Berlin – Die strukturellen Weichenstellungen des Arzneimittelmarktneuordnungsgesetzes (AMNOG), mit denen eigentlich nur die Preise patentgeschützter Arzneimittel geregelt werden sollten, werden auch deutliche Auswirkungen auf den deutschen Generikamarkt haben. Zu dieser Einschätzung kamen die Teilnehmer des „11. Berliner Dialoges am Mittag“, den Pro Generika am 14. November 2012 in Berlin veranstaltete.
Die Experten diskutierten darüber, wie sich die frühe Nutzenbewertung und die anschließenden Verhandlungen über Erstattungspreise (AMNOG-Verfahren) auf den Generikamarkt und das Verordnungsverhalten der Ärzte auswirken werden.
Zusatznutzen als „Gütesiegel“ für die Verordnung?
Hans Holger Bleß, Bereichsleiter Versorgungsforschung des Berliner IGES Institutes, konnte dabei auf erste Untersuchungen seines Hauses zu bereits abgeschlossenen AMNOG-Verfahren zurückgreifen. Danach wurde über alle abgeschlossenen Verfahren hinweg nur für 20 Prozent der Patienten ein Zusatznutzen der neuen Präparate festgestellt. Bleß betonte aber auch, dass mit der Anerkennung eines Zusatznutzens durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) den Ärzten eine Art ‚Gütesiegel’ für das entsprechende Arzneimittel signalisiert würde. Zudem würde die Tatsache, dass zwischen Krankenkassen und Hersteller ein Erstattungspreis vereinbart wurde, von den Ärzten als Beleg für die Wirtschaftlichkeit der Verordnung wahrgenommen. Käme dann noch die Anerkennung als Praxisbesonderheit hinzu, ließe sich schon jetzt ein klarer Trend zur stärkeren Verordnung von positiv bewerteten, patentgeschützten Medikamenten erkennen. Denn der Arzt hätte in diesen Fällen keine Regresse zu befürchten. Dies würde dazu führen, dass etablierte Therapien wie z. B. Generika erkennbar schneller verdrängt werden, als das vor dem AMNOG der Fall war.
Verdrängung generischer Standardtherapien
Johann-Magnus von Stackelberg gab einen Überblick über den aktuellen Stand der AMNOG-Verfahren. Die ersten Erfahrungen zeigten aus seiner Sicht, dass sich Hersteller und GKV-Spitzenverband überwiegend auf dem Verhandlungsweg einigen konnten. Der stellvertretende Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbandes sah allerdings auch die Gefahr einer nicht gewollten Verdrängung preisgünstiger Generikatherapien, falls die Ärzte die vom G-BA vorgenommenen Nutzenbewertungen nicht genau beachten würden. Folglich sei die Steuerung der mit dem Hersteller vereinbarten Mengen eine der großen Herausforderungen. Stackelberg betonte, dass man die Entwicklung des ärztlichen Verordnungsverhaltens daher sehr genau beobachten werde.
Keine ungewollten Risiken und Nebenwirkungen
Auch Wolfgang Späth wies auf dieses Problem hin. Der Vorstandsvorsitzende von Pro Generika sah grundsätzlich richtige Ansätze im AMNOG-Verfahren, wenn Patienten vom therapeutischen Fortschritt profitieren. Da, wo ein Zusatznutzen besteht, sollten patentgeschützte Arzneimittel zum Wohl der Patienten eingesetzt werden, stellte er klar. Späth warf aber auch die Frage auf, wie der Arzt angesichts der komplexen Bewertungsergebnisse des G-BA den Überblick behalten kann. Dies gelte umso mehr, wenn erst der so genannte Bestandsmarkt – und damit zahlreiche weitere bereits eingeführte Medikamente – auf seinen Nutzen hin überprüft wird.
Zudem sei genau zu beobachten, wie Hersteller reagierten, deren Präparate keinen Zusatznutzen zugesprochen bekommen. Bisher entschieden sich die Unternehmen überwiegend dafür, ihre Präparate vom deutschen Markt zu nehmen. Denkbar seien aber auch Fälle, in denen die Hersteller bereits länger eingeführter Präparate den Preis auf ein generisches, also deutlich geringeres, Niveau senken. Dies würde dem nach Patentablauf möglichen Generikawettbewerb und insbesondere der Neueinführung von Generika dann keinen Raum mehr lassen. Es müsse allen Beteiligten klar sein, dass das AMNOG damit auch für die Generikaunternehmen relevant ist.
AMNOG-Verfahren sind „lernendes System“
Michael Hennrich (CDU), Mitglied im Bundestagsausschuss für Gesundheit, warb dafür, die AMNOG-Verfahren als „lernendes System“ zu betrachten. Aus Sicht der Politik sei klar, dass Generika immer dann als Therapie der Wahl bestätigt würden, wenn ein patentgeschütztes Produkt keinen Zusatznutzen nachweisen konnte. Zudem sei das AMNOG aus seiner Sicht ein Beitrag zur Versorgungsoptimierung. Nun sei es Aufgabe aller Beteiligten, dafür zu sorgen, dass ungewollte Fehlentwicklungen bereits im Ansatz erkannt und dann auch verhindert werden. Hennrich sah in diesem Zusammenhang vor allem die Selbstverwaltung gefordert. Gleichzeitig stellte Hennrich aber auch klar, dass die Politik die konkrete Ausgestaltung der AMNOG-Verfahren sehr intensiv verfolgen werde. Sollte es nötig sein, werde die Politik nachsteuern.
Folgen Sie uns auf Twitter unter twitter.com/progenerika