Stuttgart – „Unser Gesundheitssystem ist nicht krank, es ist müde“, sagt Dr. Christopher Hermann, „es benötigt dringend eine Therapie.“ Der Vorstandsvorsitzende der AOK Baden-Württemberg macht im aktuellen Unternehmensbericht der mit fast 4,3 Millionen Versicherten größten Krankenkasse im Südwesten gleich mehrere Bereiche aus, in denen er dem deutschen Gesundheitswesen gerne eine „Hallo-Wach-Spritze“ verabreichen würde. Neben der ambulanten Versorgung und Teilen des Kliniksektors hat der AOK-Chef vor allem die Digitalisierung im Visier. „Es gibt Krankenkassen, die werfen irgendeine App auf den Markt und denken, sie sind damit schon mitten in der Digitalisierung angekommen. Vor der Technologie kommt aber das Denken: Was wird wirklich gebraucht, mit welchem Nutzen und in welcher Zeit?“
Abhängigkeiten in alle erdenklichen Richtungen sind ein Charakteristikum eines jeden Digitalisierungsprojekts. Hermann verweist auf ein Beispiel, in dem die AOK Baden-Württemberg gerade diese strukturbedingte Vorgabe in eine Chance verwandelt hat. „Wir haben gemeinsam mit der Universität Tübingen und dem Hausärzteverband Baden-Württemberg das Projekt TeleDerm gestartet. Es verbindet die hausärztliche Versorgung mit einem telemedizinischen Ansatz. Damit bringen wir die Expertise von Dermatologen dorthin, wo keine entsprechende fachärztliche Kompetenz zur Verfügung steht.“
TeleDerm erprobt die AOK in den Landkreisen Calw, Rottweil, Zollernalb und Böblingen. In den Praxen der teilnehmenden Hausärzte können Patientinnen und Patienten mit Hautproblemen erkrankte Hautpartien von ihrem Hausarzt abfotografieren lassen und gemeinsam mit ihm einen Fragebogen ausfüllen. Foto und Fragebogen stellt der Hausarzt dann über eine geschützte Online-Plattform einem Dermatologen zur Verfügung. Innerhalb von zwei Tagen kann der Hausarzt dessen Fachdiagnose an die Patienten weitergeben.
„Dieses Projekt passt zu unserer Langzeitstrategie, in der der Hausärzte die zentrale Rolle in der Versorgung einnehmen. In strukturschwächeren Regionen kann Telemedizin einen schnellen und unkomplizierten Zugang zu ärztlicher Versorgung erschließen“, betont Hermann. Es sei nun aber an der Politik, nach der Bundestagswahl einen Handlungsrahmen vorzugeben, der digitale Initiativen wie TeleDerm schneller voranbringt. „Wir müssen Ergebnisse vorweisen können, bevor private Großkonzerne den Markt der Telemedizin endgültig untereinander aufteilen“, so Hermann weiter.
Wie der Unternehmensbericht zeigt, hat die AOK Baden-Württemberg im Jahr 2016 mit einem Haushaltsvolumen von 15,2 Milliarden Euro einen Jahresüberschuss von 191 Millionen Euro erwirtschaftet. „Wer denkt, dass wir deswegen im Geld schwimmen, ist aber auf dem Holzweg“, erklärt der AOK-Chef: „191 Millionen Euro ist eine Summe, die wir in vier Arbeitstagen für Versichertenleistungen ausgeben.“