Hamburg – Ärzte und Kliniken sind da, um kranken Patienten zu helfen. Um Leiden zu lindern und Krankheiten zu heilen. Doch marktwirtschaftliche Interessen können das Wohl von Patienten gefährden. In der neuen stern-Ausgabe erzählt Autor Bernhard Albrecht an sieben erschreckenden Beispielen, welche fatalen Fehlanreize für die Über- beziehungsweise Unterversorgung von Patienten das “Fallpauschalen-System” in Kliniken setzt. 215 Ärzte fordern in einem Ärzte-Appell im neuen stern eine radikale Reform des Krankenhauswesens: “Rettet die Medizin!”
Was ist das Problem mit dem “Fallpauschalen”-System? Es fasst Patienten in “Fallgruppen” zusammen, die pauschal vergütet werden. Je mehr Aufwand, desto mehr Geld. Eigentlich vernünftig, glaubten viele Ärzte bei der Einführung vor 16 Jahren. Doch unter dem hohen ökonomischen Druck, der heute an Kliniken herrscht, entfaltet es toxische Wirkungen. “Patienten rechnen sich – egal, wie krank sie sind – in diesem System vor allem, wenn an ihnen viele “Prozeduren”, also medizinische Eingriffe jeglicher Art, durchgeführt werden”, sagt Bernhard Albrecht. Der Journalist hat mit über 100 Medizinern aus ganz Deutschland gesprochen – mit Assistenzärztinnen, Klinikdirektoren, Präsidentinnen von Fachgesellschaften und Medizinethikern. Er zieht ein kritisches Fazit. “Belohnt wird Aktionismus. vor dem so wichtigen Beobachten und Nachdenken über die beste Therapie.”
Medizinethiker Giovanni Maio sagt gar: “Der Arzt lernt, Patienten schon bei der Notaufnahme nicht nur nach dem medizinischen Bedarf zu klassifizieren, sondern ob sie Gewinn versprechen.”
Was muss sich ändern? Der Ärzte-Appell im stern formuliert drei konkrete Forderungen:
1. Das Fallpauschalensystem muss ersetzt oder zumindest grundlegend reformiert werden.
2. Die ökonomisch gesteuerte gefährliche Übertherapie sowie Unterversorgung von Patienten müssen gestoppt werden. Dabei bekennen wir uns zur Notwendigkeit wirtschaftlichen Handelns.
3. Der Staat muss Krankenhäuser dort planen und gut ausstatten, wo sie wirklich nötig sind. Das erfordert einen Masterplan und den Mut mancherorts zwei oder drei Kliniken zu größeren, leistungsfähigeren und personell besser ausgestatteten Zentren zusammenzuführen.
Zusätzlich zu den 215 Ärzten wird der Appell von einem breiten Spektrum von Organisationen mitgetragen, 19 insgesamt, die nie zuvor unter gemeinsamen Forderungen standen. Dazu zählen die “Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften AWMF”, das “Deutsche Netzwerk Evidenzbasierte Medizin e.V.” (DNEbM), die linke “Attac – AG Soziale Sicherungssysteme” und die “Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin e.V.” (DGIM).
Alle eint der Gedanke: So darf es nicht weitergehen. Ärztinnen oder Ärzte, die den Appell namentlich unterstützen wollen, können an aerzteappell@stern.de schreiben. Die Liste der Unterzeichner wird auf stern.de veröffentlicht.