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Angebote zu sexueller Gesundheit: für trans und nicht-binäre Menschen mangelhaft
Illustration \”Beratung\” zur Broschüre zum Forschungsbericht: \”Sexuelle Gesundheit und HIV/STI in trans und nicht-binären Communitys\”. DAH/Tomka Weiß

Angebote zu sexueller Gesundheit: für trans und nicht-binäre Menschen mangelhaft

Pressemitteilung

Berlin – Eine Studie der Deutschen Aidshilfe und des Robert Koch-Instituts zur sexuellen Gesundheit von trans und nicht-binären Menschen deckt eklatante Versorgungslücken auf – und weist den Weg zu besseren Angeboten.

Medizinische Einrichtungen und Beratungsstellen zu Fragen der sexuellen Gesundheit in Deutschland sind auf trans und nicht-binäre Menschen nicht ausreichend vorbereitet. Dabei unterliegen diese besonderen Risiken und sind zum Beispiel deutlich häufiger von HIV betroffen als der Durchschnitt der Bevölkerung (0,7 statt 0,1%).

Das sind die zentralen Ergebnisse der Studie „Sexuelle Gesundheit und HIV/STI in trans und nicht-binären Communitys“ der Deutschen Aidshilfe und des Robert Koch-Instituts (RKI), deren Abschlussbericht am 15.05.2023 veröffentlicht wurde.

Als trans und nicht-binär verstehen wir Menschen, die sich nicht oder nur teilweise mit dem bei ihrer Geburt zugewiesenen Geschlecht identifizieren. Diese Bezeichnungen werden individuell sehr verschieden genutzt, Überschneidungen sind möglich. Deshalb verzichten wir hier auf eine genauere Definition.

Erstmals gesicherte Daten zur sexuellen Gesundheit trans und nicht-binärer Menschen

Damit liegen erstmals Daten und wissenschaftlich abgesicherte Erkenntnisse zur sexuellen Gesundheit dieser vielfältigen Gruppen in Deutschland vor. Der Abschlussbericht gibt außerdem Empfehlungen, wie Lücken geschlossen und die Qualität der Versorgung gesteigert werden könnten.

„Mit Blick auf HIV und Geschlechtskrankheiten ist ein leichter Zugang zu kompetenten Angeboten für Beratung, Tests und Behandlung unverzichtbar. Trans und nicht-binäre Menschen können sich darauf in Deutschland noch nicht verlassen. Sie müssen mit Unwissenheit und Diskriminierung rechnen – und damit, dass sie schlicht nicht mitgedacht werden. Das muss sich dringend ändern!“, sagt Sylvia Urban vom Vorstand der Deutschen Aidshilfe.

Für die genannte Studie befragte das Robert Koch-Institut mehr als 3.000 Menschen mit einem Online-Fragebogen. Die Deutsche Aidshilfe sprach in Workshops und Interviews mit 59 Personen ausführlich über ihre Erfahrungen. Die gemeinsame Studie wurde partizipativ durchgeführt: Die Zielgruppen waren in jede Phase des Forschungsprojektes eingebunden, die Forschenden gehörten teilweise selbst zu den erforschten Communitys.

Erhöhte Belastung

Die Ergebnisse bestätigen, was in der internationalen Forschung bereits bekannt war: Trans und nicht-binäre Menschen sind generell erhöhten gesundheitlichen Risiken ausgesetzt. Psychische Belastungen entstehen etwa durch Diskriminierungserfahrungen und Stigmatisierung, aber auch, weil der eigene Körper oder bestimmte Körperteile als unpassend empfunden werden (Geschlechtsdysphorie). Die physische Gesundheit ist zum Beispiel durch fehlende Kompetenz bei Ärzt*innen gefährdet.

Besonderheiten bei Sexualität

Sexualität ist für trans und nicht-binäre Menschen ein besonders sensibles Thema. Eine wichtige Rolle spielt für viele der Aushandlungsprozess, welche Art von Sexualität stattfinden soll und welche Körperteile beteiligt sein dürfen und welche nicht. Das sexuelle Wohlbefinden wird oft beeinträchtigt durch Angst vor Ablehnung und Diskriminierung sowie verinnerlichte Abwertung und Erwartungshaltungen.

So gaben 79% in der Online-Befragung an, dass sie schon mindestens einmal das Gefühl hatten, in sexuellen Situationen ihre Geschlechtsidentität durch ihr Verhalten beweisen zu müssen. 55% fällt es nicht leicht, ihre Bedürfnisse beim Sex zu äußern und diesen aktiv mitzugestalten. 31% der online Befragten fällt es schwer, „Nein“ zu Sex zu sagen, den sie nicht möchten. Einige Teilnehmer*innen berichteten, dass sie sich nicht trauten, auf ihre Safer-Sex-Wünsche zu bestehen.

„Mein Körper ist schon ein Umstand für die andere Person, da mag ich nicht noch weitere Forderungen stellen“, erklärte eine befragte Person in der qualitativen Studie.

Beratung von trans und nicht-binären Menschen muss daher psychosoziale Komponenten besonders berücksichtigen und dabei unterstützen, ein positives Selbstbild zu entwickeln, die eigene Sexualität zu erkunden und zu entwickeln sowie Bedürfnisse zu äußern und durchzusetzen.

Gesundheitssystem ohne Kenntnisse

Trans und nicht-binäre Menschen treffen jedoch auf ein Gesundheitssystem, das sich noch immer fast ausschließlich an der überkommenen Einteilung in lediglich zwei Geschlechter orientiert – vom Aufnahmebogen über Beratung und Medikation bis zur Abrechnung.

