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2. Karlsruher Präventionsgespräch
Rauchentwöhnung – Utopie oder machbar?

Pressemitteilung

Karlsruhe – Zigaretten-Rauchen bleibt der wichtigste Risikofaktor sowohl für Herzkreislauferkrankungen als auch für Lungen- und Krebserkrankungen, gleichzeitig ist es einer der am besten und effektiv beeinflussbaren Risikofaktoren. Trotz dieses Wissen sind die ärztlichen und regulatorischen Aktivitäten, Menschen, die rauchen, zum Aufhören zu bewegen in Deutschland im europäischen Vergleich gering. Die aktuelle S3-Leitlinie “Rauchen und Tabakabhängigkeit: Screening, Diagnostik und Behandlung” aus 2021 macht zwar viele konkrete Vorschläge dazu, wie Ärzte/innen ihre Patienten zum Aufhören des Zigarettenrauchens motivieren sollen, lässt aber auch einige praktische Fragen offen. Insbesondere die Frage, wie lange und wie intensiv diese Bemühungen sein müssen und wie man Patienten, die es mit den klassischen Methoden nicht schaffen aufzuhören, darüber hinaus unterstützen kann. Um dies und auch die neue Leitlinie im Expertenkreis online zu diskutieren, wurde am 03.02.2021 zum 2. Karlsruher Präventionsgespräch von Prof. Martin Storck eingeladen.

Folgende Aspekte wurden angesprochen:

