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Ampel-Reformvorhaben: sinnvolle Ansätze und offene Fragen
Gesundheits- und krankenhauspolitische Reformvorhaben müssen verzahnt geplant und eine Lösung für die Investitionsfinanzierung gefunden werden

Pressemitteilung

Berlin – Ihre gesundheitspolitischen Reformvorhaben für die 20. Legislaturperiode haben die künftigen Regierungspartner SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP im Koalitionsvertrag vorgelegt. Enthalten sind viele sinnvolle Ansätze zur Umwandlung des Gesundheitssystems, einige wichtige Fragen bleiben allerdings offen. Dazu der Vorsitzende des Deutschen Evangelischen Krankenhausverbandes (DEKV), Christoph Radbruch: „Der politische Wille, den längst überfälligen gesundheits- und krankenhauspolitischen Reformstau aufzulösen, ist unverkennbar. Geschaffen werden soll ein zeitgemäßes und robustes Gesundheitssystem, das flächendeckend eine bedarfsgerechte Patient:innenversorgung sichert. Daher ist es ein erfreulich klares Signal, die Reform der Krankenhausstruktur und Krankenhausfinanzierung mit einem Bund-Länder-Pakt und einer Regierungskommission zeitgemäß, effizient und patient:innenzentriert zu modernisieren. Allerdings dürfen alle Beteiligten dabei nicht die Augen vor der seit Jahren nicht auskömmlichen Investitionsfinanzierung durch die Länder verschließen.“

Investitionskostenproblematik lösen

Die Länderinvestitionskostenlücke beträgt jährlich drei Milliarden Euro. Dadurch sind die Krankenhäuser seit Jahren zunehmend gezwungen, sich über die Betriebskosten zu finanzieren. Diese reichen jedoch nicht aus, um ein Krankenhaus wirtschaftlich zu betreiben. Viele Krankenhäuser arbeiten infolgedessen defizitär. Zuletzt verzeichneten 40 Prozent der Krankenhäuser Verluste, 13 Prozent waren von Insolvenz bedroht, so der Bundesrechnungshof in seiner Bestandsaufnahme zur Lage der Bundesfinanzen zur 20. Wahlperiode vom 10. November 2021.

Die Lösung der Investitionskostenproblematik ist neben der Einführung einer bedarfsgerechten und stringenten Planung ein Erfolgskriterium für die Reform der Krankenhausversorgung. „Denn wenn die geplante Ergänzung und Optimierung des DRG-Systems nur eine Umverteilung der bisher zur Verfügung stehenden Mittel von Fall- auf Vorhaltepauschalen beinhaltet, wird dies keine nachhaltige Lösung sein“, mahnt der DEKV-Vorsitzende.

Datengrundlage für Reformvorhaben schaffen

Voraussetzung für die Entwicklung zielgerichteter Vorschläge für eine bedarfsgerechte Krankenhausstruktur und Krankenhausfinanzierung ist eine umfassende, valide Bestandsaufnahme der Leistungs- und Kostendaten. Diese Auswertung muss die stationären und ambulanten Leistungen, die Ergebnisqualitätsdaten sowie den Bürokratie- und Dokumentationsaufwand für die Patient:innenversorgung umfassen. Die Daten müssen nach Region, Sektoren und im stationären Bereich auch nach Trägerarten aufgeschlüsselt werden. Nur auf dieser Basis kann die Regierungskommission zielgerichtet und zukunftsorientiert handeln.

Sektorenübergreifende Versorgungsplanung von Bund und Ländern

„Zwingend notwendig ist die Verschränkung der Reformvorhaben mit der sektorenübergreifenden Versorgungsplanung. Ziel ist, dass Bund und Länder gemeinsam die ambulante Bedarfsplanung und die stationäre Krankenhausplanung weiterentwickeln. Nur so kann für alle Leistungserbringer ein optimierter Versorgungsprozess entstehen, bei dem es nicht zu Systembrüchen entlang des Patient:innenpfades kommt. Damit ist die sektorenübergreifende bedarfsgerechte Planung, die Doppelstrukturen unterbindet, die zentrale Voraussetzung und das entscheidende Erfolgskriterium für eine gelingende Reform der Krankenhausversorgung. Die zentralen Reformprozesse müssen daher parallel erfolgen und von Beginn an miteinander interagieren“, fordert Radbruch.

