Bonn – Anlässlich des 31. Bundeskongresses weist der Fachverband Sucht e.V. auf eine jüngst publizierte Sonderauswertung hin. Diese untersuchte, inwieweit inwieweit bei abhängigkeitskranken Patienten/innen neben der Suchtmittelabhängigkeit durch das Vorliegen von einer oder mehreren weiteren psychischen oder somatischen Erkrankungen der Erfolg einer stationären Entwöhnungsbehandlung beeinflusst wird. Hierzu wurden die Ergebnisse der Befragung von Patienten/innen, die sich aufgrund einer Hauptsuchtmitteldiagnose in einer stationären Rehabilitationsbehandlung in Fachkliniken für Alkohol- und Medikamentenabhängige befanden, hinsichtlich der Komorbiditäten betrachtet und ausgewertet. Die Befragung findet jeweils ein Jahr nach Entlassung aus der Fachklinik statt. “Die umfangreiche Studie zeigt zum einen, dass psychische und somatische Erkrankungen bei alkoholabhängigen Patienten/innen häufig vorkommen, und zum anderen, dass die Entwöhnungsbehandlung auch bei zusätzlicher Komorbidität sehr erfolgreich ist”, so Dr. Volker Weissinger, Geschäftsführer des Fachverbandes Sucht e.V.
Methode:
Als Grundlage für die Untersuchung eines möglichen Zusammenhangs zwischen dem Erfolg einer stationären Suchtbehandlung und einer bzw. mehrerer ko- bzw. multimorbiden Störungen wurden die Katamnese-Daten des Fachverbandes Sucht e.V. aus den Entlassjahrgängen 2012 bis 2015 verwendet. Es wird eine Totalerhebung der entsprechenden Entlassjahrgänge aus den beteiligten Fachkliniken für Alkohol- und Medikamentenabhängige vorgenommen. Die Stichprobengröße beträgt über alle vier Entlassjahrgänge hinweg 47.541 Personen (2012: N = 13.228, 2013: N = 13.050, 2014: N = 11.033 und 2015: N = 10.230). Die Berechnung der Erfolgsquoten orientiert sich an den entsprechenden Standards der Deutschen Gesellschaft für Suchtforschung und Suchttherapie (DGSS).
In der hier vorgenommenen Berechnung nach DGSS 3 werden die Angaben aller in der Katamnese-Untersuchung erreichten Rehabilitanden berücksichtigt, welche ein Jahr nach der Behandlung auf die Nachbefragung geantwortet hatten. Da jedoch davon auszugehen ist, dass die Nichtantworter eine vergleichsweise geringere Abstinenzquote aufweisen als die Katamnese-Antworter, liegt bei dieser Berechnungsform eine Überschätzung des Katamnese-Erfolges vor. Bei der Berechnung nach DGSS 4 würden hingegen alle Personen, für die keine oder widersprüchliche Katamnese-Informationen vorliegen, als rückfällig bewertet, womit eine Unterschätzung des Behandlungserfolges verbunden wäre (ausführliche Angaben hierzu, inklusive detaillierter Darstellung der Behandlungsergebnisses, siehe Literaturquelle).
Ergebnisse:
Die Ausschöpfungsquote über die vier Entlassjahrgänge liegt bei 54,1 %, die Erfolgsquote beträgt nach DGSS 3 75,3 %. Der Anteil an Patienten mit mindestens einer psychischen Diagnose liegt bei den Katamneseantwortern 46,8 % (psychische Komorbidität in den Diagnosegruppierungen: Depressionsdiagnose 31,0 %, Angststörung 5,4 % und Persönlichkeitsstörung 9,7 %), mit mindestens einer somatischen Diagnose bei 78,9 % (somatische Komorbidität in den Diagnosegruppierungen: endokrine, Ernährungs- und Stoffwechselkrankheiten 33,4 %, Krankheiten des Kreislaufsystems 30,0 %, Krankheiten des Verdauungssystems 32,8 % und Krankheiten des Muskel-Skelett-Systems und des Bindegewebes 32,3 %).
Es zeigen sich folgende Therapieerfolgsquoten beim Vergleich von Patienten ohne Diagnose zu Patienten mit mindestens einer Diagnose:
- Psychische Komorbidität: Die Erfolgsquote beträgt nach DGSS 3 76,9 % ohne vs. 73,6 % mit psychischer Komorbidität. Die Unterschiede sind bei Depressionen (75,6 % zu 74,7 %) und Angststörungen (75,4 % zu 71,4 %) nur gering, bei Persönlichkeitsstörungen mit 76,2 % vs. 66,9 % dagegen deutlicher.
- Somatische Komorbidität: Die Erfolgsquote beträgt nach DGSS 3 73,4 % ohne vs. 75,8 % mit somatischer Komorbidität. Der Trend einer höheren Erfolgsquote bei Vorliegen mindestens einer somatischen Komorbidität zeigt sich bei allen somatischen Komorbiditäten – mit Ausnahme der Krankheiten des Verdauungssystems (76,0 % vs. 73,8 %). Zudem ergibt die Analyse, dass somatische Erkrankungen tendenziell mit einer längeren Abhängigkeitsdauer einhergehen.
Schlussfolgerung:
Die Sonderauswertung zeigt insgesamt, dass psychische und somatische Komorbiditäten bei den behandelten Patienten in Fachkliniken für Alkohol- und Medikamentenabhängigkeit häufig vorkommen. Im Rahmen der Behandlung ist es von daher erforderlich, individuell auf die spezifischen Erfordernisse der Komorbidität einzugehen und hierbei auch die gegenseitige Beeinflussung der Suchterkrankung mit den psychischen Problemlagen zu berücksichtigen. Insgesamt belegt die Studie eine hohe Wirksamkeit der stationären Rehabilitation Abhängigkeitskranker über die vier Jahrgänge hinweg – auch vor dem Hintergrund zusätzlicher psychischer und somatischer Komorbiditäten.
Literaturquelle:
Bachmeier, R., Bick-Dresen, S., Missel, P., Sagel, A., Weissinger, V. (2018). Zusammenhang zwischen Sucht, Komorbidität und Behandlungserfolg – Sonderauswertung zur FVS-Katamnese der Entlassjahrgänge 2012 bis 2015 von Fachkliniken für Alkohol- und Medikamentenabhängige. SuchtAktuell, Jahrgang 25/01.18, S. 25-38.
Der Fachverband Sucht e.V. (FVS) ist ein bundesweit tätiger Verband, in dem Einrichtungen zusammengeschlossen sind, die sich der Behandlung, Versorgung und Beratung von Suchtkranken widmen. Er wurde 1976 gegründet und vertritt heute ca. 95 Mitgliedseinrichtungen mit über 6.800 stationären und vielen ambulanten Therapieplätzen.
Pressestatement mit Tabellenanhang zum 31. Heidelberger Kongress