  • Obwohl Rauchen ein bekannter Risikofaktor für kardiovaskuläre Erkrankungen ist, sind die Mechanismen mit denen Rauchen die Atherosklerose verursacht im Einzelfall nicht geklärt. Anders als bei Tumorerkrankungen, für die Carcinogene konkret benannt werden können, sind atherogene Einzelstoffe nicht definiert. Im Vordergrund der atherogenen Wirkung des Rauchens steht die NO-Verarmung des Endothels und die Triggerung von entzündlichen Prozessen durch Schadstoffe aus der Tabakverbrennung. Dem Nikotin als der Stoff, welcher die Sucht auslöst und unterhält, ist kein eindeutiger Zusammenhang zur Atherosklerose zuzuschreiben. Nikotin ist von den Arzneimittelbehörden als Nikotinersatzprodukt in verschiedenen Formen zur Raucherentwöhnung zugelassen. Für die Gefäßmedizin sollte dieser Aspekt mehr in die Therapie dieser Hochrisikogruppe eingebunden sein.
  • Rauchen ist keine einfache Problematik des Lebensstils, sondern ist eine Sucht und auch als solches in der Internationalen Classification of Diseases (ICD 10) unter dem Code F17.2 „Psychische und Verhaltensstörungen durch Tabak“ aufgelistet. Als Sucht bedarf die Raucherentwöhnung einer intensiven Betreuung des Patienten mit psychologischen Ansätzen und Motivationsstrategien. Für diese Raucherentwöhnung gibt es in Deutschland aktuell nur wenige Angebote. Diese Anlaufstellen werden insbesondere auch nur von etwa 5 % der Menschen aufgesucht, die sich freiwillig einer Raucherentwöhnung unterziehen wollen. Es fehlen flächendeckende Programme, die systematisch jeden Raucher in Deutschland adressieren und motivieren.
  • Rauchen stellt auch einen Risikofaktor für Tumorerkrankungen dar. Die Europäische Union hat sich diesem Thema angenommen und möchte im Rahmen ihres „Europe’s beating cancer plan“ die Anzahl der durch Rauchen induzierten Krebsneuerkrankungen reduzieren. Ehrgeiziges Ziel ist es, die Raucherquote von heute 25% in der EU bis 2040 auf 5% zu reduzieren. Dieses ambitionierte Ziel ist aber wahrscheinlich nur möglich, wenn man verschiedene Wege zusammenführt. Neben dem Versuch den Einstieg zu verhindern und den klassischen Entwöhnungsprogrammen, sollten auch Angebote zur Risikoreduktion für die Raucher, die den Ausstieg nicht schaffen, zur Verfügung stehen. Die nachgewiesene, weit über 90 prozentige Reduktion auch der Kanzerogene in den ohne Tabakverbrennung auskommenden E-Zigaretten und Tabakerhitzern im Vergleich zur klassischen Verbrennungszigarette lassen für diese Produkte das Potential eines reduzierten Tumorrisikos vermuten. Um die Zielvorgaben des Europe’s beating cancer plans zu erreichen, sind begleitende gesundheitspolitische Entscheidungen wie strengere, gezielt gegen den Krebshochrisikofaktor Tabakrauch gerichtete Maßnahmen notwendig. So könnten zum Beispiel steuerpolitische, dem Risiko der Produkte angepasste Entscheidungen das Konsumverhalten hin zum Rauchstopp oder wenigstens hin zu den schadstoffärmeren Produkten verschieben. Dies hätte auch großes sozioökonomisches Potential, da Rauchen als Risikofaktor insbesondere die ärmeren Bevölkerungsanteile betrifft.
  • Die chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD = chronic obstructive pulmonary disease) ist eine Erkrankung der Lunge, die vom Rauchen sehr ungünstig beeinflusst wird. Die Messung der Lungenfunktion erlaubt eine gute Einschätzung des Krankheitsverlaufes, der letztlich zum Tode führen kann. Trotz Aufklärung ist die Nikotinsucht vieler COPD-Patienten so stark, dass viele von ihnen weiter rauchen. Insbesondere Patienten mit sehr stark eingeschränkter Lungenfunktion und hierdurch eingeschränkter Lebenserwartung profitieren vom sofortigen Rauchstopp. Ist dieser nicht zu erreichen, kann in einer ärztlichen Nutzen-Risiko-Abwägung auch der vollständige Umstieg auf verbrennungsfreie Alternativen wie E-Zigaretten oder Tabakerhitzer unterstützt werden, auch wenn Langzeitstudien noch ausstehen. Eine reine Fixierung auf traditionelle Methoden der Raucherentwöhnung (einfaches Aufklärungsgespräch in wenigen Minuten, im Übrigen für Ärzte überhaupt nicht vergütet), welche bei vielen dieser Patienten nur bedingt oder gar nicht greifen, ist hier nicht ausreichend.
  • Der Markt der E-Zigaretten / Tabakerhitzer unterliegt einer stetigen Entwicklung. Da es sich bei diesen Produkten nicht um Arzneimittel beziehungsweise Medizinprodukte handelt, werden Ärzte nicht stetig über Veränderungen und Neuerungen informiert. Es existieren aber inzwischen umfassende Daten unter anderem vom Bundesinstitut für Risikobewertung und internationalen Instituten, welche den Schadstoffgehalt dieser Produkte im sogenannten Hauptstrom gemessen und ihre mögliche Toxizität im Vergleich zu Zigaretten bewertet haben. Eine emotionsfreie Beurteilung dieser Produkte hinsichtlich ihres Schadenpotentials auf der einen Seite und ihres Potentials zur Risikoreduktion auf der anderen Seite ist zwingend erforderlich. Nur durch umfassende faktische Aufklärung können Ärzten/innen eine Sicherheit in ihrem Umgang mit solchen Produkten gewinnen.
  • Die bisherigen wissenschaftlichen Erkenntnisse zu den neuartigen Produkten wie E-Zigarette und Tabakerhitzer zeigen klar, dass sie aufgrund ihres deutlich reduzierten Risikopotentials nicht mit herkömmlichen Zigaretten gleichzusetzen sind. Daher haben sich Experten bei einer Anhörung im Bundestag im September 2020 auch bereits für eine risikoadaptierte Besteuerung von nikotin- und tabakhaltigen Produkten ausgesprochen. Ein weiterer, sozioökonomischer Aspekt unterstreicht diese Position. Denn eine hohe Besteuerung der risikoreduzierten Produkte würde möglicherweise gerade die ausstiegswilligen Raucher mit geringerem Einkommen treffen, die dann wegen der geringen Preisdifferenz einfach weiter rauchen.
  • Die gesundheitspolitischen Hebel, die mit der signifikanten Schadstoffreduktion von E-Zigaretten und Tabakerhitzern gerade für die besonders gefährdeten Raucher mittleren Alters einhergehen, sollten nicht gegen den ebenso bedeutsamen Jugend- und Nichtraucherschutz ausgespielt werden. Umso erfreulicher ist die Beobachtung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), dass in Deutschland unverändert nur sehr wenige jugendliche Nichtraucher in die regelmäßige Nutzung von E-Zigaretten oder Tabakerhitzer einsteigen (Initiierung). Ein Einstieg über diese Produkte in das Zigarettenrauchen (Gateway) ist damit unwahrscheinlich und derzeit nicht kausal belegt. Beides bedarf einer kontinuierlichen Beobachtung durch unabhängige Behörden wie die BZgA, und aktuell fehlende Daten beispielsweise zum Einstieg jugendlicher Nichtraucher in die tägliche Nutzung sollten zusätzlich erhoben werden. Letztendlich muss eine Nutzen- Risikoabwägung aus einer gesamtgesellschaftlichen Perspektive erfolgen. Das Verhindern des Einstiegs von Nichtrauchern ins Zigarettenrauchen ist und bleibt eine gesellschaftliche Verantwortung, genauso wie das Angebot jeder zur Verfügung stehenden Hilfe für den Ausstieg.

www.m.youtube.com/watch?v=vyMUHd5hbqQ&feature=youtu.be

Teilnehmende Gäste:

Prof. Martin Storck, Direktor der Klinik für Gefäß- und Thoraxchirurgie, Städtisches Klinikum Karlsruhe

Prof. Knut Kröger, Chefarzt Klinik für Angiologie, Helios Klinikum Krefeld

Priv.-Doz. Dr. med. Tobias Rüther, Ludwig-Maximilians-Universität München Spezialambulanz für Tabakabhängigkeit, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie

Prof. Dr. Ute Mons, ehemalige Leiterin der Stabsstelle Krebsprävention, Deutsches Krebsforschungszentrum, aktuell Professur für Kardiovaskuläre Epidemiologie des Alterns, Universität Köln

Dr. Elke Pieper, Bundesinstitut für Risikobewertung, Berlin

Dr. Thomas Hering, Facharzt für Pneumologie, Allergologie und Schlafmedizin. Mitglied der AG Tabakprävention/Tabakentwöhnung der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie, Berlin