittel und apothekenpflichtige Medizinprodukte informiert und beraten werden.” Aus der Eventual-Gebot ist eine Muss-Vorschrift geworden, noch erweitert um den Bereich der apothekenpflichtigen Medizin-Produkte.

Der entscheidende Unterschied ist die absolute Verpflichtung zur wiederholten Information und Beratung. Selbst Patienten mit einer Dauermedikation müssen immer wieder neu beraten werden. Denn Umstellungen im Lebensumfeld und in der Ernährung, neue Erkrankungen und eine eventuelle Selbstmedikation verändern auch den Patienten selbst. Und damit ändern sich möglicherweise auch die Risiken einer Medikation. Die neue Apothekenbetriebsordnung legt Punkt für Punkt fest, wie weit und zu welchen Themen die Beratung erfolgen muss.

Damit nicht genug. Wer von seinem pharmazeutischen Personal was wann wie berät, muss der Apotheker genau schriftlich festlegen. Logisch, dass auch die Pflicht zur ständigen Kontrolle des Befolgens seiner Anweisungen in der neuen Apothekenbetriebsordnung vorgeschrieben wird. Und nicht nur das. Auch viele andere Vorgänge in der Apotheke, die der Kunde nicht sieht, müssen jetzt schriftlich dokumentiert werden. Das zwingt die Apotheke zu noch höherer Qualität. Ein solches Qualitäts-Management-System (QMS) haben manche Apotheken zwar schon freiwillig eingerichtet, doch nun ist es Pflicht für jede Apotheke. Mehr Bürokratie kann auch vernünftig sein.

Konsequenterweise mündet perfekte Beratung in ein patienten-individuelles Medikationsmanagement. Die Apothekenbetriebsordnung legt fest, wie sie ablaufen muss. Doch erfolgreich kann ein solches Instrument nur sein, wenn man sich „seine” Apotheke vor Ort aussucht und ihr die Treue hält. Erst wenn der Apotheker die gesamte Medikation des Patienten kennt, kann er die Anwendung optimieren, die Risiken prüfen und gegebenenfalls den Arzt informieren.

Interessant dürfte sein, wie sich in Zukunft Versandapotheken aus der Affäre ziehen. Auch für sie – ob mit Sitz im Inland oder jenseits der Grenzen – gilt die absolute Pflicht zur Beratung. Deutlich wird dies in der neuen Vorschrift, dass „die behandelte Person” – also der Patient – als Voraussetzung für die Arzneimittelbelieferung durch den Versandhandel mit der Bestellung eine Telefonnummer anzugeben hat. Unter dieser Nummer muss die Versandapotheke bei jeder Bestellung den Patienten anrufen und beraten. Was ist, wenn ein Anruf dem Kunden im Augenblick nicht passt? Oder er gerade nicht zu Hause ist? Wie oft muss die Versandapotheke anrufen? Gebühren darf sie dafür nicht erheben. Wie sieht der Kunde die Herausgabe seiner privaten Telefonnummer? Werden ihm die Anrufe lästig sein? Wird er sich wieder der viel einfacheren und effektiveren Beratung in der „Apotheke vor Ort” zuwenden? Und passen Pick-up-Stellen noch in dieses streng geregelte neue Apothekensystem?

Auf die Urteile der Gerichte hinsichtlich Versandhandel und „Pick-up-Stellen” darf man also gespannt sein. Sie werden sicher in vielen Fällen anders ausfallen (müssen). Die neue Apothekenbetriebsordnung setzt Maßstäbe, an denen auch Richter, die dem Recht auf Gewerbefreiheit den höchsten Stellenwert beimessen, nicht vorbeikommen.

Ein kleiner Wermutstropfen bleibt: Noch ist die neue Apotheken-betriebsordnung in der jetzt vorliegenden Fassung nicht Gesetz. Doch sobald sie endgültig verabschiedet ist, wird für die Öffentlichkeit sichtbar: So, wie sie sich dann präsentiert, präsentieren muss, geht die deutsche Apotheke selbstbewusst und in ihrer Bedeutung gestärkt in die Zukunft.

WIE LERNFÄHIG IST EIN BUNDESMINISTER?
Ein Kommentar der Redaktion

„Pick-up-Stellen” – Abholstellen für Medikamente in Drogeriemärkten, Tankstellen und Blumenläden – sollten verboten werden. Das hat der Bundesrat eindringlich und wiederholt gefordert. Ohne Erfolg. Neben Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) ist auch Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) gegen ein Verbot. Wortreich versucht er, in einem „Gutachten” zu beweisen, dass „Pick-up-Stellen” sicherer seien als die Apotheke vor Ort. Wer so argumentiert, gibt sich der Lächerlichkeit preis.

Wer gibt dem Bundesinnenminister Nachhilfe in Sachen Arzneimittelsicherheit?