Mehr sektorenübergreifende Patient:innenversorgung gestalten

Viele Ansätze, eine sektorenübergreifende Patient:innenversorgung zu gestalten und zu fördern, weisen in die richtige Richtung. Ambulante Potenziale im stationären Bereich zu nutzen, kann dazu beitragen, die Effizienz der gesundheitlichen Versorgung zu steigern. Verbunden mit zielgerichteten und positiven Anreizen für die Krankenhäuser lassen sich aus Sicht der evangelischen Krankenhäuser stationäre Strukturen stärker ambulant öffnen und effektiv transformieren. Das Motto des Koalitionsvertrages „Mehr Fortschritt wagen“ muss hier von Mut, Entscheidungskraft und Neugier auf neue Versorgungsmodelle an der ambulant-stationären Schnittstelle begleitet werden.

Mehr unternehmerische Versorgungsgestaltung

Die Prioritäten und die Maßnahmen im Koalitionsvertrag sind für die evangelischen Krankenhäuser richtig gesetzt. Sie ermöglichen, den unternehmerischen, regionalen Gestaltungswillen von Krankenhäusern und weiteren Leistungserbringern durch attraktive bevölkerungsbezogene Versorgungsverträge mit den Kassen freizusetzen. Auch ein erweiterter gesetzlicher Spielraum für Verträge nach § 140a und § 110a SGB V zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern wird dazu führen, innovative Versorgungsformen zu stärken. Wirken sich diese Vertragsinstrumente positiv und qualitätssteigernd auf die künftige Patient:innenversorgung aus, ist gesundheitsbezogenes Gemeinwohl das gewünschte Ergebnis.

Multiprofessionelle, integrierte Gesundheits- und Notfallzentren, Gesundheitslots:innen, Gemeindeschwestern wie auch das Berufsbild „Community Health Nurse“ könnten künftig einen niederschwelligen Zugang zu Gesundheitsleistungen im Sozialraum eröffnen. Diese Maßnahmen scheinen geeignet, Bürger:innen zu mehr Selbstverantwortung für ihre Gesundheit zu befähigen und sie bei Bedarf professionell zu unterstützen. Darüber hinaus könnten sie das Wissen der Bevölkerung zur Gesundheit und dem Gesundheitssystem verbessern und es Patienten:innen ermöglichen, im Gesundheits- und Sozialsystem kompetenter und selbstbestimmter zu navigieren.

Mehr Versorgung, weniger Bürokratie

Der Hauptteil der pflegerischen und ärztlichen Tätigkeit muss in der Patient:innenversorgung liegen, nicht in aufwendigen Dokumentationsarbeiten. Daher ist es gut und richtig, Bürokratie abzubauen und so die Hürden für eine gute Versorgung der Patient:innen zu senken. Dabei müssen alle Möglichkeiten der Digitalisierung ausgeschöpft werden. Mit dem Vorhaben die „Belastungen durch Bürokratie und Berichtspflichten jenseits gesetzlicher Regelungen kenntlich zu machen“ wird der Bürokratieaufwand für Politik und Bürger:innen deutlich. Das kann der Ausgangspunkt für einen neuen Dialog über Bürokratie im Gesundheitswesen sein und helfen, gemeinsam ein angemessenes Maß zu finden.

Die evangelischen Krankenhäuser ermutigen die Ampel-Koalitionäre und -Koalitionärinnen, eine Neuverteilung von Aufgaben und Verantwortlichkeitsbereichen im Gesundheits- und Sozialsystem sowie für die Akteure vorzunehmen. Dabei wird der DEKV die neue Regierung konstruktiv-kreativ unterstützen.

Der Deutsche Evangelische Krankenhausverband e.V. (DEKV) vertritt mit 199 evangelischen Kliniken an 273 Standorten jedes neunte deutsche Krankenhaus. Die evangelischen Krankenhäuser versorgen jährlich mehr als 2 Mio. Patientinnen und Patienten stationär und mehr als 3,5 Mio. ambulant. Das ist bundesweit mehr als jeder 10. vollstationäre Patient. Mit über 123.000 Beschäftigten und einem Umsatz von mehr als 10 Mrd. € sind sie ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Der DEKV ist der Branchenverband der evangelischen Krankenhäuser und Mitglied im Evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung e.V. sowie im Vorstand und im Präsidium der Deutschen Krankenhausgesellschaft. Der DEKV setzt sich insbesondere für eine zukunftsorientierte und innovative Krankenhauspolitik mit Trägervielfalt und Qualitätswettbewerb, verlässliche Rahmenbedingungen für die Krankenhausfinanzierung, eine Modernisierung der Gesundheitsberufe und eine konsequente Patientenorientierung in der Versorgung ein.

Vorsitzender: Vorsteher Christoph Radbruch, Magdeburg, stellvertr. Vorsitzende: Andrea Trenner, Berlin, Schatzmeister: Dr. Holger Stiller, Düsseldorf, Verbandsdirektorin: Melanie Kanzler, Berlin.