Lediglich 32% gaben an, dass bei ihrer letzten Beratung zu HIV und anderen sexuell übertragbaren Infektionen der selbstgewählte Name, die geschlechtliche Identität und das gewünschte Pronomen erfragt wurden. Werden Anamnesebögen geschlechtsspezifisch verteilt, stimmen die darauf abgebildeten Genitalien und Schleimhäute oft nicht mit den körperlichen Gegebenheiten der Ratsuchenden überein. Ein strukturelles Hindernis besteht zum Beispiel, wenn Gynäkolog*innen die Gebärmutterhalskrebsvorsorge nicht abrechnen können, weil bei der Krankenkasse das Geschlecht „männlich“ gespeichert ist.

Auch in der Beratung mangelt es oft an entscheidenden Kenntnissen: Wenn eine beratende Person zum Beispiel nicht weiß, dass einige trans Männer aufnehmenden Vaginalsex praktizieren, kann das bei der Beratung zur HIV-Prophylaxe PrEP gefährliche Folgen haben: Für aufnehmenden Vaginalverkehr gilt ein besonderes Einnahmeschema, weil es länger dauert, bis sich in der Vaginalschleimhaut ein ausreichender PrEP-Schutz aufgebaut hat.

„Auf trans und nicht-binäre Menschen sind weder Mediziner*innen noch Berater*innen ausreichend vorbereitet. Sie fühlen sich im Medizinsystem deswegen oft nicht willkommen und gesehen, sondern gefährdet. Wenn Ratsuchende zunächst ihre Berater*innen aufklären müssen, ist das kontraproduktiv und inakzeptabel“, sagt Projektleitung Chris Spurgat.

Wenig Vertrauen führt zu Vermeidung

Nicht spezialisierte Angebote werden dementsprechend häufig mit Skepsis betrachtet und mit Erwartungen von Diskriminierung, fehlender Sensibilität und mangelndem Fachwissen zu trans und nicht-binären Körpern verknüpft. 17% der online Befragten gaben an, sie hätten aus Angst vor Diskriminierung bereits auf bestimmte Leistungen verzichtet, etwa auf Beratung zu Fragen sexueller Gesundheit oder Tests auf HIV und andere sexuelle übertragbare Infektionen. Das kann lebensgefährliche Folgen haben, etwa, wenn HIV-Infektionen unbehandelt bleiben oder Krebserkrankungen erst spät entdeckt werden.

„Ich kenne viele trans Personen, die seit Jahren keine Vorsorgeuntersuchungen gemacht haben, gynäkologische zum Beispiel, weil es nicht funktioniert. Sie bleiben zu Hause, obwohl sie Beschwerden haben“, fasst eine in der Beratung tätige Person das Problem im Interview zusammen.

Empfehlungen für eine bessere Versorgung für sexuelle Gesundheit

Um etwas an der desolaten Situation zu verändern, gibt der Abschlussbericht Empfehlungen für eine bessere Versorgung für trans und nicht-binäre Menschen. Zentrale Punkte sind aus Sicht der Deutschen Aidshilfe:

  • Benötigt werden mehr Test- und Beratungsangebote speziell für trans und nicht-binäre Menschen – communitynah und mit Profis, die selbst aus den adressierten Gruppen stammen.
  • In breiter aufgestellten Einrichtungen sollte es spezielle Angebote geben, etwa Testtage für trans und nicht-binäre Menschen – sie finden große Akzeptanz und wirken bestärkend.
  • Informationsmaterial zu Sexualität und Safer Sex muss die Bedürfnisse von trans und nicht-binären Menschen abbilden. Darüber hinausmüssen mehr spezifische Informationsquellen entwickelt werden.
  • Geeignetes Informationsmaterial muss es auch für Fachpersonal in Beratungs- und Teststellen sowie medizinischen Einrichtungen geben.
  • Das Thema muss in der Ausbildung und bei Fortbildungen für medizinisches und beraterisches Personal berücksichtigt werden. Dringend erforderlich sind flächendeckende Grundlagenschulungen.
  • Medizinische Strukturen und Verfahren müssen endlich die real existierende geschlechtliche Vielfalt akzeptieren und abbilden, etwa bei Anamnese- und Meldebögen, in Studien und so weiter.
  • Qualitätssiegel für Einrichtungen mit Kompetenz in diesem Bereich können bei der Orientierung helfen.
  • Angebote für Selbsterfahrung, Körperarbeit und Selbsthilfe können helfen, Scham ab- und Selbstbewusstsein aufzubauen.
  • Generell gilt: Angebote aus den Communitys für die Communitys müssen gefördert werden – sie genießen hohe Akzeptanz und werden als gut und sicher bewertet.

Medizinische Versorgung bei Transition sicherstellen

Nicht zuletzt spielt die medizinische Versorgung von trans und nicht-binären Personen bezüglich Transitionen auch eine wichtige Rolle für ihre sexuelle Gesundheit. Ein diskriminierungsfreier Zugang muss sichergestellt, Hürden müssen abgebaut werden.

„Das Recht auf vollständige Kostenübernahme von geschlechtsangleichenden Maßnahmen muss gesetzlich verankert werden, wie es die Bundesregierung im Aktionsplan Queer Leben versprochen hat“, sagt DAH-Vorstand Sylvia Urban.

Jetzt handeln – auf allen Ebenen!

„Was benötigt wird, ist jetzt wissenschaftlich genau beschrieben. Nun liegt der Ball bei der Politik, den Bundesbehörden und medizinischen Einrichtungen sowie Test- und Beratungsangeboten gleichermaßen. Auf allen Ebenen gibt es großen Handlungsbedarf!“, sagt DAH-Vorstand Sylvia Urban.